Globales Wachstum geht auf Kosten von Mensch und Natur. Es verschärft Ungleichheiten zwischen wohlhabenden und armen Ländern. © UNDP/GCP

In Österreich werden jedes Jahr tonnenweise Weihnachtskekse gebacken und gekauft. Je nach Budget und Bewusstsein greifen immer mehr Menschen im Regal zur Packung, die mit dem Zusatz „frei von Palmöl“ wirbt. Denn viele wissen heute: Palmöl-Plantagen werden etwa in Indonesien im großen Stil hochgezogen und die in den Urwäldern lebenden Orang-Utans mussten ihnen weichen. Anke Schaffartzik, Hertha-Firnberg-Stipendiatin des Wissenschaftsfonds FWF, kann diesen Wunsch nach Weltverbesserung gut nachvollziehen. Jedoch wirken sich ungleiche wirtschaftliche Beteiligung, ungleicher Zugang zu Ressourcen und zur politischen Mitbestimmung bereits auf die Landnutzung aus, noch bevor in Österreich eine passende Packung Kekse gekauft werden kann. Am Institut für Soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur in Wien analysiert die Sozialökologin in ihrem Projekt Stoff- und Energieströme weltweit, um der dualen Natur von Ungleichheit auf die Spur zu kommen: „Ungleichheit als Ursache und Wirkung nicht nachhaltiger Entwicklung ist dort gut zu beobachten, wo Natur ausgebeutet wird, um Land und Ressourcen ökonomisch zu nützen“, erklärt die Forscherin. „Während einige Länder hohen Konsum und Wirtschaftswachstum sicherstellen und gleichzeitig ihre Ressourcenbasis schonen oder diese längst ausgeschöpft haben, wird anderswo immer mehr Land für den Export von Rohstoffen oder Energieträgern in Anspruch genommen und so eine sozial-ökologisch nachhaltige Entwicklung unmöglich gemacht.“

Wer entscheidet über Landnutzung?

Nach dem ersten Forschungsjahr weiß Schaffartzik, dass sich globale Ungleichheit nicht ausschließlich monetär beziffern lässt. Sie hat viel damit zu tun, wie Prozesse gestaltet sind und die Schieflage besteht schon beim Zugang zu Land und Entscheidungsprozessen. In der globalen Datenanalyse entlang einer Zeitreihe von 1960 bis 2010 drängt sich der Sozialökologin immer wieder die „Inwertsetzung“ von Land als Schlüssel-Prozess der ausgeweiteten und vertieften Ressourcennutzung auf: Es ist die angestrebte wirtschaftliche Entwicklung, die zählt, nicht die Bedürfnisse und Stimmen der Bevölkerung vor Ort. Ein Fallbeispiel ist der erwähnte Anbau von Ölpalmen in Indonesien. Bevor die Plantagen im großen Stil ausgebeutet werden konnten, musste die Fläche zunächst entsprechend umgewidmet werden. Palmöl kann zum Kochen, als Schmiermittel und Futtermittel, für Biodiesel oder hoch verarbeitete Lebensmittel, wie Weihnachtskekse und Schokonikolos verwendet werden. Heute wird fast das gesamte Roh-Palmöl aus Indonesien exportiert, seine Verarbeitung mit höherer Wertschöpfung findet allerdings woanders statt.

Balkengrafik von 1993 bis 2010 zu Materialextraktion (DE), Materialkonsum (DMC) und materieller Fußabdruck (MF) nach Einkommensgruppen (low income, lower-middle income, upper-middle income, high income) in Tonnen pro Kopf.
Materialextraktion (DE), Materialkonsum (DMC) und materieller Fußabdruck (MF) nach Einkommensgruppen (low income, lower-middle income, upper-middle income, high income) in Tonnen pro Kopf. © Anke Schaffartzik et al.

