Konsum- und Investitionsentscheidungen hängen von vielen Faktoren ab, wie der Risikobereitschaft oder dem Vergleich mit anderen. Ein Forschungsprojekt hat möglichst viele dieser Parameter in Berechnungen einbezogen. Daraus lassen sich Motive und ideale Entscheidungen ableiten. Quelle: Unsplash © Unsplash

Man muss „Keeping Up with the Kardashians“ nicht gesehen haben, um zu wissen, dass diese US-amerikanische Promi-Millionärsfamilie einen exquisiten Lebensstil hat und ihren Status mit entsprechenden Ausgaben pflegt. Ihr nachzueifern, ist finanziell nur sehr wenigen Menschen weltweit gegeben. Dass und wie sehr der Vergleich mit anderen Haushalten uns aber beeinflusst, wie überhaupt Risikobereitschaft, Statusdenken oder Verlustaversion unser ökonomisches Handeln bestimmen, wird in der Neuen Erwartungstheorie (Prospect Theory) abgebildet.

Lange gingen ökonomische Modelle davon aus, dass ein vernunftgetriebener Homo oeconomicus in rationaler Weise nutzenoptimierte Entscheidungen trifft. Gerade die Insolvenz der Kryptobörse FTX zeigte aber zuletzt wieder, dass vor allem in turbulenten Zeiten emotional motiviertes Verhalten eine große Rolle spielt und die allgemeine Panik rundherum auch das Handeln jedes und jeder Einzelnen beeinflussen kann. Diese menschlichen Faktoren in unseren Entscheidungen finden schon seit Längerem den Weg in das wissenschaftliche Theoriegebäude und Ökonomin Jaroslava Hlouskova hat in Formeln abgeleitet, wie unsere Psychologie auf unterschiedliche Weise Einfluss auf Konsum- und Investitionsentscheidungen nimmt.

Formeln finden

Hlouskova, die am Institut für Höhere Studien (IHS) tätig ist, hat sich schon immer für das menschliche Verhalten interessiert und versucht, mit mathematischen Methoden ökonomische Entscheidungen abzubilden. Die Ableitungen und Formeln ergänzen Theorien der Mainstream-Ökonomie, in denen Emotionen tunlichst außen vor gehalten werden. „Der Referenzwert spielt eine zentrale Rolle bei Entscheidungen, muss also berücksichtigt werden. Wir bewerten eine Entscheidung immer relativ zu einem Referenzpunkt, d. h. wir vergleichen unseren Konsum etwa mit dem Konsum eines Freundes oder einer Arbeitskollegin“, sagt Jaroslava Hlouskova. Sie hat, unterstützt vom Wissenschaftsfonds FWF, das Verhalten privater Haushalte unter der „Neuen Erwartungstheorie“ untersucht.

Diese Theorie erhebt Verlustaversion und Referenzabhängigkeit zu wichtigen Einflussfaktoren in wirtschaftlichen Entscheidungssituationen. Verlustaversion bezeichnet die Tendenz, bei Entscheidungen mögliche Verluste (Verschlechterungen) relativ zum Referenzpunkt höher zu gewichten als mögliche Gewinne (Verbesserungen) relativ zum Referenzpunkt. Die Referenzabhängigkeit beschreibt, dass der Nutzen einer Handlungsalternative – im konkreten Fall etwa, einen bestimmten Teil des Einkommens für Konsumzwecke auszugeben oder mehr oder weniger risikoreich zu investieren – nicht am endgültigen Vermögensstand gemessen wird, sondern an Veränderungen im Verhältnis zu einer Referenz(gruppe). Diese Referenz können dabei die Kardashians sein, die Alleinerziehende nebenan oder die Kolleg:innen in der Abteilung.


So kann man sich (ent)täuschen: Die beiden orangen Punkte in der Mitte sind exakt gleich groß. Unsere Wahrnehmung hängt davon ab, mit welcher Referenzgröße (graue Punkte) wir sie vergleichen.


