Zwei männliche Forschende sitzen auf einer Holzbank vor einem Institutsgebäude
Schrödinger-Stipendiat Edin Muratspahić (re.) forscht im Team von Nobelpreisträger David Baker: „Für meine Karriere ist es eine einmalige Chance, Kooperationen mit weltberühmten Wissenschaftler:innen aufzubauen.“ © Ian C. Haydon, UW Institute for Protein Design

Mit Computational Protein Design können Forschende die Grundbausteine von Organismen völlig neu gestalten und maßgeschneiderte Proteine herstellen. Für seinen entscheidenden Beitrag auf diesem Forschungsgebiet erhielt David Baker, Institute for Protein Design der University of Washington, den Nobelpreis für Chemie, gemeinsam mit Demis Hassabis und John M. Jumper von Google DeepMind, die für die Vorhersage von 3D-Proteinstrukturen mit künstlicher Intelligenz geehrt wurden. Baker gelang es 2003 erstmals, ein völlig neues Protein herzustellen. Seither hat sein Forschungsteam zahlreiche anwendungsorientierte Proteine erzeugt, darunter Medikamente, Impfstoffe, Nanomaterialien und winzige Sensoren.
 

Herr Muratspahić, wie war die Stimmung nach der Bekanntgabe des Nobelpreises?

Edin Muratspahić: Wir haben natürlich ausgiebig gefeiert. Unsere Forschungsgruppe besteht aus rund 150 Personen, da kam schnell eine große Party zustande. Inzwischen sind wir wieder bei der Arbeit und haben mit David Baker intensiv darüber gesprochen, dass der Nobelpreis uns als Gruppe weitere Türen öffnet. Ich forsche im medizinischen Bereich, und es gibt zahlreiche Krankheiten, für die wir mit unseren Methoden neue Medikamente entwickeln können.

Das Team stellt Proteine her, die es in der Natur noch nicht gibt. Warum ist das interessant?

Muratspahić: Viele bekannte Medikamente, wie zum Beispiel das Insulin, sind Proteine. Diese kommen oft in der Natur vor und werden als Therapeutika in ihrer natürlichen Form oder chemisch modifiziert eingesetzt. Aber diese Möglichkeiten sind begrenzt. Mit Proteindesign können wir Proteine von Grund auf neu entwickeln und in Krankheitsprozesse eingreifen, die bisher nicht oder nur unzureichend adressierbar waren. So entwickeln wir neue Medikamente, die viel spezifischer, effektiver und sicherer wirken. Darüber hinaus eröffnen diese Technologien in vielen anderen Bereichen neue Perspektiven. Unsere Gruppe stellt zum Beispiel neue Materialien her und entwickelt Enzyme, die Kunststoffe abbauen können.

Wie hilft Ihnen dabei die künstliche Intelligenz, kurz KI?

Muratspahić: Durch KI-Modelle sind wir effizienter und die vorhergesagten Strukturen genauer. Mit traditionellen Methoden dauerte es üblicherweise Monate oder Jahre, um einem geeigneten Molekül auf die Spur zu kommen. Heute liefert die KI innerhalb von wenigen Tagen hunderttausende mögliche Designs, aus denen ich die vielversprechendsten auswähle und im Labor teste.

Welchen Herausforderungen widmen Sie sich in diesem Forschungsbereich?

Muratspahić: Ich beschäftige mich mit G-Protein-gekoppelten Rezeptoren, einer Gruppe von signalvermittelnden Proteinen. Etwa ein Drittel aller zugelassenen Medikamente wirken über diese Rezeptoren – sei es zur Behandlung von Schmerzen, Diabetes oder Parkinson. Allerdings gibt es unter den rund 800 Arten dieser Rezeptoren in unserem Körper viele, auf die wir mit den bisherigen Werkzeugen nicht einwirken können. Hier setze ich Proteindesign ein, um Möglichkeiten zu entwickeln, die Rezeptoren zu beeinflussen. So können wir die Wirkmechanismen der Rezeptoren entschlüsseln und neue Behandlungsansätze entdecken.

Dem Nobelpreisträger für Chemie, David Baker, gelang es 2003 erstmals, ein völlig neues Protein herzustellen. Seither hat sein Forschungsteam zahlreiche anwendungsorientierte Proteine erzeugt, darunter Medikamente, Impfstoffe, Nanomaterialien und winzige Sensoren.

junger männlicher Forschender mit weißem Labormantel, braunen Harren und Brille im Labor
Edin Muratspahić forscht mithilfe von KI an der Entdeckung und Herstellung von neuen Proteinen, die völlig neue Therapiemöglichkeiten eröffnen. © Ian C. Haydon, UW Institute for Protein Design

Wie kam es dazu, dass Sie in David Bakers Team arbeiten?

Muratspahić: Mir war schon in meinem ersten Jahr als Doktorand klar, dass ich im Labor von David Baker arbeiten wollte. Dank eines Marietta-Blau-Stipendiums des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung konnte ich erste Auslandserfahrungen in Australien sammeln. Danach bewarb ich mich um das FWF-Schrödinger-Stipendium, um meine Forschung im Labor von David Baker fortzusetzen. Beim ersten Versuch hat es nicht geklappt, aber David ermutigte mich, an meiner Idee festzuhalten. Ich habe mich erneut beworben und hatte Erfolg.

Was bedeutet es für Ihre berufliche Laufbahn, im Team eines Nobelpreisträgers mitzuarbeiten?

Muratspahić: Für meine Forschungskarriere ist es eine einmalige Chance, Kooperationen mit weltberühmten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aufzubauen. Dieses Netzwerk möchte ich nach Österreich zurückbringen, um dort eine eigene Forschungsgruppe aufzubauen. Auch persönlich bedeutet es mir sehr viel, Teil dieser passionierten Forschungsgruppe zu sein. Ich bin mit 15 Jahren aus Bosnien nach Österreich gekommen und habe viel Zeit und Mühe investiert, um bis hierher zu kommen.

Wie sehen Ihre nächsten Schritte aus?

Muratspahić: Derzeit arbeite ich am Manuskript für meine erste Publikation aus dem Baker-Labor. Langfristig ist es mein Ziel, wieder nach Wien zurückzukehren. Dafür braucht es aber genügend Gruppenleiterstellen, um jungen Forschenden eine akademische Karriere in Österreich zu ermöglichen.
 

Edin Muratspahić ist Postdoktorand im Labor von David Baker, Nobelpreisträger für Chemie und Direktor des Institute for Protein Design der University of Washington in Seattle. Muratspahić studierte an der Universität Wien und an der Medizinischen Universität Wien, wo er sich auf die Signalübertragung in Zellen mittels G-Protein-gekoppelten Rezeptoren spezialisierte. Vom Wissenschaftsfonds FWF wurde dem Nachwuchsforscher das Schrödinger-Stipendium verliehen, eine Förderung, die jungen, in Österreich tätigen Wissenschaftler:innen die Mitarbeit an führenden ausländischen Forschungsstätten ermöglicht.