Viel Bewegung während des Schlafens kann auf eine Schlafstörung hindeuten. © Florian Lechner/MUI

Arthur Schopenhauer verglich in seinen Aphorismen zur Lebensweisheit den Schlaf des Menschen mit dem Aufziehen einer Uhr. Doch wieviel Bewegung im gesunden Schlaf steckt, war lange nicht genau definiert. Die Datenlage hierfür war bis vor kurzem großteils veraltet erklärt Birgit Högl, Leiterin des Schlaflabors an der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Innsbruck: „Was wir über ‚normale‘ Bewegungen im Schlaf wissen,  stammt zum Teil immer noch aus der Zeit, als die schlafende Person durch ein Fenster beobachtet und handschriftliche Protokolle angefertigt wurden. Aufgezeichnet wurden nur sichtbare und starke Bewegungen wie Umdrehen, Zuckungen oder heftiges Ausschlagen. Für die Diagnose einer Schlafstörung werden heute im Labor Hirnstromkurven, Augenbewegungen, Muskelspannung an Kinn, Armen und Beinen, verschiedene Atmungsparameter, EKG, Ton und Infrarot-Video simultan aufgezeichnet“, erklärt Högl. Unterstützt vom Wissenschaftsfonds FWF wurden im Projekt „Motorische Aktivität im Schlaf in Gesundheit und Krankheit“ – repräsentativ und zeitgemäß – Normwerte für physiologischen Schlaf erhoben, die international große Beachtung fanden.

Wer träumt, rührt sich besser nicht

Da sich viele Schlafstörungen in ungewöhnlich bewegtem Schlaf manifestieren, stand das Normalmaß an motorischer Aktivität im Fokus dieses klinischen Grundlagenprojekts. Untersucht wurden hundert Frauen und Männer (60/40) zwischen 19 und 77 Jahren. Die Testpersonen wurden anhand eines Fragebogeninterviews von einem Marktforschungsinstitut vorausgewählt. Anschließend erfolgte ein ausführliches schlafmedizinisches Interview an der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck, um klinisch relevante Schlafstörungen auszuschließen wie zum Beispiel Einschlaf- und  Durchschlafschwierigkeiten, Restless-Legs-Syndrom, Schlafwandeln, Ausagieren von träumen, Narkolepsie oder andere Erkrankungen mit übermäßiger Einschlafneigung tagsüber, Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus oder Hinweise auf Störung der Atmung im Schlaf. Auf diese Weise wurden aus mehr als 400 Personen 100 „gesunde Schläferinnen und Schläfer“ ausgewählt, die im Schlaflabor nach dem State of the Art verkabelt wurden.

Im Schlaflabor werden zahlreiche Parameter, von Augenbewegungen bis zu Muskelspannung, simultan gemessen. © Florian Lechner/MUI

Auch gesunder Schlaf ist bewegt

Während der Traumphase (REM-Schlaf) sind die Muskeln bei gesunden Menschen sinnvollerweise lahmgelegt, da sie sonst sich und andere beim Ausagieren des Geträumten in Gefahr bringen würden. Durch die präzisen Messungen hat das Team viel darüber gelernt, was alles in die Kategorie „normal“ fällt. „Auch supergesunde Schläfer bewegen sich in der Nacht mehr, als wir angenommen haben“, erklärt Birgit Högl im Gespräch mit scilog. Im REM-Schlaf (Träumen) und im Non-REM-Schlaf wurden bei den Gesunden mehrere Muskelzuckungen pro Stunde gemessen – bei Männern noch mehr als bei Frauen. Die klinische Bedeutung kleiner unregelmäßiger Muskelzuckungen, die sich im Video und den Muskelableitungen zeigen, ist noch unklar. Sie könnten aber einfach mit der Tagesverfassung zusammenhängen. Vermutlich muss die American Academy of Sleep Medicine (AASM) überarbeiten, wieviel Muskelzucken als krankhaft bewertet wird. Umgekehrt sind Muskelbewegungen während der Traumphase Vorboten neurodegenerativer Erkrankungen wie etwa Parkinson. Diese Schlafstörung tritt im Schnitt mehr als zehn Jahre vor anderen körperlichen Symptomen auf. Neuere Studien weisen darauf hin, dass die REM-Schlafstörung bei bis zu sechs Prozent der über 50-Jährigen vorkommt. Die Ergebnisse des FWF-Projekts werden aktuell in zwei Folgeprojekten vertieft. Zum einen werden in einem bilateralen Projekt (Österreich - Argentinien) einfache Screening-Methoden für REM-Schlafstörung untersucht, zum anderen wird mit dem Austrian Institute of Technology (AIT) an der automatisierten 3D-Analyse von Bewegungen im Schlaf gearbeitet. Und im Springer-Verlag ist soeben das weltweit erste umfassende Kompendium zu REM-Schlafstörung erschienen, das Birgit Högl mitherausgegeben hat.


Zur Person Birgit Högl ist Professorin für Neurologie und Leiterin des Schlaflabors an der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Innsbruck. Sie hat ihren Abschluss an der Technischen Universität München gemacht, forschte zu extrapyramidalen Störungen und Schlaf in Buenos Aires, Argentinien und am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München.


Publikationen

Schenck, Carlos H., Högl, Birgit, Videnovic, Aleksandar (Eds.): Rapid-Eye-Movement Sleep Behavior Disorder, Springer 2019
Högl B, Stefani A, Videnovic A.: Idiopathic REM sleep behaviour disorder and neurodegeneration – an update, in: Nature Reviews Neurology 2018
Stefani A, Heidbreder A, Brandauer E, Guaita M, Neier LM, Mitterling T, Santamaria J, Iranzo A, Videnovic A, Trenkwalder C, Sixel-Döring F, Wenning GK, Chade A, Poewe W, Gershanik OS, Högl B.: Screening for idiopathic REM sleep behavior disorder: usefulness of actigraphy, in: Sleep 2018
Stefani A, Gabelia D, Mitterling T, Poewe W, Högl B, Frauscher B.: A Prospective Video-Polysomnographic Analysis of Movements during Physiological Sleep in 100 Healthy Sleepers, in: Sleep 2015
Frauscher B, Gabelia D, Biermayr M, Stefani A, Hackner H, Mitterling T, Poewe W, Högl B: Validation of an integrated software for the detection of rapid eye movement sleep behavior disorder, in: Sleep 2014