Portrait Polina Kameneva
Die Entwicklungsbiologin und FWF-START-Preisträgerin Polina Kameneva will herausfinden, welche Mechanismen einer Krebserkrankung bei Kindern zugrunde liegen. Im Mittelpunkt ihrer Fragestellung steht dabei die erste Phase nach einer Mutation von der gesunden Zelle zur Krebszelle. © FWF/Daniel Novotny

Frau Kameneva, warum interessiert Sie gerade die erste Phase nach einer Mutation?

Polina Kameneva: Wir wissen noch sehr wenig über die Ereignisse, die dazu führen, dass aus einer gesunden Zelle eine erste Krebszelle entsteht. Bislang sind die Prozesse, die unmittelbar nach einer krebsassoziierten Mutation ablaufen, verborgen und wir erkennen sie erst rückblickend, wenn der Tumor bereits entstanden ist. Bei Krebserkrankungen im Kindesalter ist die Situation besonders schwierig, weil sie während der Entwicklung des Fötus im Mutterleib entstehen können. Mein Ziel ist es, die zugrunde liegenden Mechanismen und Prinzipien am Beginn der Krebsentstehung im Kindesalter zu untersuchen. Dabei konzentriere ich mich auf das Neuroblastom, den häufigsten soliden, also festen und lokal begrenzten Tumor außerhalb des Schädelbereichs bei Kindern. Mit diesem Wissen können wir in weiterer Folge erforschen, mit welchen Therapien man der Krebsentstehung entgegenwirken kann.

Von welcher Hypothese gehen Sie in Ihrem Projekt aus?

Kameneva: Krebserkrankungen im Kindesalter sind eng mit der Entstehung des Organismus verbunden. In dieser Zeit entwickeln sich Stammzellen zu funktionsfähigen Körperzellen. Mutationen, die zu Krebs führen, können in jeder Phase dieses Prozesses auftreten. Meine Forschung basiert auf der Hypothese, dass die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, selbst bei identischen Mutationen unterschiedlich ist und davon abhängt, in welchem Entwicklungsstadium sich die Zelle befindet. Es ist bekannt, dass es Zellen gibt, die trotz Mutationen nicht zu Krebszellen werden. In meinem Projekt möchte ich herausfinden, in welchen Entwicklungsstadien Zellen anfällig oder geschützt sind und warum.

Zur Person

Polina Kameneva begann ihre wissenschaftliche Karriere in der Meeresbiologie, bevor sie sich der Erforschung der Krebsentstehung in den Neurowissenschaften widmete. Nach einem dreijährigen Forschungsaufenthalt am Karolinska Institutet in Schweden wechselte sie 2021 an das Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien. Seit Juni 2024 leitet Kameneva eine Forschungsgruppe der St. Anna Kinderkrebsforschung.

„Ich möchte herausfinden, in welchen Entwicklungsstadien Zellen anfällig oder geschützt sind und warum.“ Polina Kameneva

Mit welchen Schritten wollen Sie diese Forschungsfrage beantworten?

Kameneva: Die Idee des Projekts ist es, Mutationen in einem Experiment kontrolliert auszulösen und die Zellentwicklung in den folgenden Tagen zu verfolgen. Dazu werde ich mit meinem Team 3D-Organoide entwickeln, Strukturen aus menschlichen Stammzellen, die die Entstehung eines Organs nachahmen. Wir werden das fötale periphere Nervensystem und die Nebennieren nachbilden, wo auch die Krebszellen des Neuroblastoms entstehen können. In unseren Modellen können wir gezielt Neuroblastom-assoziierte Mutationen einführen, um zu sehen, mit welchen genetischen Regulationsmechanismen die Zellen reagieren. Mit diesem Forschungsansatz können wir diejenigen Zellen charakterisieren, die vom normalen Entwicklungsweg abweichen und sich zu den ersten Krebszellen entwickeln.

Welche Bedeutung hat der START-Preis für Ihre Forschungsarbeit?

Kameneva: Der START-Preis ist in meiner Situation ein echter Gamechanger. Das liegt vor allem daran, dass unsere Methoden wie 3D-Organoide und Einzelzellsequenzierung sehr kostspielig sind. Wir müssen sie einsetzen, um die menschlichen Aspekte der Krebsentstehung zu verstehen, denn sie liefern eine noch nie dagewesene Menge an Detailinformationen. Die Förderung ermöglicht es mir, mit diesen Technologien zu arbeiten, und gibt mir die Sicherheit, die Experimente umfassend und kontrolliert durchzuführen. Außerdem kann ich durch den START-Preis mehr jungen Menschen die Chance geben, einen Abschluss in der biomedizinischen Forschung anzustreben. Ich bin überzeugt, dass wir viele kluge Köpfe brauchen, die sich der anspruchsvollen Aufgabe der Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Kinderkrebserkrankungen stellen.

Zum Projekt

Das Projekt „Modelling Pediatric Tumor Initiation with Human Stem Cells“ untersucht die Entwicklung von Neuroblastomen, einer Tumorart, die vor allem im frühen Kindesalter auftritt. Mit ihrer Forschung will Polina Kameneva neue Einblicke in Krebserkrankungen gewinnen und schützende Faktoren zu Beginn der Krebsentstehung identifizieren. Dazu verwendet sie modernste Technologien, um die Bildung von Tumoren in 3D-Organoiden aus menschlichen Stammzellen zu analysieren.

„Forschende verschieben jeden Tag die Grenzen des Unbekannten.“ Polina Kameneva

Was motiviert Sie in Ihrem Forschungsalltag?

Kameneva: Als Forscher:innen verschieben wir jeden Tag die Grenzen des Unbekannten. Wir entdecken neue Mechanismen, wie sich unser Organismus entwickelt und auf zellulärer Ebene zum Leben erwacht. Für mich persönlich ist es ein unglaubliches Gefühl, wenn es mir gelingt, etwas Neues zu entdecken. Besonders motivierend sind auch die Diskussionen im Team, die Möglichkeit, von den Ideen anderer zu lernen, und zu erleben, wie gemeinsam neue Ideen entstehen. Das ist umso bedeutungsvoller, wenn man weiß, dass die Forschung, die man betreibt, einen echten Einfluss auf das Leben von Kindern haben kann.

Gibt es Vorbilder, die Sie auf Ihrem Weg begleitet haben?

Kameneva: Ich hatte stets das Glück, von anderen Forschenden unterstützt zu werden, die mir geholfen haben, als Wissenschaftlerin zu wachsen. Tatiana Orlova, Andrew Imbs und Gennady Kamenev halfen mir während meiner Doktorandenzeit. Ich bin Igor Adameyko für immer dankbar, der mir während meiner Ausbildung als Postdoktorandin ein sehr fürsorglicher und inspirierender Mentor war. In meiner neuen Position als Gruppenleiterin an der St. Anna Kinderkrebsforschung werde ich von Kaan Boztug beim Aufbau meiner eigenen Forschungsgruppe unterstützt. Außerdem bin ich Stipendiatin des Mentoring-Programms „Pathway to Independence“, einer gemeinnützigen Verlagsorganisation von Forschenden aus der Biologie, und freue mich, dort von Liz Robertson als Mentorin betreut zu werden. Ich glaube, dass ich einen großen Teil meines Erfolgs diesen Mentor:innen verdanke, und ich hoffe, dass ich in Zukunft selbst eine Mentorin für die nächste Generation von Forschenden sein kann.

Der FWF-START-Preis

Das Karriereprogramm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Der FWF-START-Preis ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt neben dem FWF-Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.