Autonomes Fahren will gelernt sein. Ähnlich wie beim Fliegen braucht es Übung für Übergabemanöver wie etwa von Autopilot zu manuellem Fahren. © Alexander Meschtscherjakov

Unfälle mit semi-autonom fahrenden Autos sind derzeit im Zentrum der Aufmerksamkeit. Tesla und Uber haben so leistungsfähige Assistenzsysteme implementiert – Spurhalte-Assistenten in Kombination mit Abstandshaltesystemen –, dass der Eindruck autonomen Fahrens entsteht, auch wenn die Hände eigentlich weiterhin am Lenkrad bleiben müssen. Die Unfälle der letzten Zeit sind ein Vorgeschmack auf die Probleme, die mit der nächsten Generation von Assistenzsystemen auf uns zukommen werden. Diese Hürden untersucht derzeit eine Forschergruppe vom Zentrum für Mensch-Computer-Interaktion im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekts in Salzburg. „Jede Verkehrssituation ist unterschiedlich. Wir Menschen können uns sehr leicht auf verschiedene Situationen einstellen, aber ein System, das alle Eventualitäten abdeckt, ist sehr schwierig zu realisieren“, erklärt Projektmitarbeiter Alexander Meschtscherjakov im Gespräch mit scilog. Je nach Entwicklungsstand würden autonom fahrende Autos in Klassen eingeteilt, so der Forscher: „Stufe null ist manuelles Fahren. Von Stufe eins spricht man, wenn ein Auto entweder die Spur oder den Abstand halten kann. Kann ein Auto beides, ist von Stufe zwei die Rede – zu dieser Gruppe gehören die jüngsten Unfälle. Womit wir uns beschäftigen, sind Autos der Stufe drei. Dabei müssen die Hände nicht mehr am Lenkrad sein, man macht andere Tätigkeiten.“ Die Gefahr sei dabei, dass das Fahren bis zu einem gewissen Grad verlernt werde, erklärt Meschtscherjakov: „In besonderen Situationen, wenn etwa die Sensoren ausfallen oder das Wetter schlecht ist und das System überfordert ist, muss ich als Fahrer dann übernehmen, habe aber womöglich nicht die nötige Übung.“

Selbsteinschätzung von Menschen mit wenig Fahrpraxis

Meschtscherjakovs Gruppe näherte sich dem Problem von verschiedenen Seiten. Zuerst führte man Befragungen durch, um herauszufinden, wie sich Menschen mit wenig Fahrpraxis selbst einschätzten. „Wir konzentrierten uns auf zwei Ebenen des Kontrollverlusts“, so Meschtscherjakov. „Einerseits fragten wir nach dem Selbstvertrauen, was die Einhaltung der Verkehrsregeln betrifft. Da fühlten sich die Menschen laut unseren Ergebnissen eher sicher. Die zweite Frage war, wie gut die Reaktionsfähigkeit in tatsächlichen Gefahrensituationen ist. Leute, die länger nicht gefahren sind, glauben, dass die dazu nötigen sensomotorischen Fähigkeiten eher abnehmen. Sie fühlen sich unwohl, wenn sie etwa einen LKW überholen müssen.“ Ein anderer Zugang bestand in tatsächlichen Fahrsimulationen am Computer, die sich auf das Übergabeprozedere konzentrierten, wenn die Software die Kontrolle an die lenkende Person zurückgibt. „Zwei Gruppen von Menschen übten diese Situationen. Dann setzte eine Gruppe die Übungen aus, die andere nicht“, sagt der Forscher. Nach sechs Wochen folgt ein Vergleichstest im Labor. Die Ergebnisse daraus werden aktuell zur Publikation vorbereitet.

