Eine Lücke in Hawkings Theorem
Ein Theorem von Stephen Hawking besagt, dass Schwarze Löcher keine Haare haben. Was bedeutet das?
Laura Donnay: Damit ist die seltsame Tatsache gemeint, dass Schwarze Löcher in gewisser Hinsicht die einfachsten Objekte sind, die wir uns vorstellen können. Drei Zahlenwerte, die Masse, die Ladung und die Rotationsgeschwindigkeit, genügen, um sie vollständig zu beschreiben. Um etwa einen Stern zu beschreiben, braucht man viel mehr Informationen, etwa seine chemische Zusammensetzung. Wenn man nur die Relativitätstheorie betrachtet, sind Schwarze Löcher extrem simpel. Es gibt allerdings auch noch die Quantenphysik, und da sieht es so aus, als enthielten Schwarze Löcher so viel Information wie kein anderes Objekt im Universum. Sie haben eine extrem hohe Entropie, sind also extrem unordentlich. Das sorgt für einige Spannung in der wissenschaftlichen Welt. Schwarze Löcher stehen im Zentrum einiger der aufregendsten Rätsel der Physik. Wenn es uns gelingt zu verstehen, wo diese Unordnung herkommt, wäre das ein Riesenschritt, um das Wechselspiel zwischen Gravitation und Quantenphysik zu verstehen.
„Wenn es uns gelingt zu verstehen, wo diese Unordnung herkommt, wäre das ein Riesenschritt.“
Wo kommt Ihr Projekt ins Spiel?
Donnay: Ich habe herausgefunden, dass Hawkings Theorem zwar gültig ist, dass es aber eine Lücke gibt in dem Sinn, dass es sehr subtile Strukturen gibt, die trotzdem auftreten können. Hawking hat diese Idee selbst in einem sehr kurzen, nur zwei Seiten langen Paper skizziert. Mir ist es im Rahmen meiner Dissertation gelungen, diese Tatsache erstmals zu beweisen. Es zeigt sich, dass am Rand Schwarzer Löcher, nahe am Ereignishorizont, ab dem nichts mehr daraus entweichen kann, besondere Symmetrien auftreten. Diese Eigenschaft nannten Hawking und seine Mitarbeiter Perry und Strominger „Soft Hair“, weiche Haare. Diese subtile Eigenschaft wurde bisher einfach übersehen.
Welche Bedeutung haben diese Symmetrien?
Donnay: Es handelt sich sogar um unendlich viele Symmetrien. Symmetrien sind in der Physik von enormer Bedeutung, weil sie das Verhalten eines Systems einschränken. Ein wichtiges Theorem der Mathematikerin Emmy Noether besagt, dass es zu solchen Symmetrien immer physikalische Größen gibt, die erhalten bleiben – ein Beispiel ist die Energieerhaltung. In diesem Fall gibt es sogar unendlich viele Symmetrien. Das ist für uns ein mächtiges Werkzeug, auch wenn wir die Implikationen dieser neuen Erhaltungsgrößen noch nicht zur Gänze verstehen.
Die Beziehung von Gravitation und Quantenphysik gilt als eines der großen Rätsel der Physik, nach dessen Lösung lange gesucht wird. Glauben Sie, dass in Ihrem Bereich ein Durchbruch möglich ist?
„Wir dachten, wir hätten Schwarze Löcher viel besser verstanden, aber diese weichen Haare sind uns völlig entgangen.“
Donnay: Ich hoffe es. Es ist erstaunlich, dass wir gerade erst zu verstehen beginnen, wie die Symmetrien Schwarzer Löcher wirklich aussehen. Wir dachten, wir hätten Schwarze Löcher viel besser verstanden, aber diese weichen Haare sind uns völlig entgangen. Wir beginnen langsam, die verschiedenen Aspekte zu entwirren. Meine Hoffnung ist, dass wir dort auf den Ursprung der Quanteneigenschaften Schwarzer Löcher stoßen – der Quelle für ihre große Unordnung.
Welche Möglichkeiten gibt Ihnen der START-Preis?
Donnay: Ich bin nun in der Lage, mir hier in Wien meine eigene Arbeitsgruppe aufzubauen. Das ist eine unglaubliche Chance, mich als unabhängige Forscherin zu etablieren und mit Unterstützung eines Teams parallel verschiedene Zugänge zu dem Problem zu verfolgen. Es ermöglicht mir, einen besseren Überblick über die größeren Zusammenhänge zu bekommen. Zuallererst werden wir uns aber ansehen, welche Eigenschaften die gefundenen Symmetrien haben und wie sie das System eines Schwarzen Lochs einschränken – also wie sie die viele Information tragen können.
Für Ihre Karriere ist das ein großer Schritt. Was motiviert Sie zu der Arbeit als Wissenschaftlerin?
Donnay: Hinter der Motivation des Fachgebiets selbst ist es das Stellen von fast naiven Fragen, wie man das als Kind getan hat. Was ist der Raum? Was ist die Zeit? Das sind sehr grundlegende Fragen, die sehr einfach zu stellen und sehr schwer zu beantworten sind. In der täglichen Praxis ist die Motivation aber die gemeinsame Arbeit an der Tafel, das Teilen von Ideen. Wenn man plötzlich das Gefühl hat, dass alles Sinn ergibt und man diese Entdeckung mit jemandem teilen kann. Das ist eine tolle Erfahrung.
Laura Donnay ist Physikerin an der Technischen Universität Wien. Sie interessiert sich für Schwarze Löcher, insbesondere für Quanteneffekte in der Nähe des Ereignishorizonts. Sie hat verschiedene Preise gewonnen, unter anderem den Marie Skłodowska-Curie Individual Fellowship der Europäischen Union, in dessen Rahmen sie seit 2019 in Wien forscht. Davor war sie Postdoc an der Harvard-Universität.
Zum Projekt
Laura Donnay beschäftigt sich in ihrem START-Projekt „Weiches Haar Schwarzer Löcher und Himmelsholographie“ mit der Erforschung der von ihr erstmals nachgewiesenen neuen Eigenschaften Schwarzer Löcher. Es handelt sich dabei um Symmetrieeigenschaften, die in der Nähe des Ereignishorizonts auftreten. Damit soll die Frage geklärt werden, warum Schwarze Löcher aus quantenphysikalischer Sicht so unordentlich sind (also so viel Information enthalten), aus Sicht der Relativitätstheorie aber so einfach und geordnet sind. Schwarze Löcher sind der Brennpunkt der Suche nach einer Verbindung zwischen Relativitätstheorie und Quantenphysik, weil beide Theorien zur Beschreibung der dort herrschenden extremen Bedingungen nötig sind.
Der START-Preis
Das START-Programm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Das Förderungsprogramm ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt neben dem Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.