Die Informatikerin Ivona Brandić will große Rechenzentren energieeffizienter machen. Durch die zunehmende Digitalisierung werden Energieverbrauch und C02-Ausstoß in der Informations- und Kommunikationstechnologie ein immer wichtigeres Thema. © orange-foto.at

Mit zwölf Jahren besucht Ivona Brandić ihren ersten BASIC-Programmierkurs und schreibt Gedichte. Mit dreizehn gewinnt sie einen Wettbewerb in Modellbau –, damals in ganz Jugoslawien ausgeschrieben. Mit vierzehn dann die dramatische Zäsur: Sie muss mit ihrer Familie vor dem Bürgerkrieg aus ihrer bosnischen Heimatstadt fliehen. Eine Erfahrung, über die Ivona Brandić noch heute – 25 Jahre danach – kaum sprechen kann. „Krieg und Flucht sind traumatisch, aber auch die Erfahrung, plötzlich auf die fehlenden Sprachkenntnisse reduziert zu werden. Nichts anderes zählt mehr“, erinnert sich Brandić, die in Mödling, wo die Familie Zuflucht gefunden hat, zunächst eine Klasse wiederholen muss, weil sie kein Deutsch spricht. Wenn sie heute in den Medien über Flüchtlinge aus Syrien oder anderen Kriegsschauplätzen liest, weiß sie, was in diesen Menschen vorgeht.

Die HTL – Beginn einer herausragenden Karriere

Um die mangelnden Sprachkenntnisse in Deutsch und Englisch besser zu umgehen – aber auch ihrem naturwissenschaftlichen und technischen Talent folgend –, besucht sie die HTL in Mödling. Wie man sieht, eine sehr gute Entscheidung, ist das doch der Beginn einer herausragenden Karriere. An die Zeit in der HTL erinnert sich die heute 39-Jährige gerne: „Hier hat man mich in Deutsch zwar sehr unterstützt, sich aber auf das fokussiert, was ich kann.“ In den technischen Fächern ist sie von Anfang an sehr gut. Der streng durchgeplante Alltag mit Schulunterricht von 8 bis 17 Uhr gibt der Jugendlichen zusätzlich Halt in dem damals noch fremden Land.

„Der CO2-Ausstoß unseres IT-basierten Lebens ist gleich hoch wie jener der Luftfahrtindustrie.“ Ivona Brandić

Umweltfreundliche Computersysteme

Heute ist Ivona Brandić Professorin am Institut für Softwaretechnik und Interaktive Systeme der Technischen Universität (TU) Wien. Sie beschäftigt sich damit, große Rechenzentren energieeffizienter zu machen. Durch die rasant fortschreitende globale Digitalisierung wird der Energieverbrauch der Informations- und Kommunikationstechnologie ein immer wichtigeres Thema. Schon jetzt ist der durch das IT-basierte Leben verursachte CO2-Ausstoß so groß wie jener der Luftfahrtindustrie. „Diese Diskussion ist in der breiten Öffentlichkeit noch nicht angekommen“, sagt Brandić und nennt Zahlen: „Im Moment gibt es etwa 20 Milliarden Sensoren – also Geräte, die Daten produzieren wie etwa ein Smartphone. Für 2020 werden 50 Milliarden Sensoren prognostiziert.“ Jedes dieser sogenannten Devices produziert einen Datenstrom. „Um diese Mengen zu bewältigen, benötigen wir neue Formen, wie Daten gespeichert, verarbeitet und transportiert werden“, betont Brandić.

„Etwa 20 Milliarden Geräte produzieren derzeit Daten. 2020 werden es 50 Milliarden sein.“ Ivona Brandić

Daten, die wie Nomaden wandern

Um den Energiebedarf zu senken, bedarf es intelligenter Programmiertechnik, denn das Computersystem muss in der Lage sein, den eigenen Stromverbrauch zu eruieren und ihn vorherzusehen. Es muss sich selbst automatisch überwachen und managen, ähnlich wie das der Körper macht. Eine weitere Möglichkeit, Energie zu sparen ist der Transfer von Daten in Rechenzentren, die geografisch weit weg liegen können. Ist es etwa in Helsinki gerade eisig kalt, sollen ganze Datenzentren virtuell dorthin migrieren, um Energie für die Kühlung zu sparen. Facebook hat beispielsweise ein Rechenzentrum nahe dem Polarkreis. Ein weiteres großes Datenzentrum ist in Sibirien geplant. Für ihr Projekt „Rucon – Laufzeitkontrolle in Multi-Clouds“ erhielt Ivona Brandić 2015 den vom FWF vergebenen START-Preis zur Förderung exzellenter Nachwuchsforscherinnen und -forscher.

