Zu Gast beim Führer
Das heutige Erscheinungsbild von Schloss Kleßheim in Salzburg geht wesentlich auf Um- und Ausbauten in der Zeit des Nationalsozialismus zurück. Auf Wunsch von Adolf Hitler wurde es 1940 als „Gästehaus des Führers“ repräsentativ und auf höchstem technischem Stand etabliert. Dazu zählte auch, das ehemalige barocke Jagdschloss im Stil der nationalsozialistischen Ästhetik prunkvoll auszustatten. Weder Kosten noch Mühen wurden dafür gescheut, denn „das Bauvorhaben war als kriegswichtig mit der Dringlichkeitsstufe I eingestuft“, erzählt Imma Walderdorff im Gespräch mit scilog.
NS-Geschichte in Kleßheim
Die Kunsthistorikerin hat in einem dreijährigen Forschungsprojekt mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF anhand einer Fülle an Dokumenten Ausstattung, Funktion und die kulturpolitische Bedeutung dieses für die NS-Zeit wichtigen Schlosskomplexes erstmals wissenschaftlich bearbeitet. „Schloss Kleßheim nimmt im Vergleich zu anderen Repräsentationsbauten der NS-Politspitze aufgrund der massiven Umbauten jedenfalls eine Sonderstellung ein“, erklärt Walderdorff. Der Schlosskomplex sei ein besonderer Ausdruck von Machtdemonstration und vermeintlicher Geschmackssicherheit gewesen. So wurde etwa das Gelände mit Eingangsportalen versehen, auf denen monumentale Adlerskulpturen thronen. Es wurde ein eigener Bahnhof eingerichtet und vieles mehr. In Kleßheim trafen sich alle NS-Größen, und Hitler empfing dort Gleichgesinnte wie Benito Mussolini, den Rumänen Ion Antonescu oder den ungarischen „Reichsverweser“ Miklós Horthy. Um die Geschichte des Schlosses umfassend aufarbeiten zu können, hat Imma Walderdorff internationale Archive in Berlin, Koblenz, München, Paris und Washington durchforstet, mit Zeitzeugen gesprochen, wie etwa den Nachfahren der Künstler, und die Inventarlager des Landes Salzburg durchkämmt, in dessen Besitz das Schloss heute ist. Zudem erhielt sie weltweite Unterstützung von Provenienzforscherinnen und -forschern (darunter USA, Deutschland, Polen Tschechien, Frankreich). Dabei hat die Kunsthistorikerin überraschende Entdeckungen gemacht. Unter anderem stellte sie fest, dass nicht nur der Salzburger Kunsthändler Friedrich Welz, wie bis dahin angenommen, die Ausstattung für das Schloss lieferte, sondern der unbekannte Berliner Unternehmer Arthur Heinrich Kreiser, der Hauptlieferant von Möbeln, Gemälden, Teppichen und Dekor war.
Kriegsankäufe und verschollene Depots
Insgesamt konnte die Wissenschafterin in den Beständen des Landes Salzburg unter anderem 20 Gemälde als Kriegsankäufe identifizieren. Wobei lediglich eines über Friedrich Welz gekauft und 19 über Arthur H. Kreiser erworben wurden. Woher die Bilder kamen, wer also ihre Eigentümerinnen und Eigentümer sind, ist nicht bekannt. Viele von ihnen sind noch in Verwendung des Landes. Lieferlisten mit Inventarnummern lassen auf ein großes Depot schließen, mit dem Kreiser seinen Antiquitäten- und Kunsthandel bewerkstelligte. Die höchste Nummer, die in Kleßheim gefunden wurde, lautet 46.277. – Das wirft viele Fragen für die Provenienzforschung auf: Um welches Depot handelt es sich? Woher bezog Kreiser seine Waren und wohin haben sie sich verteilt? Darüber hinaus identifizierte Imma Walderdorff auch Möbelstücke und asiatische Vasen als Kriegsankäufe aus Berlin. Sie fand auch verschollene Miniaturen aus der berühmten Sammlung Czernin, die im Salzbergwerk Lauffen bei Bad Ischl gestohlen und durch Zufall in Salzburg wiedergefunden wurden und deshalb kurzfristig in Kleßheim lagerten. Zudem konnte die Kunsthistorikerin die Meinung des Landes Salzburg widerlegen, dass weitere Gemälde aus dem vormaligen erzbischöflichen Besitz seien. Die Bilder sind vielmehr Leihgaben von Wiener Museen, die Joseph Goebbels besorgt hatte, um Schloss Kleßheim als Residenz für die Sommerfestspiele auszuschmücken, noch bevor es zum Gästehaus umfunktioniert wurde.
Wichtiger Beitrag der Grundlagenforschung
Mit dem neuen wertvollen Wissen, das aus dem FWF-Projekt hervorgeht, hat Walderdorff nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur Aufarbeitung des NS-Kunstraubs und -handels geleistet. Ihre umfassende Quellenbearbeitung sowohl die Umbauten betreffend als auch die Einrichtung mit Fokus auf Fragen der Provenienz, dokumentieren erstmals die Funktion und kulturpolitische Bedeutung dieses NS-Repräsentationsbaus. Walderdorff bringt ihre Expertise inzwischen unter anderem als Mitglied des „Arbeitskreis Provenienzforschung“, in der „Kommission für Provenienzforschung“ beim Bundeskanzleramt und für das Land Salzburg ein. Die Forschungsergebnisse über das „Gästehaus des Führers“ werden im Herbst 2017 in der Schriftenreihe des Salzburger Landesarchivs veröffentlicht.
Zur Person Die Kunsthistorikerin Imma Walderdorff hat 2010 über die Salzburger Residenz an der Universität Wien dissertiert. Vor der Forschungsarbeit zum Schloss Kleßheim hat Walderdorff die Geschichte der berühmten Privatsammlung Czernin aufgearbeitet. Ihr Forschungsfokus liegt auf kulturhistorischen und -politischen Themen sowie der Raub- und Beutekunst (Provenienzforschung).
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