Billig und vielfältig

In den 1980er-Jahren beginnt der Anstieg der Palmölproduktion in dem riesigen, sich über viele Inseln erstreckenden Indonesien. Nicht nur die bereits erwähnten Urwälder, sondern auch andere Feldfrüchte und Flächen für Subsistenzwirtschaft werden zurückgedrängt. „Der fortschreitende Flächenverschleiß, den wir beobachten können, basierte zuerst auf politischen Entscheidungen: eine Nutzung der Ressourcenbasis, die Geld abwirft und die politische Kontrolle über abgelegene Inseln sollten erreicht werden“, beschreibt Anke Schaffartzik. Bevor also diverse Konzerne Palmöl als Basis für höherwertige Güter billig kaufen können oder Flächen vor Ort „Landgrabbing“ zum Opfer fallen, musste politisch über die Landnutzung entschieden werden. Die „Inwertsetzung“ von Land, das vorher nichts zum Staatshaushalt beigetragen hat, steht am Anfang. „Landwirtschaftliche Güter werden verstärkt in das ökonomische Wachstum einbezogen und wichtiger genommen als die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln“, erläutert Anke Schaffartzik. Hier ist gut zu beobachten, dass Handelsgüter, die beim Anbau oder Abbau viel Land verbrauchen, nicht mehr Geld wert sind, als jene mit wenig Landverbrauch. Heute arbeiten die Menschen vor Ort entweder auf den Plantagen oder im Nickel-Bergbau, und das Öl zum Kochen muss inzwischen importiert werden. Für die weitere Forschung kooperiert Anke Schaffartzik mit verschiedenen Instituten in Europa: Mit Julia Steinberger an der Universität Lausanne arbeitet sie am Zusammenhang von Infrastruktur, ihrem gesellschaftlichen Stellenwert und wie darüber entschieden wird. An der spanischen Universidad Rovira y Virgili arbeitet die Wissenschaftlerin an einer Fallstudie zum Bauboom während der spanischen Wirtschaftskrise mit und die Universitat Autònoma de Barcelona führt einen globalen Atlas für Umweltkonflikte, der die Prozesse vor einer kritischen Entscheidung greifbar macht.

Ansätze für die Weltverbesserung

Leider reicht es folglich nicht das Kleingedruckte zu lesen und etwas mehr Geld für palmölfreie Kekse in die Hand zu nehmen. Es geht vor Ort immer um viele Faktoren, die man mit bewusstem Konsum hinterher nicht mehr beeinflussen kann. Wenn der Pfad zur nicht nachhaltigen Entwicklung einmal eingeschlagen ist, führt kaum ein Weg zurück. Die Verantwortung von Konsumentinnen und Konsumenten wird betont, ihr Einfluss ist jedoch gering. Das Augenmerk sollte deshalb vielmehr auf politischen Prozessen und Entscheidungen liegen, die zu sozialer und ökologischer Ungleichheit führen und so zerstörerische Landnutzung befördern. Nicht nur in Südost-Asien und Lateinamerika, sondern auch vor unserer Haustür. Wo wird Land privatisiert, das bisher einer gemeinsamen Nutzung unterlag? Wo wird eine Fläche umgewidmet, um eine Infrastruktur zu errichten? Welche Gesetzesänderungen haben Auswirkungen darauf, wer über Land entscheidet? Wem nutzt es? – sind wichtige Fragen. Wessen Bedürfnisse werden vielleicht mit der dritten Piste am Wiener Flughafen bedient, wenn der Bahnausbau doch vorrangig ist? Projekte wie Urban Gardening oder die Sharing Ökonomie gewinnen an Bedeutung, wenn man sie als Gegenbewegung zu diesen Prozessen begreift.


Zur Person Anke Schaffartzik hat an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt zu sozio-metabolischen Mustern im internationalen Außenhandel promoviert. Sie ist Senior Scientist am Institut für Soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), wo ihre Arbeit auf das Zusammenspiel von gesellschaftlicher Organisation und Ressourcenbedarf fokussiert.


Publikationen

Brototi Roy, Anke Schaffartzik: Talk Renewables, Walk Coal: The Paradox of India’s Energy Transition, in: Ecological Economics Vol. 180, February 2021
Anke Schaffartzik, Franziska Kusche: Ökologisch ungleicher Tausch: Wachstum auf Kosten von Mensch und Natur, in: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft 50 (198): 53–67, 2020
Anke Schaffartzik, Juan Antonio Duro, Fridolin Krausmann: Global Appropriation of Resources Causes High International Material Inequality – Growth Is Not the Solution, in: Ecological Economics, Vol. 163, September 2019
Arnim Scheidel, Anke Schaffartzik: A Socio-Metabolic Perspective on Environmental Justice and Degrowth Movements, in: Ecological Economics, Vol. 161, March 2019