Neues Wissen, die Basis für Innovationen, entsteht dort, wo Regionen die Voraussetzungen dafür schaffen. Dieses Know-how ist nicht leicht übertragbar, wie aktuelle Forschungen zeigen. Die Grafik zeigt Forschungsnetzwerke in Europa. © AIT/Scherngell

Wie sich Unternehmen in bestimmten Gegenden ansiedeln und welche Effekte sich daraus für die Region ergeben, ist ein zentrales Thema im Gebiet der Wirtschaftsgeografie. Die damit verbundenen Fragen sind von hohem Interesse für die Politik, wenn es darum geht, Arbeitsplätze langfristig zu sichern. In der traditionellen Sicht der Wirtschaftsgeografie entscheiden die Faktoren Arbeit und Kapital über die Attraktivität eines Wirtschaftsstandorts, also wie hoch die Kosten für die Unternehmen sind und ob günstiges Personal vorhanden ist. Seit einiger Zeit gewinnt allerdings die Fähigkeit, neues Wissen zu produzieren und in Innovation umzusetzen, stark an Bedeutung. Denn trotz immer besser werdender Kommunikationsmedien ist in manchen Regionen viel wertvolles Wissen, insbesondere spezialisiertes Know-how für bestimmte Wirtschaftszweige räumlich gebunden, da dieses Wissen nur über persönlichen Austausch übertragbar ist. Beispiele sind das Silicon Valley oder in Österreich der Grazer Autocluster sowie der Wiener Biotechnologie-Cluster. Eine Forschungsgruppe vom Austrian Institute of Technology (AIT) in Wien hat nun in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt ein neues Modell entwickelt, das die für Wissensproduktion relevanten Faktoren simuliert und dabei Vorgänge detailliert wie nie zuvor abbilden kann. So soll etwa der Effekt innovationsfördernder Maßnahmen besser als bisher abschätzbar sein. Projektleiter Thomas Scherngell erklärt den Zugang.

Wissen für Innovation räumlich gebunden

„Regionen, die besonders innovativ sind, haben langfristige Wettbewerbsvorteile und weisen gegenüber weniger innovativen Regionen eine positive sozioökonomische Entwicklung auf“, erklärt Scherngell. „Es gibt in der Innovationsforschung starke empirische Evidenz und ein gutes Verständnis darüber, dass neues Wissen, das die Grundlage für Innovation darstellt, stark räumlich lokalisiert ist.“ Ein derartiges innovationsfreundliches Milieu sei nur sehr schwer im geografischen Raum übertragbar. „Es ist gewissermaßen im Kopf von Forscherinnen und Forschern gebunden“, so Scherngell. „Das führt zu diesem starken Lokalisierungseffekt, sodass sich in einem bestimmten wirtschaftlichen Sektor Wettbewerbsvorteile ergeben.“

Patentanmeldungen als Maß für Innovation

Nachdem die räumliche Bindung von Innovation und ihre Wichtigkeit für die nachhaltige Entwicklung von Regionen bekannt ist, ging es den Forschenden nun darum, zu verstehen, warum Innovationen in manchen Regionen besser und nachhaltiger generiert werden als in anderen. Es wird versucht, die wichtigsten Einflussfaktoren für die Innovationskapazität von Firmen, Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in einer Region zu identifizieren. Als Maß für den innovativen Output dient dabei die Menge an Patentanmeldungen. „Ein Patent ist zwar per se noch keine Innovation, dennoch sind Patente der beste Indikator für neues Wissen mit dem Ziel der kommerziellen Verwertbarkeit“, erklärt Scherngell. Bereits in der Vergangenheit gab es Modelle, um diese Effekte zu simulieren. Dabei habe man sich allerdings nicht die einzelnen Firmen, sondern die Region als Ganzes angesehen. Scherngell spricht hier von Gebieten, die etwa die Größe der österreichischen Bundesländer haben. In dem FWF-Projekt wurde nun versucht, ein Modell zu entwickeln, das auf einer tieferen Ebene ansetzt, wie Scherngells Kollege Manfred Paier erklärt.