Vergleiche mit Luftfahrt

Weiters sah man sich die Berufsgruppe an, die ein sehr ähnliches Prozedere kennt, nämlich Pilotinnen und Piloten. Wenn der Autopilot die Kontrolle übergibt, muss ein genaues Protokoll eingehalten werden. „Menschen, die Flugzeuge steuern, müssen immer wieder Tests absolvieren und eine gewisse Anzahl an Meilen manuell fliegen. Aufs autonome Fahren umgelegt hieße das, die Menschen eine bestimmte Zeit manuell fahren zu lassen.“ Das soll über niederschwellige Anreize geschafft werden, Stichwort „Gamification“. Meschtscherjakov spricht von einem Punktemodell, wo etwa bei Nachfahrten oder Regenfahrten Punkte gesammelt werden können. „Ein weiterer Aspekt ist das Situationsbewusstsein“, so Meschtscherjakov. „Wenn ein Pilot eine Fehlermeldung bekommt, gibt es ein genaues Prozedere, das er abarbeiten muss. Wir versuchen auf eine ähnliche Weise, das Situationsbewusstsein vor Übergabesituationen zu erhöhen, etwa über eine Art Checkliste.“ Das habe man zum Teil schon umgesetzt und sehe es sich nun im Simulator an. In jedem Fall sei es nötig, diese Übergaben gezielt zu trainieren. „In der Luftfahrt ist das einfacher, weil es eine professionelle Tätigkeit ist“, sagt Meschtscherjakov. Es sei fraglich, ob die Akzeptanz beim Autofahren dafür da wäre.

Gesellschaftliche Akzeptanz unklar

Eine wichtige Frage sei die gesellschaftliche Akzeptanz: „Ein autonomes Auto muss sehr defensiv programmiert sein. Das führt dazu, dass sich solche Fahrzeuge anders verhalten und zum Teil in unsicheren Situationen viel länger warten.“ Dennoch kann sich Meschtscherjakov vorstellen, dass in einigen Jahren Autos der Stufe drei auf ausgewiesenen Fahrstreifen oder aber in abgesperrten Innenstadtbereichen unterwegs sind. Letzteres sei wegen der niedrigen Geschwindigkeit interessant. Grundsätzlich sei aber zu sehen, dass autonomes Fahren, zumindest bei dem beschriebenen Level drei, keine schlechtere Fahrtüchtigkeit erlaubt. „Die Fahrfähigkeiten müssen sogar eher höher sein“, betont der Forscher.


Zur Person Alexander Meschtscherjakov ist Assistenzprofessor und stellvertretender Leiter des Zentrums für Mensch-Computer-Interaktion an der Universität Salzburg. Der Computerwissenschafter interessiert sich unter anderem für persuasive Technologien zur Interaktion, Nutzerinterfaces für Autos und die Nutzungserfahrung im technologischen Kontext.


Top Citizen Science (TCS) In die Grundlagenforschung zum autonomen Fahren ist das Projekt "Gemeinsam Fahren Wir Besser" (GeFaBe) eingebunden. Gemeinsam mit Autofahrerinnen und Autofahrern sollen so Defizite, Sicherheitslücken und vorbildliche Praktiken im Umgang mit Fahrassistenzsystemen aufgezeigt werden. Förderinitiative Top Citizen Science


Publikationen

Sandra Trösterer, Alexander Meschtscherjakov, Alexander G. Mirnig, Artur Lupp, Magdalena Gärtner, Fintan McGee, Rod McCall, Manfred Tscheligi, and Thomas Engel: What We Can Learn from Pilots for Handovers and (De)Skilling in Semi-Autonomous Driving: An Interview Study. In Proceedings of the 9th International Conference on Automotive User Interfaces and Interactive Vehicular Applications (AutomotiveUI '17). ACM, New York, NY, USA, 2017
Alexander G. Mirnig, Magdalena Gärtner, Arno Laminger, Alexander Meschtscherjakov, Sandra Trösterer, Manfred Tscheligi, Rod McCall, and Fintan McGee.: Control Transition Interfaces in Semiautonomous Vehicles: A Categorization Framework and Literature Analysis. In Proceedings of the 9th International Conference on Automotive User Interfaces and Interactive Vehicular Applications (AutomotiveUI '17). ACM, New York, NY, USA, 2017