Wie operieren Medienunternehmen in Hinblick auf globale Entwicklungen? Ein internationales Forschungsprojekt hat Strategien, Produkte und Märkte untersucht. © Shutterstock

Sonntagabend „Tatort“ im ORF, montags die Lieblingsserie auf Netflix und zwischendurch auf Facebook geteilte Videos: Welche Inhalte wir heute von welchem Anbieter konsumieren, hat sich stark ausdifferenziert. Gleichzeitig scheint es, als ob die Produktpalette durch Globalisierung und Digitalisierung immer homogener und von einigen wenigen Ländern – wie etwa den USA – dominiert wird. Ist diese Beobachtung auch empirisch belegbar, etwa anhand von Importzahlen? Und: Wie legen Medienunternehmen aus ökonomischer und unternehmerischer Perspektive ihre grenzüberschreitenden Aktivitäten heute an? Ein Forscherteam aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hat unter der Leitung von M. Bjørn von Rimscha nach Antworten gesucht.

Konkretisierung notwendig

Im Zentrum der Analysen standen transnationale Verhältnisse von Marktstrukturen und Medienmanagement. Konkret stellte sich das Team die Frage, welche Strategien Medienunternehmen in Europa, den USA und China entwickeln, um grenzüberschreitend aktiv zu werden. Eine der zentralen Herausforderungen bestand zunächst darin, zeitgemäße Theoriegrundlagen, sprich neue Definitionen für den Fachbereich zu schaffen. Denn die zunehmende Bedeutung und Präsenz von Sozialen Medien führt zu Abgrenzungsproblemen. So ist es etwa nicht immer eindeutig, was ein Medienunternehmen ist und was nicht. Gelten Netflix und Facebook heute genauso als Medienunternehmen wie Nachrichtenagenturen? Wo und wie zieht man die Grenze? Das österreichische Team – Matthias Karmasin und Denise Voci, beide vom Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt – entwickelte eine Definition, die für die Forschungsfrage gut funktioniert.

Auf den Inhalt kommt es an

In deren Mittelpunkt steht der konkrete Medieninhalt. Dabei kann es sich um Information, Unterhaltung oder eine Mischform handeln. Um festzulegen, ob es sich um ein Medienunternehmen handelt, müssen hinsichtlich des Inhalts laut Voci folgende drei Punkte erfüllt sein: Beschaffung, Aggregation und Distribution. Trifft nur einer davon nicht zu, ist die Definition „Medienunternehmen“ nicht erfüllt. Demzufolge zählt Netflix dazu, weil es eigene Inhalte (Beschaffung) erzeugt. Facebook hingegen nicht. Zeitgemäße Termini sind nicht nur für die Forschung wichtig, sondern besitzen insbesondere im Mediensektor für Karmasin auch gesellschaftspolitische Relevanz. Denn Medien erzeugen Öffentlichkeit und sind somit prägend für Fragen von Identität bis zu Demokratiequalität. „Medienprodukte haben nämlich immer einen Doppelcharakter als Wirtschafts- und Kulturgut“, begründet der Kommunikationswissenschafter.

Zum Projekt Das internationale Forschungsprojekt "Management und Ökonomie grenzüberschreitender Medienkommunikation" startete als DACH-Projekt zwischen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Universität Eichstätt und anfangs auch der Universität Zürich. Inzwischen ist die Johannes Gutenberg-Universität Mainz ebenfalls an Bord. Finanziert wurde das dreijährige Grundlagenprojekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG, dem Wissenschaftsfonds FWF und dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung SNF. Projektwebsite: https://cbmc.info

Austausch zwischen Industrienationen

Für den Forscher wurden die wesentlichen Erkenntnisse aus dem Projekt in drei Bereichen gewonnen: „Wir haben erstens eine Vielzahl von Medienmärkten ausgiebig untersucht und konnten Import-Export-Relationen beziffern sowie Medienprodukte grob klassifizieren. Zweitens haben wir festgestellt, dass die Strategien grenzüberschreitender Aktivitäten in den Medienmärkten sehr unterschiedlich ausgeprägt sind und stark von den Produkten abhängen. Drittens sind Marktstrukturen nicht von außen vorgegeben, sondern stehen in Wechselbeziehung zu Unternehmensaktivitäten und -strategien.“ So konnte etwa der Eindruck der Globalisierung beziehungsweise einer starken Dominanz von Medienprodukten aus den USA rein über die Importzahlen nicht bestätigt werden. Genau genommen handle es sich bei den bestehenden Aktivitäten um einen intensiven Austausch zwischen Industrienationen, präzisiert Karmasin.

