Der Physiker Christoph Hitzenberger war maßgeblich an der Entwicklung der Optischen KohĂ€renztomografie beteiligt. FĂŒr seine Arbeit, die die Augenheilkunde revolutioniert hat, erhielt er 2017 den Fritz J. und Dolores H. Russ-Preis. © Christoph Hitzenberger

„Ich war sehr ĂŒberrascht und wusste gar nicht, dass ich nominiert war“, erinnert sich Christoph Hitzenberger an das Telefonat, in dem er erfahren hat, dass er den Fritz-J.-und-Dolores-H.-Russ-Preis erhalten hatte. Der stellvertretende Leiter des Zentrums fĂŒr Medizinische Physik und Biomedizinische Technik der Medizinischen UniversitĂ€t Wien erhielt diesen Preis Anfang des Jahres gemeinsam mit dem kurz nach der Verleihung verstorbenen Kollegen Adolf Fercher und drei US-amerikanischen Forschern. Vergeben wird die Auszeichnung, die auch „Nobelpreis der Ingenieurwissenschaften“ genannt wird, von der US National Academy of Engineering (NAE) fĂŒr technologische Entwicklungen, die „signifikante Auswirkungen auf die Gesellschaft hatten und zur Verbesserung des menschlichen Wohlbefindens beitrugen“.

Augenheilkunde revolutioniert

Die beiden Forscher aus Wien waren maßgeblich an der Entwicklung der Optischen KohĂ€renztomografie (OCT) beteiligt. – Einem Untersuchungsverfahren, das vor allem in der medizinischen Bildgebung eingesetzt wird. Diese Technologie ermöglicht beispielsweise kleinste VerĂ€nderungen an der Netzhaut des Auges sichtbar zu machen. „Das hat die Diagnose und Verlaufskontrolle von Erkrankungen in der Augenheilkunde revolutioniert“, sagt Hitzenberger.

Die AnfÀnge

Adolf Fercher und Christoph Hitzenberger waren Pioniere auf diesem Gebiet. Fercher, bis 2008 Leiter des Bereichs fĂŒr Medizinische Physik an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien, gelang es 1986 erstmals das menschliche Auge mit der Technik der Laser-Interferometrie zu vermessen. Allerdings hat die Messung damals noch 15 Minuten gedauert. „Es war unglaublich mĂŒhsam. Man musste die Interferometerspiegel mechanisch mit Mikrometerschrauben alle zehn Mikrometer verstellen“, erinnert sich Hitzenberger an die AnfĂ€nge. 1987 wurde er als junger Assistent vom neu berufenen Professor Adolf Fercher an das Institut fĂŒr Medizinische Physik geholt. Zuvor hatte er als Physiker im Bereich der Festkörperphysik gearbeitet. „Ich hatte auf diesem Gebiet noch nichts gemacht, aber niemand hatte das damals“, erzĂ€hlt Hitzenberger. „Von OCT war noch keine Rede, niemand wusste, wohin sich das entwickeln wĂŒrde.“

Operation des Grauen Stars

Zu dieser Zeit wurde die LĂ€nge des Auges mit Ultraschall gemessen. Diese Untersuchung braucht man fĂŒr die Operation des Grauen Stars, bei der die trĂŒbe Augenlinse entfernt und durch eine Linse aus Kunststoff ersetzt wird. Damit die Patientinnen und Patienten nach der Operation nicht erneut fehlsichtig sind, muss man das Auge genau vermessen, um die Brechkraft der neuen Linse genau anpassen zu können. „Die Ultraschalltechnik war dafĂŒr nicht genau genug und auch ziemlich unbequem“, so Hitzenberger.

„Nur wer risikoreiche Projekte fördert, kann die Technologien der Zukunft entwickeln.“ Christoph Hitzenberger

Meilensteine der Entwicklung

Das interferometrische Verfahren, das Fercher entwickelt hatte, war zwar genauer, aber aufgrund der Langsamkeit nicht an Patientinnen und Patienten anwendbar. 1987 begann Hitzenberger somit an der Verbesserung des Verfahrens zu arbeiten, 1990 kam der erste große Durchbruch: Erstmals konnte an Patientinnen und Patienten gemessen werden – allerdings noch eindimensional. Der nĂ€chste große Schritt waren zweidimensionale Bilder. „Da waren die Kollegen aus dem  Massachusetts Institute of Technology, die den Russ-Preis ebenfalls erhalten haben, schneller als wir“, erinnert sich Hitzenberger.

