Alice Auersperg ist START-Preisträgerin 2020. Die hohe wissenschaftliche Auszeichnung hat die Verhaltensforscherin für ihre Studien zum Werkzeuggebrauch bei den Goffin-Kakadus erhalten. © Daniel Novotny/FWF

FWF: Worum geht es in dem START-Projekt? Alice Auersperg: Es geht um die Frage, wie der Gebrauch von Werkzeugen beginnt. Menschen und andere höhere Primaten stellen Werkzeuge für bestimmte Aufgaben her und verwenden sie. Um unsere eigene technische Evolution besser zu verstehen, erforschen wir die Hintergründe des Werkzeuggebrauchs an einer sehr entfernt verwandten Tierart, die ähnliche Fähigkeiten besitzt. So können wir davon ausgehen, dass diese Fähigkeit unabhängig entstanden ist. Vom indonesischen Goffin-Kakadu trennen uns mehr als 300 Millionen Jahre Evolution, der letzte gemeinsame Vorfahre lebte lange vor den Dinosauriern. Wir wissen, dass der indonesische Goffin-Kakadu spezifische Werkzeuge auf einem ähnlichen Level benutzen und selber herstellen kann, wie höhere Primaten. Er kann aus verschiedenen Materialien wie Ast, Karton oder Draht ein Werkzeug für eine bestimmte Aufgabe bauen, etwa eine Angel. FWF: Welche Antworten soll das Projekt liefern? Auersperg: Wir wollen herausfinden, was dieses Verhalten auslöst und welche kognitive Basis es braucht. Es gibt einige Theorien zum Werkzeuggebrauch und wir bearbeiten alle vier Ebenen des Verhaltens nach Tinbergen. Dazu stellen wir folgende Fragen: Was in der Natur und Umwelt des Goffin-Kakadus bringt ihn dazu, Werkzeuge erfinden zu können?  Wie entwickelt sich der Werkzeuggebrauch beim Aufwachsen? Hat diese Fähigkeit wirklich in dieser Spezies angefangen oder ist es eine ältere Verhaltenseigenschaft? Das prüfen wir, indem wir nahe verwandten Arten des Goffin-Kakadus vergleichbare Aufgaben geben. Und die letzte Frage ist: Wie funktioniert der Werkzeuggebrauch, mit welchen Mechanismen? Dazu sehen wir uns die Wahrnehmung des Kakadus an und seine kognitiven Fähigkeiten. Wir messen etwa das visuelle Feld in Relation zur Länge des Werkzeugs und prüfen das Verständnis über physikalische und kausale Beziehungen, die sie mit dem Werkzeug zwischen Objekten herstellen. Wir testen ihre geistige Flexibilität und ihr Erinnerungsvermögen.

„Um unsere eigene Evolution besser zu verstehen, erforschen wir den Werkzeuggebrauch von Goffin-Kakadus.“ Alice Auersperg

FWF: Wie sehen die ersten Schritte aus? Auersperg: Wir werden mit der Feldforschung auf den Molukken-Inseln anfangen, weil wir dafür schon ein prospektives Team haben. Das Feldlabor werden wir ausbauen und uns bestimmte Verhaltensweisen in Bezug auf die Ökologie der Goffin-Kakadus anschauen. So ist es wichtig zu wissen, welche Ressourcen die Vögel brauchen und ob diese saisonal und vorhersehbar verfügbar sind. Wenn ein sich anbietender nahrhafter Kern eingebettet ist, wird Werkzeuggebrauch relevant. Je opportunistischer das Tier – so wird es vermutet –, umso flexibler das Gehirn und umso besser die Problemlösungskapazität.  In einer unvorhersehbaren Umwelt wäre es nicht gut, ein Spezialist mit Routinen zu sein. Die Studien mit nahen Verwandten des Goffin-Kakadus planen wir im Loro-Parque auf Teneriffa in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut. FWF: Was bedeutet der START-Preis für Ihre Forschungstätigkeit? Auersperg: Wir wussten, dass die Goffin-Kakadus Werkzeuge souverän gebrauchen. Aber um den Sinn dahinter zu verstehen, was das für die Entstehung des Werkzeuggebrauchs bedeutet, braucht es eine große integrative Studie. Sonst wäre das gar nicht möglich. Um ein Verhalten zu erklären, müssen Fragen zu allen vier Ebenen nach Nikolaas Tinbergen gestellt und beantwortet werden. Das wird aber nur sehr selten gemacht. Der START-Preis gibt mir die Chance das jetzt zu tun. FWF: Was motiviert Sie im Forschungsalltag? Wie gehen Sie mit Rückschlägen um? Auersperg: Jede Frage, die wir versuchen zu beantworten, wirft neue Fragen auf. Eine negative Antwort ist immer die Motivation eine bessere Fragestellung und eine bessere Antwort zu finden. Mich motivieren Interesse und meine Studierenden.


Alice Auersperg ist studierte Zoologin und hat das Goffin-Lab an der Universität Wien gegründet. Sie arbeitete auch am Max-Planck-Institut in Leipzig mit Menschenaffen. Im Rahmen eines Erwin-Schrödinger-Stipendiums des FWF forschte sie an der Universität Oxford über das Verhalten von Rabenvögeln und Papageien im Vergleich. Aktuell ist Auersperg als wissenschaftliche Leiterin des Goffin-Labs am Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien tätig.


Zum Projekt Das START-Projekt „Innovativer Werkzeuggebrauch in einem Papagei“, mit Feldforschung in Indonesien und Spanien, befasst sich intensiv mit den Umweltbedingungen und kognitiven Voraussetzungen für den Gebrauch von Werkzeugen bei Goffin-Kakadus. Diese Papageien-Art ist mit höheren Primaten wie Menschen und Menschenaffen nur sehr entfernt verwandt, stellt aber Werkzeuge auf einem ähnlich hohen Level für spezifische Aufgaben her.

Der START-Preis Das START-Programm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Es ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt damit neben dem Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.