Was Gesundheit kostet
Die Zukunft vorauszusagen fällt schwer. Doch zumindest in einem Bereich wagt ein Projekt-Team des Wissenschaftsfonds FWF genau das: Es entwickelt ein realistisches Modell, das berechnen soll, wie sich medizinischer Fortschritt, die Entwicklung der Gesundheitskosten sowie die Altersstruktur unserer Gesellschaft gegenseitig beeinflussen und welche Auswirkungen sich daraus für die Entwicklung der Gesundheitsversorgung und der Wirtschaftskraft ergeben.
Viel diskutiert. Wenig bekannt.
„Das Zusammenspiel von medizinischen Innovationen, Gesundheitsausgaben und der Bevölkerungsalterung steht schon seit Langem im Fokus politischer und akademischer Debatten“, erklärt Projektleiter Michael Kuhn vom Vienna Institute of Demography (VID) an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Umso erstaunlicher ist, wie wenig Fundiertes über wesentliche Aspekte dieser gegenseitigen Beeinflussung bekannt ist. Genau diese untersuchen wir und erstellen Computermodelle, die Vorhersagen zu den Entwicklungen des Gesundheitssystems unter verschiedenen Bedingungen erlauben", erläutert Kuhn im Gespräch mit scilog. Zunächst steht die Identifikation der dynamischen Beziehungen, die das Gesundheitssystem im Generellen beeinflussen, im Vordergrund. Dabei werden insbesondere die Anreize analysiert, die Akteure des Gesundheitssystems dazu motivieren, ihre jeweiligen Funktionen zu erfüllen. Darauf aufbauend wird untersucht, wie diese Anreize durch gesundheitspolitische Entscheidungen beeinflusst werden.
Wissen & Geld
„Nehmen wir an, eine neu entwickelte Therapieform, zum Beispiel die Ionen-Therapie in der Krebsbehandlung, wird zur Verfügung gestellt. Damit entsteht ein zusätzlicher Anreiz Gesundheitsleistungen zu nutzen“, erläutert Kuhn die Arbeit seines Teams an einem konkreten Beispiel. „Die gestiegene Effektivität des Gesundheitssystems senkt die Sterblichkeit der Bevölkerung. Das wiederum hat verschiedene makro- wie mikro-ökonomische Konsequenzen, die wir berechnen.“ Tatsächlich hat das Team um Kuhn ein solches Szenario als eines der ersten Fallbeispiele durchgerechnet. Dabei konnten sie eindeutige Auswirkungen auf die Volkswirtschaft erkennen. So zeigte sich, dass neue Therapieformen dazu führen, dass Personen mehr Geld für die Gesundheitsversorgung ausgeben – auf Kosten ihrer Ausgaben für Konsumgüter. Das Ausmaß einer solchen Verschiebung von Haushaltseinkommen hängt dabei stark von den die medizinische Innovation begleitenden Preisänderungen ab. Zusätzlich, so zeigen die Ergebnisse, würde die Bereitschaft wachsen, Ersparnisse für eine dann effektivere Gesundheitsversorgung im Alter zu bilden.
Komplexes Generationengeflecht
Solche Ergebnisse illustrieren die komplexen Beziehungen, die zwischen der individuellen Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen und der Volkswirtschaft als Ganzes bestehen. Was Berechnungen dieser Art zusätzlich anspruchsvoll macht, ist die Tatsache, dass gesundheitsrelevante Entscheidungen in verschiedenen Lebensabschnitten stark variieren. Somit ist die Altersstruktur der Bevölkerung ein entscheidender Faktor für eine realistische Berechnung der Szenarien für die Zukunft. „Wir legen daher überlappende Generationen den Modellberechnungen zu Grunde“, sagt Kuhn. „Also eine sehr realistische Annahme, denn zu jedem Zeitpunkt leben in einer Gesellschaft mehrere Generationen parallel miteinander.“ Deren Altersstruktur hängt wiederum davon ab, in welchem Umfang Gesundheitsleistungen in Anspruch genommen werden und welches Angebot an medizinischen Innovationen verfügbar ist – die Interaktion zwischen den vom Team um Kuhn untersuchten Faktoren werden dabei also immer komplexer.
Nachgefragt
Ein wesentliches Ziel des Teams am VID ist es auch, die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen zu ermitteln, die in jeder Generation und zu jedem Lebensalter existiert. Aufgrund der Berücksichtigung überlappender Generationen kann so eine volkswirtschaftliche Gesamtnachfrage berechnet werden. Diese Nachfrage der Bevölkerung führt zu einem Bedarf an medizinischer Innovation, der durch den Forschungssektor bedient wird – dies wiederum in Abhängigkeit von gesundheitspolitischen Entscheidungen. Zu welchen Ergebnissen dieses Zusammenspiel unter verschiedenen Bedingungen führt, kann nun dank der Entwicklungen im FWF-Projekt MEDPRO detailreich berechnet werden. Egal ob man von einer wachsenden oder schrumpfenden Bevölkerung ausgeht oder verschiedene politische Einflüsse – Krankenversicherung, Patentwesen, Krankenhausregulierung – unterschiedlich stark gewichtet. Das Computermodell bietet Verantwortlichen zukünftig wichtige Erkenntnisse über die Konsequenzen ihrer gesundheitspolitischen Entscheidungen.
Zur Person Michael Kuhn ist Leiter der Gruppe "Population Economics" am Vienna Institute of Demography (VID) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und des Wittgenstein Centre. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Gesundheitsökonomik und Bevölkerungsökonomik. Vor seiner wissenschaftlichen Tätigkeit am VID war er Juniorprofessor am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Deutschland. Das FWF-Projekt MEDPRO (Medizinischer Fortschritt, Gesundheitsausgaben und Alterung) läuft noch bis 2017.