Funktionelle Erweiterungen

Heute dauert eine dreidimensionale Messung des Auges zwischen zwei und drei Sekunden, die neuesten Prototypen schaffen es sogar in Bruchteilen einer Sekunde. Die aktuelle Forschung auf diesem Gebiet geht in Richtung funktioneller Erweiterungen, so kann man zum  Beispiel auch den Blutfluss messen. Aktuelle Forschungsprojekte der Gruppe um Christoph Hitzenberger beschĂ€ftigen sich mit der Weiterentwicklung der Technik wie der sogenannten „Mehr-Strahl-OCT“: Statt nur eines einzigen werden gleichzeitig mehrere Messstrahlen eingesetzt. Durch verschiedene Kombinationen der Signale dieser Strahlen gewinnt man zusĂ€tzliche Informationen wie zum Beispiel den genauen Blutfluss durch die Netzhaut. Das aktuelle Forschungsprojekt, das sich damit befasst, wird vom FWF gefördert.

„Preis ist auch eine Auszeichnung fĂŒr den FWF“

Dieses ist eines von insgesamt zehn vom FWF geförderten Projekten, an denen Hitzenberger in verschiedenen Funktionen bereits gearbeitet hat –, ob als Mitarbeiter oder spĂ€ter als Projektleiter. „Ohne die UnterstĂŒtzung des FWF wĂ€re ich heute nicht da, wo ich bin. Der Russ-Preis ist deshalb auch eine Auszeichnung fĂŒr den FWF“, betont der Physiker.

Aus einer Arztfamilie 


Aus einer Familie von Medizinerinnen und Medizinern stammend, entscheidet sich Hitzenberger ganz bewusst dafĂŒr, etwas anderes zu machen. Sein besonderes Interesse gilt schon zur Schulzeit der Physik und der Mathematik. Er liest als Jugendlicher Biografien von Wissenschaftern wie Albert Einstein und Niels Bohr. – Das sind seine Vorbilder. Als Maturant eines Wiener humanistischen Gymnasiums wĂ€hlt er mit diesem Studium einen unĂŒblichen Weg und hat auch in den ersten Semestern an der UniversitĂ€t Wien viel in Mathematik nachzuholen.

... ĂŒber die Festkörperphysik 


Hitzenberger weiß von einer Studie, die besagt, dass nur wenige AbgĂ€ngerinnen und AbgĂ€nger eines humanistischen Gymnasiums Naturwissenschaften studieren, diese aber erfolgreich sind. „Der Grund dafĂŒr liegt wohl darin, dass diese Studierenden ein wirkliches Interesse an diesen FĂ€chern haben. Ohne dieses Interesse bringt man es in Studien wie Mathematik und Physik nicht weit“, erlĂ€utert der 59-JĂ€hrige.

... ins Wiener Allgemeine Krankenhaus

Über die Tatsache, dass er sich zwar vorgenommen hatte, auf jeden Fall etwas anderes als der Großteil seiner Ärztefamilie zu machen, dann aber mit dem Umweg ĂŒber die Festkörperphysik doch im AKH gelandet ist, muss Hitzenberger freilich schmunzeln.

„Ich wĂŒnsche mir in Österreich ein Tenure-Track-System.“ Christoph Hitzenberger

„In Österreich stockt meine Karriere“

Das Zentrum fĂŒr Medizinische Physik und Biomedizinische Technik der Medizinischen UniversitĂ€t Wien ist nach der Emeritierung von Professor Fercher als Fusion von zwei Instituten entstanden. Hitzenberger ist seither Stellvertretender Leiter des Zentrums am WĂ€hringer GĂŒrtel in Wien. „Da ich keine ordentliche Professur habe, sind meine Leitungsbefugnisse jedoch beschrĂ€nkt“, bedauert Hitzenberger. Seit seiner Habilitierung 1993 empfindet er seine Karriere als stockend. „Ich habe Funktionen in internationalen Gremien, bin Editor in Chief einer der wichtigsten Zeitschriften auf diesem Gebiet, ich genieße  internationale Anerkennung – auch jetzt mit dem Russ-Preis – aber in Österreich stockt meine Karriere seit zwanzig Jahren“, zieht der Wissenschafter Bilanz.