Die Abbildung zeigt, wo in einem Rechenzentrum Energieverluste entstehen: Im Netzwerk beim Routing, beim Server, im Cloud-Management-System (sozusagen, das Betriebssystem des Rechenzentrums) und bei der Applikation selbst. © Ivona Brandić/IEEE Cloud Computing

Cold data – hot data

Daten-Auslagerungen über große Distanzen eignen sich für sogenannte „cold data“, also Daten, auf die nicht oft zugegriffen werden muss, wie zum Beispiel Steuerdaten, die sieben Jahre aufbewahrt werden müssen. „Hot data“ hingegen muss häufig überschrieben und aktualisiert werden, braucht deshalb kurze Antwortzeiten und muss geografisch näher gelagert werden. Wie können Applikationen in „cold“ und „hot“ data unterschieden und fragmentiert werden? Wo macht es keinen Sinn, die Daten zum Nordpol zu schicken – oder in die Sahara, um mit Sonnenkollektoren erneuerbare Energie zu nutzen? Das ist eine der wichtigen Fragestellungen, an denen die Informatikerin arbeitet. Fragen, die auch eine politische Relevanz  haben –, wenn es um Sicherheit und Datenschutz geht. Wo und wie werden Daten gespeichert? Wer darf auf die Daten zugreifen, und was darf der Staat? „Wir sammeln immer mehr Daten und die Politik muss zeitnah Antworten liefern“, fordert Brandić.

„Die Nebeneffekte der Digitalisierung werden wir erst in 20, 30 Jahren spüren.“ Ivona Brandić

Industrielle Revolution 4.0

Man ist sich heute einig, dass die Digitalisierung unserer Welt mit der Industriellen Revolution vergleichbar ist – dementsprechend wird sie auch „Industrielle Revolution 4.0“ genannt. „Die Digitalisierung wird nicht nur immer mehr Energie benötigen, sondern auch unser Arbeits-  und Sozialleben völlig verändern“, prophezeit die Wissenschaftlerin. Was sie dabei gefährlich findet, sind Nebeneffekte wie Umweltprobleme, die auch bei der Industriellen Revolution erst später sichtbar wurden. „Damals hat man sich keine Gedanken über die Auswirkungen gemacht. Die Technologien sind weiter gewachsen und plötzlich waren die Nebeneffekte da“, sagt sie. Auch die Digitalisierung werde solche langfristigen Effekte haben. „Sie werden erst in 20, 30 Jahren spürbar sein. Wir können warten, bis die Probleme da sind, oder wir begleiten schon jetzt die Prozesse so, dass die Ressourcen möglichst effizient genutzt werden“, sagt Brandić und beschreibt damit sogleich das dahinterliegende Grundmotiv ihrer Arbeit.

Neue Arbeitsmärkte

Auch die Arbeitsprozesse und Arbeitsmärkte werden sich mit der Digitalisierung verändern: manche Berufe werden verschwinden, neue entstehen. Das wirft neue Fragen auf. Wer kann arbeiten und wer nicht? Wie werden die Ressourcen verteilt, so dass alle genug zum Leben haben? Themen wie das bedingungslose Grundeinkommen müssten wieder diskutiert werden, aber auch neue Formen und Zyklen im Arbeitsleben. „In die Schule gehen, eine Ausbildung machen und in diesem Beruf das restliche Leben arbeiten, das wird so nicht mehr funktionieren“, sagt Brandić. Sie glaubt auch, dass es neue Institutionen brauchen wird, die Menschen ein Leben lang begleiten, damit sie sich in einer häufig verändernden Arbeitswelt zurechtfinden.

Informatikerinnen und Informatiker gebraucht

Auf jeden Fall wird man in Zukunft mehr Informatikerinnen und Informatiker brauchen, ist sich Brandić sicher. „Ob ein Auto gebaut wird oder ein Haus –  überall ist Informatik.“ Wie sich dieses Berufsfeld allerdings entwickeln wird, könne man heute noch nicht sagen. Die rasante Entwicklung sieht man am Beispiel des zurzeit sehr nachgefragten Berufs des „Data Scientist“ – der eine Mischung aus Statistik und Informatik umfasst, um große Datenmengen zu analysieren, zu verarbeiten und zu interpretieren. „Zu meiner Studienzeit gab es das gar nicht. In zehn Jahren wird es wieder andere, heute noch nicht bekannte Berufe geben.

