Er zählt zu den kreativsten und einflussreichsten Forschenden in seinem Bereich. Der Quantenphysiker Hans J. Briegel von der Universität Innsbruck ist Österreichs Wittgenstein-Preisträger 2023. © FWF/Dominik Pfeifer

Ihre Grundlagenforschung liegt am Schnittpunkt von Quanteninformationsverarbeitung, maschinellem Lernen und Philosophie. An welchen Entwicklungen arbeiten Sie konkret?

Hans J. Briegel: Wir untersuchen die Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI), das heißt von Modellen lernfähiger Agenten, die wir zum Teil selbst entwickeln, auf Probleme der Quantenphysik. Die Form des maschinellen Lernens, um die es hier geht, wird mit dem Begriff bestärkendes Lernen (oder Reinforcement Learning) zusammengefasst. Algorithmen aus diesem Bereich halfen auf spektakuläre Weise beim Meistern des Brettspiels Go durch KI-Systeme und spielen auch in Alltagsanwendungen zunehmend eine Rolle. Wir untersuchen, wie wir diese Methoden für den Einsatz in Quantenlabors nutzen und weiterentwickeln können. Konkrete Anwendungen gibt es zum Beispiel in der Quanteninformationsverarbeitung. Quantencomputer sind äußerst komplexe und fragile Systeme mit einer Vielzahl von wechselwirkenden Teilen. Quantenbits können unbeabsichtigt untereinander oder auch mit der Umgebung interagieren. Die von uns entwickelten lernfähigen Agenten können etwa dabei helfen, Quantencomputer funktionsfähig zu halten, indem sie den Einsatz von Methoden der Quantenfehlerkorrektur steuern und an die konkrete Implementierung im Labor adaptieren. 

Können diese lernfähigen Agenten auch selbst als Algorithmen für Quantencomputer formuliert werden?

Briegel: Das ist ein zweiter Forschungsansatz, den wir verfolgen. Wir fragen uns, wie man die Quantenmechanik nutzen kann, um bessere Lernverfahren für die KI zu entwickeln. Das Wechselspiel zwischen Methoden der KI und der Quantenphysik geht also in beide Richtungen. Dieses Zusammenspiel zu erforschen, ist auch Thema unseres neuen ERC-Projekts, das vom Europäischen Forschungsrat finanziert wird. Eine naheliegende Frage in diesem Kontext ist, ob man maschinelles Lernen mithilfe von Quantentechnologien beschleunigen kann. Wir konnten bereits vor einigen Jahren zeigen, dass sich unser Modell eines lernfähigen Agenten auf eine natürliche Weise quantisieren lässt. Die Forschung in diesem Bereich steht aber erst am Anfang. Eine andere, grundsätzliche Frage ist, welchen Einfluss die künstliche Intelligenz künftig auf die Grundlagenforschung und die Wissenschaft haben wird. Auch das ist ein Thema, an dem wir arbeiten – und das mir wichtig ist.

Welche Entwicklungen sind in diesem Bereich absehbar?

Briegel: Es gibt bereits Forschungsgruppen, die an der Idee von selbstlaufenden Labors arbeiten. Damit wird auch die Wissenschaft selbst zu einem gewissen Grad automatisiert und Teilaufgaben werden in Zukunft an spezialisierte KI Systeme übergeben. Das ist ein dynamisches neues Feld und langfristig betrachtet wird die Wissenschaft dadurch transformiert werden. Es ist deswegen alles andere als klar, wie unsere Labors und unsere theoretische Arbeit in wenigen Jahrzehnten aussehen werden. Wichtig ist, dass wir uns nicht mit KI-Systemen zufrieden geben, die wie Orakel eingesetzt werden und uns nur Ergebnisse präsentieren.

