Was liegt wirklich in der Wiener Luft?

Stefan Schreier steht 130 Meter ĂŒber Wien vor einem Abgrund. Er sieht nach einem GerĂ€t in einem EdelstahlgehĂ€use mit einem in den Himmel gerichteten Objektiv, das auf der höchsten Plattform des Arsenalturms montiert ist. Von dort lĂ€uft ein Glasfaserkabel in einen kleinen Wartungsraum, wo ein Spektrometer und ein Laptop stehen. Das wissenschaftliche Instrument misst seit 2018 Schadstoffe in der Luft ĂŒber Wien, insbesondere Stickstoffdioxid, das als VerbrennungsrĂŒckstand von Dieselmotoren in den Fokus der Ăffentlichkeit gerĂŒckt ist. Gemeinsam mit zwei baugleichen GerĂ€ten, die auf GebĂ€uden der UniversitĂ€t fĂŒr Bodenkultur und der UniversitĂ€t fĂŒr VeterinĂ€rmedizin angebracht sind, wachen sie ĂŒber die Wiener Innenstadt und messen die LuftqualitĂ€t in Bereichen, die bisher einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht zugĂ€nglich waren.
MessgerĂ€t fĂŒr Streulicht
LuftgĂŒtemessungen finden normalerweise in BodennĂ€he statt. Die Stadt Wien verfĂŒgt ĂŒber ein Netz von 17 ĂŒber die Stadt verteilten Messstationen. Diese fĂŒhren Punktmessungen durch, doch die Verteilung der Schadstoffe ĂŒber der Stadt lĂ€sst sich damit nicht feststellen. Der Umweltphysiker Stefan Schreier und sein Team von der UniversitĂ€t fĂŒr Bodenkultur in Wien wollen diese LĂŒcke nun im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekts schlieĂen. Sie verwenden dabei ein MessgerĂ€t, das sich âMAX-DOASâ nennt, kurz fĂŒr âMulti AXiale Differenzielle Optische Absorptions-Spektroskopieâ. Spektroskope wie die drei Wiener MAX-DOAS-GerĂ€te messen charakteristische Abweichungen in der Farbzusammensetzung des Lichts. Das Know-how dazu stammt aus Bremen, wo Schreier dissertierte, und dessen Institut fĂŒr Umweltphysik ein Projektpartner ist. Der Clou dabei: âWir können damit erstmals direkt die vertikale Verteilung von Stickstoffdioxid ĂŒber dem Stadtgebiet von Wien messenâ, erklĂ€rt der Forscher.
3D-Bild der Schadstoffverteilung
AbhĂ€ngig von den Wetterbedingungen und der Menge an Aerosolen in der Luft, können die drei Instrumente mehrere Kilometer weit blicken. Dabei ĂŒberlappen sich ihre Messbereiche, was besondere Möglichkeiten bietet, wie Schreier erklĂ€rt: âWir versuchen, aus den vielen horizontalen Messungen der drei MAX-DOAS-GerĂ€te die rĂ€umliche Verteilung von Stickstoffdioxid abzuleiten.â Das lasse sich mit Computertomografie vergleichen. Dieses dreidimensionale Bild der Verteilung von Stickstoffdioxid ĂŒber Wien ist das Kernziel des Projekts. Messungen aus 2019 konnten zum Beispiel zeigen, wie an einem Tag mit Ostwind die mit Schadstoffen belastete Luft von den stark befahrenen StraĂen und Industriegebieten im SĂŒdosten der Stadt nach Westen transportiert wird.