Drei Messlatten für Berechnungen

Die Spezialistin für quantitative Ökonomie errechnete Lösungen für die drei verschiedenen Typen von Haushalten, jene mit sehr hohem Referenzpunkt (ehrgeizige Haushalte), jene mit sehr niedrigem Referenzpunkt (konservative Haushalte) und jene mit durchschnittlichem Referenzpunkt: „Wir haben alle unterschiedliche Präferenzen. Wie und welche Referenz wir wählen, ob Gleichrangige, besser Verdienende oder schlechter Gestellte, kann ich mit meiner Forschung nicht beantworten. Ich nehme Referenzlevels als fixe Parameter, also als gegeben an, und diese liefern dann Ergebnisse, die sehr unterschiedlich ausfallen können.“

In den von Hlouskova verwendeten Zwei-Perioden-Modellen kann allerdings die Referenz in der zweiten Periode von jener in der ersten Periode (oder auch vom gewählten Konsum in der ersten Periode) abhängen: „Ich habe etwa die optimale Konsum- und Investitionsentscheidung in einem Zwei-Perioden-Life-Cycle-Modell abgeleitet. Hier muss der Haushalt zu Beginn der ersten Periode entscheiden, wie viel Konsum und Investment ihm wichtig ist. Dies übt wiederum Einfluss auf das Einkommen, und somit auf den Konsum, in der zweiten Periode aus.“

Verhalten verstehen

Es galt, viele unbekannte Parameter rechnerisch in den Griff zu kriegen. Hlouskovas Formeln spiegeln unterschiedliche Entscheidungen und das Motiv Angst ganz gut wider. Kooperiert hat sie in ihrer Arbeit mit den Ökonom:innen Ines Fortin am IHS und Peter Tsigaris von der Thompson Rivers University in Kanada. Ihre Forschung fördert vor allem theoretische Ergebnisse zutage, die nicht unmittelbar umsetzbar sind. Für politische Entscheidungsträger:innen sind sie dennoch interessant, wenn es um das Verständnis von optimalen Entscheidungsprozessen geht, etwa in der konkreten Gestaltung von Steuern auf Einkommen oder Kapitalerträge. Was sich deutlich zeigt: „Der Vergleich nach oben stiehlt die Freude“, fasst es Jaroslava Hlouskova ganz kurz zusammen. Die Zufriedenheit nimmt mit steigendem Referenzpunkt (etwa Referenzkonsum) ab. Am zufriedensten sind jene, die sich nicht mit anderen vergleichen.

Ebenfalls gut zu sehen ist, dass ehrgeizige Investor:innen (solche mit hohem Referenzpunkt) ihre riskanten Investments in schlechten Zeiten erhöhen, während konservative Investor:innen (solche mit niedrigem Referenzpunkt) dies in guten Zeiten tun. Außerdem agieren ehrgeizige Investor:innen bei steigendem Referenzpunkt noch riskanter. Sie stecken also mehr Geld in riskante Veranlagungen, während konservative Anleger:innen bei steigendem Referenzpunkt im Gegenteil weniger Geld in riskante Veranlagungen investieren.


Zur Person

Jaroslava Hlouskova ist Senior Researcher am Institut für Höhere Studien (IHS) Wien in der Forschungsgruppe Makroökonomik und Konjunktur. Sie studierte numerische Mathematik in Bratislava und absolvierte das postgraduale Programm in quantitativer Finanzwirtschaft am IHS.Hlouskova hat an der Wirtschaftsuniversität in Bratislava und an der Thompson Rivers University (Kanada) geforscht, war Fellow am International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) und Beraterin bei der Europäischen Zentralbank. Sie ist Mitglied des Komitees der slowakischen Agentur für Forschung und Entwicklung (APVV). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Verhaltensökonomie und die Prognose von wirtschaftlichen Zeitreihen, Finanzzeitreihen und Rohstoffpreisen. Das Projekt „Modellierung des Verhaltens privater Haushalte unter der ‚Neuen Erwartungstheorieʽ“ (2016–2022) wurde vom Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen des Karriereprogramms Elise-Richter mit 293.000 Euro gefördert.


Publikationen

Fortin I., Hlouskova J.: Prospect theory and asset allocation, IHS Working Paper series 42, June 2022

Hlouskova J., Tsigaris P.: Capital income taxation under full loss offset provisions of a prospect theory investor, in: Public Finance and Management, Special Issue on Behavioral Public Finance, Vol. 20/1, 2021

Hlouskova J., Fortin I., Tsigaris P.: The consumption-investment decision of a prospect theory household: A two-period model with an endogenous second period reference level, in: Journal of Mathematical Economics, Vol. 85, 2019