Christoph Hitzenberger erhĂ€lt immer wieder Anfragen von amerikanischen Unis, die hĂ€nderingend guten Nachwuchs suchen. Seine Studierenden haben einen guten Ruf. © Christoph Hitzenberger

Hierarchisches System

Woran das liegt? Christoph Hitzenberger sieht das Problem im hierarchischen System der österreichischen UniversitĂ€ten. Wenn er mit amerikanischen Kolleginnen und Kollegen spricht, können diese gar nicht verstehen, weshalb er keine volle Professur hat. Hitzenberger wĂŒrde sich in Österreich ein System wie das US-amerikanische Tenure-Track wĂŒnschen. Dabei hat jeder die Chance, nach einer befristeten BewĂ€hrungszeit eine Lebenszeitprofessur zu erhalten. Man wird alle paar Jahre evaluiert. FĂ€llt die Evaluierung positiv aus, steigt man auf. „An jeder amerikanischen UniversitĂ€t wĂ€re ich Full Professor“, sagt Hitzenberger.

Kein Grund, ins Ausland zu gehen

Dass er das hier nicht ist, fĂŒhrt der Physiker darauf zurĂŒck, dass er im Laufe seiner Karriere nicht lĂ€ngere Zeit im Ausland gearbeitet hat. DafĂŒr gab es mehrere GrĂŒnde: „Anfangs hĂ€tte es fĂŒr mich keinen Sinn gemacht. Ich hĂ€tte damals nirgends das lernen können, was ich hier gemacht habe. Wir waren die Pioniere. “ SpĂ€ter gab es private GrĂŒnde. Als Vater eines Sohnes hĂ€tte er entweder seine Familie zurĂŒcklassen mĂŒssen, oder seine Frau hĂ€tte ihre eigene Karriere aufgeben mĂŒssen. Beides wollte er nicht. Seine Frau, ebenfalls Physikerin, ist heute Vizerektorin an der UniversitĂ€t Wien. Sein mittlerweile 27-jĂ€hriger Sohn fĂŒhrt die „Tradition“ weiter und macht etwas ganz anderes: Er ist Japanologe und studiert an der Diplomatischen Akademie.

„Die niedrige Bewilligungsrate fĂŒhrt dazu, dass risikoreiche Projekte gar nicht eingereicht werden.“ Christoph Hitzenberger

Postdocs im Ausland sehr begehrt

Am Beispiel der Studierenden seines Institutes sieht Christoph Hitzenberger die Schwierigkeit, gute Leute zu halten. Man investiere viel in die Ausbildung der Studierenden, sie wĂŒrden viel lernen und dann weggehen, weil sie hier keine Perspektive hĂ€tten, erklĂ€rt der Wissenschafter. „Diejenigen, die profitieren, sind auslĂ€ndische UniversitĂ€ten und Firmen. Ich bekomme immer wieder Anfragen von amerikanischen Unis, die hĂ€nderingend nach guten Postdocs suchen. Unsere AbgĂ€nger sind sehr angesehen, wir haben eine guten Ruf.“

Förderung risikoreicher Forschung

FĂŒr den FWF, den er als ganz zentral fĂŒr seine wissenschaftliche Karriere ansieht, wĂŒnscht sich der Physiker mehr Geld. „Die niedrige Bewilligungsrate fĂŒhrt dazu, dass auch gute Projekte abgelehnt werden und dass risikoreiche Projekte erst gar nicht eingereicht werden“, bedauert er und nennt seine eigene Arbeit als Beispiel: „Die Arbeiten, die wir in den 1990er-Jahren begonnen haben, das waren Risikoprojekte. Niemand wusste damals, wohin das alles fĂŒhren wird und ob man das brauchen kann. Heute wĂŒrde das vermutlich nicht gefördert werden“, sagt Hitzenberger und fĂŒhrt aus: „Nur wenn man solche Projekte fördert, ist man in der Lage, die Technologie der Zukunft zu entwickeln. Nur in Projekte zu investieren, von denen man weiß, dass sie funktionieren, das fĂŒhrt nicht zu großen wissenschaftlichen DurchbrĂŒchen!“


Christoph Hitzenberger ist stellvertretender Leiter des Zentrums fĂŒr Medizinische Physik und Biomedizinische Technik der Medizinischen UniversitĂ€t Wien. Gemeinsam mit dem im MĂ€rz 2017 verstorbenen Kollegen Adolf Fercher und drei US-amerikanischen Kollegen aus dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) erhielt Hitzenberger fĂŒr die Entwicklung der Optischen KohĂ€renztomografie (OCT) Anfang 2017 den Fritz-J.-und-Dolores-H.-Russ-Preis der United States National Academy of Engineering (NAE). Der Wiener Forscher studierte Physik und Mathematik an der UniversitĂ€t Wien und habilitierte sich 1993.


Mehr Informationen zu FWF-geförderten Projekten von Christoph Hitzenberger hier.