Wie beeinflussen Menschen die Nahrungssuche von Tieren?
Welche Fragen wollen Sie mit Ihrem Projekt beantworten?
Petra Sumasgutner: Ich will lernen, mit welchen Strategien Greifvögel an Nahrung kommen und welchen Einfluss der Mensch auf ihre Nahrungssuche hat. Je mehr wir über die Nahrungsstrategien wissen, desto leichter ist es, effiziente Schutzmaßnahmen zu entwickeln.
Mit welchen Daten und Methoden arbeiten Sie?
Sumasgutner: Ich arbeite mit GPS-Daten und mit solchen, die aus Accelerometern, also mehrachsigen Beschleunigungssensoren, gewonnen werden. Damit kann man darstellen, wohin sich etwa ein Greifvogel bewegt, wie er sich bewegt, wann er frisst und jagt. So lassen sich Jagd- und Nahrungsstrategien quantitativ messen.
In der Ökologie lässt sich der Einfluss der Infrastruktur oft kaum von jenem der menschlichen Aktivität differenzieren. Während der Lockdowns im Rahmen der Coronapandemie wurden diese Faktoren zum ersten Mal entkoppelt. Das ist eine große Chance. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren das Global Anthropause Raptor Research Network aufgebaut. Darin sind derzeit Daten gebündelt, die rund 500 Greifvogelforscher:innen auf der ganzen Welt in dieser Zeitspanne gesammelt haben. Aktuell sind es unter anderem drei Millionen Datenpunkte aus 135 GPS-Datensätzen von 65 Forschungsteams und 3.148 Individuen. Mithilfe von maschinellem Lernen bringe ich diese Daten zusammen und werte sie aus. Diese globale Analyse verbinde ich mit zwei detaillierten Studiensystemen – einem aus der Kategorie der Beutegreifer und einem aus der Aasfresser-Kategorie –, um Algorithmen zu entwickeln, mit denen wir die Nahrungsstrategien entschlüsseln können.
Welche sind das konkret?
Sumasgutner: Eines beschäftigt sich mit Kolkraben an der Konrad Lorenz Forschungsstelle im Almtal in Oberösterreich. Kolkraben sind ein wichtiger Bestandteil der Gruppe der Aasfresser, das heißt, sie sind keine aktiven Jäger, sondern darauf spezialisiert, verendete Tiere zu finden, die ihnen entweder durch Beutegreifer wie Bär oder Wolf angezeigt werden oder auch durch den Menschen (Jagdaufbrüche oder Verkehrsopfer). In diesem Studiensystem kann ich experimentell testen, wie sich menschliches Verhalten auf Aasfresser auswirkt, und Störungen, etwa durch Wanderer, simulieren und das Verhalten der Raben analysieren. Dazu werde ich etwa 60 Kolkraben mit Accelerometer-Sensoren ausstatten.
„Wir wissen nicht genau, was menschliche Umweltveränderungen mit den Nahrungssystemen von Greifvögeln machen.“
Bei der zweiten Analyse geht es um Sumpfohreulen auf der Insel Floreana im Galapagos-Archipel. 2023 will man dort vom Menschen eingeschleppte, sogenannte invasive Arten entfernen – dazu zählen Mäuse, Ratten und Straßenkatzen –, da sie die endemische Tierwelt, wie die berühmten Darwinfinken, gefährden. Die Galapagos-Sumpfohreule ist der einzige natürlich vorkommende Beutegreifer in diesem System und hat sich mittlerweile daran angepasst, hauptsächlich Mäuse zu erbeuten. Ich will herausfinden, wie sich ihr Jagd- und Fressverhalten verändert, wenn dieses Beutespektrum plötzlich wegfällt und die Eulen wieder auf ihre ursprüngliche, natürliche Beute umstellen müssen. Dazu statte ich etwa 50 der Eulen mit Accelerometer-Sensoren aus.
Welche Forschungslücke schließen Sie damit?
Sumasgutner: Greifvögel sind bislang stiefmütterlich behandelt worden. Wir wissen, dass Menschen einen negativen Einfluss haben, wir wissen aber nicht genau, was menschliche Umweltveränderungen mit ihren Nahrungssystemen machen. In Bezug auf die Eulen im Galapagos-Archipel weiß man etwa noch nicht, wie sie ihr Jagd- und Brutverhalten ändern, wenn es keine Mäuse mehr gibt, und wie lange es dauern wird, bis sich das Ökosystem regeneriert.
Welche Rolle spielt der START-Preis für Ihre Forschung?
Sumasgutner: Ich kann mich und mein Projekt damit unabhängig in Österreich etablieren. Der Großteil des Geldes geht in Gehälter. Ich werde eine:n Datenbank-Manager:in einstellen, der:die Daten zusammenbringt, sortiert und bearbeitet. Mit einem Postdoc möchte ich gemeinsam die Daten im Global Anthropause Raptor Research Network analysieren. In den Forschungsprojekten mit den Sumpfohreulen und den Kolkraben möchte ich mit Doktoratsstudierenden arbeiten und so auch jungen Forschenden die Möglichkeit geben, sich wissenschaftlich zu etablieren.
Haben Sie wissenschaftliche Vorbilder?
Sumasgutner: Ja, mehrere. Eine ist die Ornithologin Anita Gamauf. Sie war meine PhD-Betreuerin und Mentorin und hat mich immer unterstützt. Als sie 2018 verstorben ist, hat sie eine große Lücke hinterlassen, die manchmal zu groß erscheint, um sie zu füllen. Aber ich bemühe mich. Ein weiteres Vorbild ist der Greifvogelexperte Leslie Brown, der mich mit seinen detaillierten Beobachtungen von Greifvogelverhalten inspiriert und ganz entscheidende Bücher zur Greifvogelforschung verfasst hat.
Petra Sumasgutner ist Postdoc in der Abteilung für Kognitions- und Verhaltensbiologie der Universität Wien an der Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau im Almtal. Sie absolvierte ein Lehramtsstudium für Biologie, Umweltkunde und Französisch und initiierte 2010 das Turmfalkenprojekt Wien. 2014 promovierte sie an der Universität Wien im Fachbereich Zoologie. In den darauffolgenden Jahren forschte Sumasgutner im Rahmen von Stipendien an den Universitäten Turku und Kapstadt und war an Kollaborationsprojekten mit der Universität Montpellier, der Universität Lund, der Universität Glasgow und der Universität Ulaanbaatar beteiligt. Seit 2020 arbeitet und forscht sie an der Konrad Lorenz Forschungsstelle der Universität Wien.
Zum Projekt
Im Rahmen des Projekts „Acceleration for Food“ erforscht Petra Sumasgutner mithilfe von Beschleunigungssendern, wie sich Futtersuchstrategien von Tieren durch menschlich verursachte Umweltauswirkungen verändern. Dabei analysiert sie mithilfe von maschinellem Lernen Datensätze, die Greifvogelforscher während der Lockdowns aufgrund der Coronapandemie sammelten. Die daraus entstandenen Algorithmen werden auf Datensätze, die vorher aus experimentellen Versuchen gewonnen werden, angewandt.
Der START-Preis
Das Karriereprogramm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Der START-Preis ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt neben dem Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.