Wie Beziehungspflege Schweine beeinflusst

Jean-Loup Raults Probanden sind besonders. Sie lernen schneller als Hunde und haben ausgeprĂ€gte Persönlichkeiten. Sie formen enge Freundschaften mit Artgenossen und interagieren gerne mit Menschen. Zudem haben ihre Gehirne dieselbe Struktur wie jene von uns Menschen. âSchweineâ, erklĂ€rt der Forscher, âsind sehr intelligent und haben ein komplexes Sozialleben und Sozialverhalten.â Am Beispiel Schwein lĂ€sst sich viel ĂŒber die Beziehung von Menschen und Tieren lernen.
Raults Fachgebiet, die Tierschutzforschung, fokussierte sich lange darauf, Stress, Aggression oder Angst an Tieren zu erkennen. Die positiven Emotionen waren da auĂen vor. âBislang gibt es nur wenige wissenschaftliche Indikatoren, die zeigen, ob ein Tier uns wirklich magâ, sagt Rault. Mit dem Projekt âMechanismen positiver Mensch-Tier-Interaktionenâ, das der Wissenschaftsfonds FWF fördert, will er diese WissenslĂŒcke ein StĂŒck weit schlieĂen.
Mit seinem Team möchte er herausfinden, welche tierischen Verhaltensweisen eine positive Interaktion mit dem Menschen ausmachen. Ihn interessiert, wie sich dadurch kurzfristig die Neurotransmitterstoffe in den Gehirnen der Schweine und langfristig die Gehirnentwicklung und das Immunsystem der Tiere verÀndern. Um diese Fragen zu beantworten, verwendet er Methoden der Verhaltensbiologie, der Neurowissenschaften, der Psychoneuroimmunologie, der Physiologie und der Proteomik.
Tierschutzforschung fokussierte sich lange darauf, Stress oder Angst an Tieren zu erkennen. Mittlerweile verlagert sich der Fokus auf die Auswirkungen positiver Emotionen. Denn wissenschaftliche Belege dafĂŒr, wie gute Mensch-Tier-Interaktionen wirken, gibt es bislang nur wenige.
Das Projekt Mechanismen positiver Mensch-Tier-Interaktionen (2020â2024) wird vom FWF mit rund 400.000 Euro gefördert.
Streicheln fĂŒr die Wissenschaft
Die Probanden des Forschungsprojektes, das noch bis Oktober 2024 lĂ€uft, sind deutsche Edelschweine. Geboren wurden sie auf dem Hof Medau, einer Einrichtung der VeterinĂ€rmedizinischen UniversitĂ€t Wien. Nach dem Absetzen von der Mutter werden sie als vier bis fĂŒnf Wochen alte âTeenagerâ in Gruppen geteilt. Dann laufen vier Monate lang verschiedene Experimente.
Das erste geht der Frage nach, was positive Interaktion charakterisiert. DafĂŒr beschĂ€ftigt sich die Doktorandin Suzanne Truong ĂŒber einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen tĂ€glich mit den Schweinen, um eine positive Beziehung aufzubauen.
An zwei Tagen interagiert sie standardisiert mit den Tieren, streichelt sie wiederholt 15 Sekunden lang, gefolgt von einer ebenso langen Pause. An zwei Tagen ist die Interaktion natĂŒrlicher. Die Doktorandin streichelt die Schweine etwa lĂ€nger, wenn sie nĂ€her kommen â und geht dabei auch auf deren persönliche Vorlieben ein. Dann analysieren die Forschenden, wie sich die Schweine verhalten. âWir wollten diese Arten von Interaktion vergleichen, um zu sehen, ob der natĂŒrliche Ansatz eine andere Reaktion hervorruftâ, erklĂ€rt Rault. Aktuell interpretiert er mit seinem Team die Erkenntnisse.
Schweinehirne Àhneln menschlichen Gehirnen
Mit einem weiteren Experiment will er herausfinden, wie positive Interaktion mit Menschen die Neurotransmitterstoffe in den Gehirnen der Tiere verĂ€ndert. âDas Gehirn eines Schweines hat die gleiche Struktur wie das menschliche. Machen Schweine positive Erfahrungen, sehen wir, dass gewisse Regionen, die mit Emotionen verbunden sind, etwa die Amygdala, sich verĂ€ndernâ, erklĂ€rt Rault. Dabei kommen Ă€hnliche Hormone zum Einsatz, die auch bei Menschen aktiv sind.
Damit der Tierschutzforscher diese VerĂ€nderungen messen und analysieren kann, legen ein TieranĂ€sthesist und ein Tierarzt der VeterinĂ€rmedizinischen UniversitĂ€t die Schweine in Narkose und platzieren einen Katheter in deren WirbelsĂ€ulen. Danach können sich die Tiere einige Tage erholen. AnschlieĂend interagiert die Postdoktorandin Oceane Schmitt positiv mit den Tieren. In unterschiedlichen AbstĂ€nden werden dann maximal 0,2 Milliliter an Gehirn-RĂŒckenmark-FlĂŒssigkeit durch den Katheter entnommen. In dieser FlĂŒssigkeit, auch Liquor genannt, befinden sich Neurotransmitterstoffe, die vom Gehirn freigesetzt wurden. Der Liquor bildet sich in den Körpern der Tiere tĂ€glich nach.