Agentenbasiertes Modell

„Der Fokus auf der Ebene von aggregierten Regionen ist eine Schwachstelle der bisherigen Modelle“, sagt Paier. Das Bild sei zu grob. „Wir haben versucht, eine Ebene tiefer zu gehen und uns die Organisationen in der jeweiligen Region anzusehen.“ Paier spricht von einem „agentenbasierten“ Modell. Ein Agent ist in diesem Zusammenhang eine Einheit in einem Modell, die sich mit anderen Einheiten austauschen kann, also etwa eine Firma, die mit einer anderen Wissen austauscht. „Agentenmodelle beschäftigen sich normalerweise mit eng umgrenzten Anwendungsgebieten wie Verkehrsströme, Materialflüsse, das Verhalten von Fußgängerinnen und Fußgängern. In unserem Fall ist das anders. Was wir abbilden, sind Wissensbestände und Wissensflüsse.“ Als Ergebnis liefert das Modell die Patentaktivität einer Region – wie viele Patente von den Firmen angemeldet werden und welche technologische Spezifizierung sie haben. „So können wir einerseits eine größere Heterogenität einer Region darstellen und andererseits auch die Dynamik von Entwicklungen besser in den Griff kriegen. Wir beschäftigen uns mit individuellen Prozessen auf Firmenebene und individuellen Entscheidungen von Firmen, mit anderen zu kooperieren“, sagt Paier. Er weist aber darauf hin, dass die Ergebnisse nicht auf der Ebene einzelner Firmen interpretiert werden können, sondern dass Aussagen nur auf regionaler Ebene gültig sind. Paier streicht heraus, dass die Parameter des Modells auf empirischen Daten basieren. Diesen Aspekt untersuchte Projektmitarbeiterin Martina Neuländtner. Sie hat sich intensiv mit den Möglichkeiten der empirischen Initialisierung, Kalibrierung und Validierung des Modells beschäftigt. Das ist für agentenbasierte Modelle bisher unüblich. „Wir haben einen Prozess entwickelt, wie wir die empirischen Daten in das Modell einfügen und es kalibrieren“, erklärt Paier. „Speziell Letzteres ermöglicht eine praxisnahe Anwendung des Modells, etwa in Hinblick auf die Erfassung der Wirkungen von politischen Interventionen.“

Folgeprojekt

Ziel des auf zweieinhalb Jahre angelegten und Ende 2018 abgeschlossenen Projekts war also die Entwicklung eines neuen Modells, das als Entscheidungshilfe für die Politik dienen kann. In einem direkten Folgeprojekt, das ebenfalls vom FWF finanziert wird, beschäftigt sich die Forschungsgruppe nun stärker mit anwendungsorientierten Fragen, indem regionale Innovation in Europa und China verglichen wird. Hier soll sich das neue Modell in einem praxisnahen Setting beweisen.

Zu den Personen

Thomas Scherngell ist Wirtschaftsgeograf am Austrian Institute of Technology (AIT). Er interessiert sich unter anderem für die Geografie der Innovation, insbesondere von Innovationsnetzwerken, und die statistische Analyse des Zusammenhangs von Innovation und sozio-ökonomischer Entwicklung. Manfred Paier ist Innovationsforscher am Austrian Institute of Technology (AIT). Der studierte Physiker interessiert sich unter anderem für Innovation, regionale Fragen zu Forschung und Entwicklung, sowie agentenbasierte Modelle zur Simulation von Wirtschaftssystemen.

Publikationen

Dünser, M., M. Paier, A. Unger, M. Barber and T. Scherngell: Regional Knowledge Creation and R&D Collaboration in Europe: Specification of an empirical agent-based model. SSRN Working Paper No. 3456085, 2018

Vermeulen, B. and M. Paier, (Eds.): Innovation Networks for Regional Development. Concepts, Case studies, and Agent-Based Models. Economic Complexity and Evolution, Springer International Publishing 2017