Für ihre Arbeit erhielt Ivona Brandić 2015 den vom FWF geförderten START-Preis. Im Bild ihr Team (v.l.): Stephanie Wogowitsch, Atakan Aral, Ivona Brandić, Vincenzo De Maio, Fani Bajic, Ivan Lujic. © Ivona Brandić

„Das eine hat zum anderen geführt“

Die Entscheidung für Informatik hat Ivona Brandić niemals bereut. – Bis heute ist sie  mit Begeisterung bei ihrem Fach. Nach der HTL für Nachrichtentechnik entscheidet sie sich für ein Studium der Wirtschaftsinformatik parallel an der TU Wien und der Universität Wien, „um noch etwas anderes außer Technik zu hören“, erzählt sie im Gespräch mit scilog. Diesen Zugang erkennt man auch in ihrer Forschung, verwendet sie doch in allen ihren Arbeiten auch ökonomische Ansätze. Nach der Dissertation erhält sie eine sechsjährige Postdoc-Stelle an der TU Wien, verbringt ein Jahr als Gastforscherin in Melbourne, habilitiert sich und bekommt schließlich einige Professorenstellen angeboten. Von Anfang an geplant war diese Karriere nicht. „Das eine hat zum anderen geführt“, sagt sie. „Ich habe mich immer aktiv entschieden, es aber nicht angestrebt.“ Die Triebkraft für ihre Arbeit sei immer die Freude am selbstständigen Arbeiten gewesen.

„Wir brauchen mehr Risikofreude in der Forschungsförderung.“ Ivona Brandić

In einer Minderheit

Der Frauenanteil bei den Studierenden der Informatik an der TU Wien liegt bei 15,5 Prozent, der Anteil der Absolventinnen mit 16 Prozent etwas höher. Von allen 153 Professorenstellen an der TU sind 18 von Frauen besetzt, das sind 11,8 Prozent. Sich in einer Minderheit zu befinden, scheint Ivona Brandić gewohnt zu sein: Schon in der HTL war sie das einzige Mädchen in der Klasse. Auch bei internationalen Konferenzen rund um den Globus könne sie sich sicher sein, dass jeder sich an ihren Vortrag erinnert, weil sie eine von höchstens zwei Frauen sei. Aber wie ist ihr diese Karriere gelungen? Das schreibt sie nicht nur der Begeisterung für ihre Arbeit zu, sondern auch ihrer Risikofreude: „Ich hatte keine Angst. Ich habe es einfach gemacht. Wenn man es nicht wagt, hat man schon verloren“, ist die Informatikerin überzeugt. Sie habe schon früh ihre Chancen abschätzen können und sich bei jedem Schritt überlegt, was sie tun muss, um dort hin zu kommen, wo sie hin möchte. Freiheit steht bei ihr über Sicherheit.

Mehr Risikofreude in der Forschungsförderung

Das ist auch das, was sie ihren Studierenden raten möchte: Die eigenen Chancen möglichst gut einschätzen und einfach tun! Dafür benötige es allerdings auch mehr Risikofreude in der Wissenschaftsförderung. „Es braucht mehr Förderungen für junge Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die neue Ideen haben, mit denen man ein Risiko eingeht“, wünscht sich Brandić.

Biologischer Knick

Eine der Ursachen für den geringen Frauenanteil bei den Professorenstellen ortet sie in einem „biologischen Knick“ um die Zeit der Habilitation. „Die Ungewissheit, wenn die eigene Familienplanung anfängt, die tun sich dann viele nicht mehr an und verlassen die Wissenschaft.“ Deshalb wünscht sie sich ein System, das Familie begleitend zu einer wissenschaftlichen Karriere ermöglicht –, nicht nur ab der Habilitation, sondern schon während des Studiums. „Wir brauchen nicht nur bessere Kinderbetreuung, sondern flexible Studienzugangsmöglichkeiten, wo es zum Beispiel kein studienrechtliches Problem ist, wenn man ein Jahr pausiert“, sagt Brandić.

„Der START-Preis war essenziell“

Sie selbst ist Mutter einer zweijährigen Tochter und hatte das Glück – wie sie sagt –kurz nach der Geburt ihrer Tochter den vom FWF geförderten START-Preis erhalten zu haben: „Der START-Preis war gerade in dieser Phase wirklich essenziell, denn ich konnte sofort nach meiner einjährigen Karenz an etwas Wichtigem arbeiten“, erinnert sie sich. Ein weiteres Glück war, dass ihre Mutter kurz nach der Geburt der Tochter in Pension gegangen ist, denn „ohne deren Unterstützung würde es nicht gehen“, sagt sie.


Ivona Brandić ist Professorin am Institut für Softwaretechnik und Interaktive Systeme der Technischen Universität Wien. Sie beschäftigt sich mit der Laufzeitoptimierung der ultra-scale-Systeme insbesondere in den Bereichen: Virtualisierte HPC-Systeme, energieeffiziente ultra-scale-Systeme, Cloud, Web & Workflow Quality of Service (QoS) und Service-orientierte verteilte Systeme. Brandić studierte Wirtschaftsinformatik, 2008 war sie Gastforscherin an der Universität Melbourne und 2013 habilitierte sich die Informatikerin an der TU Wien. 2015 erhielt sie für ihr Projekt „Rucon – Laufzeitkontrolle in Multi-Clouds“ den START-Preis des Wissenschaftsfonds FWF.