„Wichtig ist, dass wir uns nicht mit KI-Systemen zufrieden geben, die wie Orakel eingesetzt werden und uns nur Ergebnisse präsentieren.“ Hans J. Briegel

KI-Systeme, die allein auf tiefen neuronalen Netzen aufbauen, sind bisher meistens Blackbox-Systeme, bei denen schwer zu verstehen ist, wie der Output mit dem Input zusammenhängt, zum Beispiel, woran es genau liegt, dass ein Bild auf die eine oder andere Weise klassifiziert wird. Für manche Anwendungen, etwa für eine Wetter-App, mag das ausreichend sein. In der Wissenschaft wollen wir aber verstehen, wie wir zu einem bestimmten Ergebnis kommen. Das wollen wir in Zukunft auch von einer KI. Eine Möglichkeit wäre, die Mittel des Wittgenstein-Preises für die Weiterentwicklung erklärbarer KI in der Grundlagenforschung, insbesondere in der Quantenphysik, zu verwenden. 

Warum ist dieses Forschungsvorhaben besonders relevant?

Briegel: Es trägt zu einem besseren Verständnis der prinzipiellen Reichweite künstlicher Intelligenz bei. Bleibt sie vor allem ein Optimierungs- und Klassifizierungswerkzeug oder kann man sie noch wesentlich weiterentwickeln – kommt da noch mehr? Eine zentrale Frage ist, ob künstliche Agenten theoretisch dazu fähig sind, auch selbst Modelle zu bilden. Das ist eine Fähigkeit, die wir nutzen, um unsere Erfahrungen zusammenzufassen, Prognosen zu machen, diese in neuen Experimenten zu testen, und so die Welt zu ergründen. Es ist eine Grundstruktur von dem, was wir Verstehen nennen. Wenn wir KI-Systeme hätten, die lernen, indem sie eigene Modelle bilden und diese Modelle auch kommunizieren können, wäre das ein großer Fortschritt.

Was motiviert Sie zu Ihrer wissenschaftlichen Arbeit?

Briegel: Als Physiker möchte ich natürlich verstehen, was die Welt im Innersten zusammen hält (lacht). Die vergangenen Jahre meiner Forschungstätigkeit waren auch durch viel Interaktion mit anderen Disziplinen bestimmt – vor allem mit der Philosophie. Zusammen mit Thomas Müller an der Universität Konstanz untersuchen wir beispielsweise, wie man die Idee von Freiheit und Handlungsfähigkeit (auf englisch: agency) im Rahmen der Quantenphysik besser verstehen kann. Das ist eine philosophische Frage, aber ich denke, dass die Physik hierzu etwas beitragen kann. Die Quantenmechanik ist die erste physikalische Theorie, in der die Rolle des Beobachters mathematisch formal beschrieben ist. Es ist aber nicht klar, was denn einen Beobachter genau ausmacht und ob der Begriff hier nicht überhaupt zu kurz greift. Experimentieren ist ja mehr als Beobachten. Eine bessere Frage lautet daher, was macht ein handlungsfähiges System aus und wie passen künstliche lernfähige Agenten in diese Einordnung? Das ist im Hinblick auf die Entwicklung künstlicher Intelligenz und was sie für uns bedeuten wird eine entscheidende Frage. 

Zur Person

Hans J. Briegel ist Professor und Leiter der Forschungsgruppe Quantum Information & Computation am Institut für Theoretische Physik an der Universität Innsbruck. Er studierte Physik und Philosophie in München und Edinburgh. Zu den weiteren Stationen seiner Karriere gehören unter anderem ein Postdoc-Fellowship an der Harvard University, eine Gastprofessur an der Universität Konstanz sowie die langjährige Leitung einer Forschungsgruppe als Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Quantenphysik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck. 2022 wurde Hans Briegel mit einem ERC Advanced Grant ausgezeichnet.

Zum Projekt

Quanteninformationssysteme und die künstliche Intelligenz sind nicht nur wesentliche Elemente in der derzeitigen technischen Entwicklung. Sie werden künftig auch grundlegenden Einfluss auf wissenschaftliche Arbeitsweisen haben, indem sie eine Beschleunigung und weitgehende Automatisierung der Wissensgenerierung erlauben. Hans Briegel untersucht mit seinem Team nicht nur grundlegende Aspekte und Potenziale von Quanteninformationssystemen und autonom agierenden künstlichen Intelligenzen, sondern bearbeitet auch philosophische Fragestellungen zur prinzipiellen Handlungsfähigkeit physikalischer Systeme.

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