Keine Strategie „von der Stange“

Welche Strategien wenden Medienmanagerinnen und -manager weltweit nun an, wenn sie grenzüberschreitende Aktivitäten der Medienkommunikation setzen? Gibt es Unterschiede, oder universelle Strategien? Denise Voci hat sich im Zuge des Forschungsprojekts damit befasst, welche Rahmenbedingungen hierfür eine besondere Rolle spielen. Dazu befragte sie Medienmanagerinnen und -manager von 38 Medienunternehmen aus dem deutschsprachigen Raum, aus Spanien sowie Großbritannien, den Niederlanden, USA und China. Die Bandbreite reichte von Nachrichtenagenturen (APA, DPA) über Verlage (z.B. Axel Springer) bis zu großen Firmen wie Bertelsmann, El Grupo PRISA, dem chinesischem Internet-Unternehmen Tencent oder Warner Media. „Am stärksten berücksichtigen sie ökonomische Rahmenbedingungen, manchmal wurden auch technologische, geografische oder auch ethische Grundlagen genannt“, sagt Voci. Zentral für Medienhäuser sind also die Kaufkraft von Konsumentinnen und Konsumenten sowie potenziellen Partnerinnen und Partnern im B2B-Bereich, ebenso wie die Wirtschaftslage und der Werbemarkt im Gastland. Im Grunde gebe es jedoch nichts, was sich nicht auf die Strategie auswirke – speziell kulturelle Aspekte, betont die Wissenschafterin. Kulturelle Faktoren schwingen im Mediensektor stets mit, von der Produktion über die Vermarktung bis hin zum Konsum. Interkultureller Austausch ist daher nicht auf Import- und Exportzahlen reduzierbar, so ein Ergebnis der Untersuchungen. Weil auch die genannten Aspekte wie Identität und Demokratiequalität berührt würden, legt Karmasin eine „kultursensitive, regionalspezifische Vorgangsweise“ nahe. Nach einer universellen Globalisierungsstrategie auf einer Meta-Ebene sucht man jedenfalls vergeblich. Wenn, dann gelingt dies nur in Teilbereichen und auch da sehr abhängig von Produkt und Marktsituation. Ob man heute von einem Weltmediensystem sprechen kann, ist somit fraglich.


Zu den Personen Matthias Karmasin ist ein österreichischer Medien- und Kommunikationswissenschafter und Professor für Kommunikationswissenschaft. Seit 2013 leitet er das Institute for Comparative Media and Communication Studies (CMC), das gemeinsam von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt betrieben wird. Denise Voci ist Universitätsassistentin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft in Klagenfurt und verfasste ihre Dissertation zu einem Teilaspekt des internationalen Forschungsprojekts.


Publikationen

Von Rimscha, M.B.; Möller, J.; Voci, D.; Nölleke-Przybylski, P.; Altmeppen, K.-D. & Karmasin, M.: Can digitisation help overcome linguistic and strategic disadvantages in international media markets? Exploring cross-border business opportunities for German language media companies, in: Media, Culture & Society, 2018, http://doi.org/csbv
Przybylski, P., Altmeppen, K.-D., Güngör, F., von Rimscha, M.B., Voci, D., Karmasin, M.: Mediale Grenzüberschreitungen: Methodische Herausforderungen der Unterscheidung von international, multinational, transnational und global in der Medienökonomie, in: M.B. von Rimscha, S. Studer, & M. Puppis (Hg.): Methodische Zugänge zur Erforschung von Medienstrukturen, Medienorganisationen und Medienstrategien (pp. 209-238), Nomos 2016, http://doi.org/csbw