ErgĂ€nzung fĂŒr Satellitenmessungen
Das groĂe Ziel ist aber ein anderes: Es gibt eine weitere Quelle an Informationen zur Stickstoffdioxid-Verteilung in der AtmosphĂ€re. Die ESA betreibt einen Satelliten, der Stickstoffdioxid in der ErdatmosphĂ€re vom All aus misst. âDas erste derartige Instrument wurde 1995 ins All gebrachtâ, berichtet Projektleiter Schreier und erklĂ€rt: âEs hatte eine rĂ€umliche Auflösung von mehr als hundert mal hundert Kilometer pro Pixel. Seit 2017 misst das Spektrometer Tropomi an Bord des europĂ€ischen Satelliten Sentinel-5p. Dessen Daten liefern ein globales Bild der Stickstoffdioxidverteilung mit einer horizontalen Auflösung von sieben mal drei Kilometer, das sind ein paar Pixel ĂŒber der Stadt.â Die Satellitenmessungen sollen wichtige Informationen ĂŒber gesundheitsschĂ€dliche Luftschadstoffe liefern. Allerdings sei nicht klar, wie viel diese Messungen ĂŒber die LuftgĂŒte knapp ĂŒber dem Boden aussagen â also dort, wo Menschen leben. Die von Schreier und seinem Team installierten MAX-DOAS-Instrumente sollen helfen, die ESA-Daten zu validieren. âSatellitenmessgerĂ€te lassen sich nicht reparieren, falls ihre VerlĂ€sslichkeit nachlĂ€sstâ, erklĂ€rt Schreier. âEs ist deshalb wichtig, die Ergebnisse mit Messungen auf der Erde vergleichen zu können, um sie gegebenenfalls korrigieren zu können.â Bei Satellitenmessungen wisse man auĂerdem nicht, in welcher Höhe sich das Stickstoffdioxid befindet.
Messen fĂŒr die ESA
Das Interesse der ESA an dem Thema ist groĂ, weshalb fĂŒr 2016 eine Kampagne zum Vergleich verschiedener DOAS-GerĂ€te ausgeschrieben wurde. Auch Schreiers Team nahm daran teil: âUnser erstes GerĂ€t wurde nach dessen Bau in Bremen getestet. Unmittelbar danach fand eine Messkampagne der ESA in Holland statt, wo MAX-DOAS-GerĂ€te von verschiedenen Forschungsgruppen teilgenommen haben.â Schreiers MessgerĂ€t hat hier gut abgeschnitten, wie aus einer soeben publizierten Arbeit hervorgeht. Nach der Kampagne wurde das GerĂ€t Ende 2016 in Wien installiert und misst seither. Wenige Monate spĂ€ter kam auch das zweite MAX-DOAS-GerĂ€t in die österreichische Bundeshauptstadt. âIm Laufe des Projekts bin ich auf die Idee gekommen, dass ein drittes GerĂ€t im SĂŒden interessant wĂ€reâ, sagt Schreier. 2018 habe man dann ein weiteres MessgerĂ€t von der UniversitĂ€t Bremen auf dem 155 Meter hohen Arsenalturm im 3. Bezirk installiert.
Beobachtung anderer Schadstoffe
Der Fokus von Schreiers Team liegt derzeit auf Stickstoffdioxid. Das hat auch praktische GrĂŒnde, wie der Forscher erklĂ€rt: âStickstoffdioxid ist das Spurengas, das mit der DOAS-Methode am besten nachzuweisen ist.â Als NĂ€chstes sollen aber auch andere Luftschadstoffe aus den Wiener MAX-DOAS-Messungen abgeleitet werden, etwa auch Feinstaub. âWir messen auĂerdem Gase, die fĂŒr die Bildung von bodennahem Ozon verantwortlich sind, das fĂŒr unsere Gesundheit sehr schĂ€dlich istâ, so Schreier. Daran wird gerade gearbeitet. Das auf fĂŒnf Jahre angelegte Projekt lĂ€uft noch bis 2021.
Zur Person Stefan Schreier ist Umweltphysiker an der UniversitĂ€t fĂŒr Bodenkultur in Wien. Er interessiert sich fĂŒr boden- und satellitenbasierte Fernerkundung von Spurengasen und Aerosolen in der AtmosphĂ€re, insbesondere fĂŒr die Absorptionsspektroskopie mit Hauptaugenmerk auf die chemische Zusammensetzung der TroposphĂ€re.
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