Oxytocin und die anderen ĂŒblichen VerdĂ€chtigen
âWir analysieren die Proben auf die ĂŒblichen VerdĂ€chtigen der Neurotransmitter â wie Oxytocin, Dopamin und Serotoninâ, so Jean-Loup Rault. âOxytocin soll unter anderem fĂŒr Bindung verantwortlich sein und Dopamin fĂŒr den Wunsch, etwas zu tun. Bei Opioiden geht es u. a. darum, dass man sich gut fĂŒhlt. Auch Serotonin ist daran beteiligt. Wir sind dabei die Ersten, die diese Stoffe, die zusammenwirken, auch gemeinsam betrachtenâ, erklĂ€rt Rault. VorlĂ€ufige Ergebnisse zeigen, dass sich Dopamin- und Serotoninlevel im Liquor nach positiven Interaktionen mit Menschen verĂ€ndern.
Neben Neurotransmittern befinden sich auch Proteine im Liquor. Kolleg:innen von der Ăsterreichischen Akademie der Wissenschaften (ĂAW) untersuchen, wie sich deren Gehalte verĂ€ndern. Hier begeben sich die Forschenden auf unbekanntes Terrain. âWir wollen herausfinden, ob sich etwas verĂ€ndert, von dem wir nichts wissen â schlieĂlich gibt es 30.000 Proteineâ, so Rault.
âDas ist wirklich schönâ
Das dritte Experiment stellt die Frage: VerĂ€ndern positive Interaktionen das Immunsystem und die Gehirnentwicklung der Schweine? DafĂŒr werden sie vor Beginn der Forschungen sediert und in einen Magnetresonanztomografen geschoben, der ihr Gehirn abbildet.
FĂŒr zwölf Wochen lebt schlieĂlich eine HĂ€lfte der Schweine ohne positive Interaktionen. Mit der anderen HĂ€lfte beschĂ€ftigte sich die Postdoktorandin Oceane Schmitt tĂ€glich. Am Ende der Studie kommen die Tiere erneut in den MRT-Scanner. âWir sehen, dass einige Regionen stĂ€rker entwickelt oder verbunden sind, wenn die Tiere positive Erfahrungen hattenâ, erklĂ€rt Rault. Eine ist die Amygdala, der Teil des Gehirns, der Emotionen reguliert.
âDas ist wirklich schön. Es zeigt, dass wir, je nachdem, wie wir mit Tieren interagieren, Einfluss darauf nehmen können, wie diese mit Situationen oder ihren GefĂŒhlen umgehen â und dies wahrscheinlich ihr ganzes Leben langâ, sagt der Tierschutzforscher. Das sei besonders bemerkenswert, weil sich die Menschen nur wenige Minuten tĂ€glich mit den Schweinen beschĂ€ftigten.
Den Fokus auf positive Erfahrungen richten
Mit seiner Forschung beschreitet Jean-Loup Rault eine neue Richtung in der Tierschutzforschung, die sich lange auf negative Erfahrungen fokussierte. Gemeinsam mit anderen fĂŒhrenden Forschenden definierte er im JĂ€nner 2024 erstmals den Begriff âpositive Tierschutzforschungâ. âWir haben anerkannt, dass es darum geht, dass das Tier positive Erfahrungen macht und positive GefĂŒhle hat und sich so fĂŒhlt, als könne es sein Leben selbst bestimmenâ, erklĂ€rt er. Wie glĂŒcklich und zufrieden ein Tier ist, das zeigen seine Experimente, können Menschen beeinflussen.
Zur Person
Jean-Loup Rault leitet das Institut fĂŒr Tierschutzwissenschaft und Tierhaltung der VeterinĂ€rmedizinischen UniversitĂ€t Wien. Dort forscht er an den Schnittstellen Physiologie, Tierverhalten und Neurowissenschaften. Er studierte Agrar-, Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften sowie Tierwissenschaften und Ethnologie in Angers und Paris. Rault promovierte in Animal Behaviour and Wellbeing an der Purdue University in West Lafayette, USA, und forschte unter anderem am Animal Welfare Science Center der UniversitĂ€t Melbourne, Australien. FĂŒr seine Arbeit erhielt er unter anderem den New Investigator Award der International Society of Applied Ethology (ISAE).
AusgewÀhlte Publikationen
Rault J., Hintze S., Camerlink I., & Yee J. R.: Positive Welfare and the Like: Distinct Views and a Proposed Framework, in: Frontiers in Veterinary Science 2020
Rault J., Waiblinger S., Boivin X., & Hemsworth P.: The Power of a Positive HumanâAnimal Relationship for Animal Welfare, in: Frontiers in Veterinary Science 2020
Rault J.: Be kind to others: Prosocial behaviours and their implications for animal welfare, in: Applied Animal Behaviour Science 2019