Warum die Kleinsten die größte Rolle spielen
Warum interessieren Sie sich für Archaeen, welche Fragen versuchen Sie zu beantworten?
Christa Schleper: In unserer Forschung geht es darum, die Phase in der Evolution besser zu verstehen, in der die komplexeren Organismen entstanden sind, nämlich die Pflanzen und die Tiere. Wenn man auf den Ursprung des Lebens schaut, sind die ersten Zellen wohl vor knapp vier Milliarden Jahren entstanden. Aus diesem „letzten universellen zellulären Vorfahren“ – genannt LUCA – haben sich Archaeen und Bakterien getrennt entwickelt. Erst nach etwa zwei Milliarden Jahren haben sie einander wiedergefunden: Aus dieser „Heirat“ von Archaeen und Bakterien sind dann die komplexeren Lebewesen entstanden. Von den Archaeen haben wir die Art des genetischen Informationstransfers geerbt, wie die DNA-Verdopplung, von den Bakterien die Energiegewinnung.
Wie erforschen Sie diese Urgeschichte des Lebens?
Schleper: Einen wirklichen Schlüsselmoment gab es 2015. Mein Doktorand hat in Proben aus dem Tiefseesediment vor Norwegen eine neue Archaeen-Art gefunden, die offenbar nah verwandt mit den Vorfahren der komplexen Lebensformen ist, weil sie viele Gene hat, die wir sonst nur von Pflanzen und Tieren kennen. Wir haben sie Loki-Archaeen genannt, weil sie aus der Nähe eines Hydrothermalschlots namens „Lokis Schloss“ stammen, benannt nach einer alten nordischen Gottheit. Und dank der genetischen Marker, die wir damit erhalten haben, konnte man plötzlich an vielen Orten ähnliche Archaeen finden, sogar in der Donau in Wien. Auf diesem Gebiet wird es noch einige spannende Publikationen geben. Daran forschen wir und auch viele andere Arbeitsgruppen weiter, denn die Entstehung der komplexen Lebewesen aus den einfacheren Mikroorganismen ist eines der großen Rätsel in der Biologie.
„Einen Schlüsselmoment gab es 2015, als wir eine neue Archaeen-Art gefunden haben. Sie ist offenbar nah verwandt mit den Vorfahren der komplexen Lebensformen.“
Wie kommt es, dass man diese Archaeen so lange in Proben nicht erkannt hat – welche Methoden verwendet man in der Forschung?
Schleper: Wäre man eine Mikrobiologin von vor 100 Jahren, würde man versuchen, die Mikroben aus Proben sofort zu kultivieren. Das ist aber bei vielen Archaeen eine große Herausforderung. Hauptsächlich analysieren wir in der Forschung heute genetische Informationen – zum Beispiel mit PCR, so wie bei Covid-Tests. Man schaut nach einem bestimmten Gen, das einem dann sagt, welche Spezies man vor sich hat. Dafür braucht man allerdings die passenden PCR-Primer (eine Art Sonde, die das DNA-Stück auffindet, das zur Vervielfältigung der DNA dient). Archaeen werden in PCR-Tests oft übersehen, weil die Forschenden nicht die richtigen Primer dafür verwenden, eben weil Archaeen so anders sind als Bakterien. Wenn man interessante Proben hat, kann man heute im Hochdurchsatzverfahren ganze Genome des Mikrobioms entschlüsseln. So haben wir damals den neuen genetischen Sequenzraum der Loki-Archaeen erschlossen.
Wie wollen Sie den Wittgenstein-Preis in der Forschung einsetzen?
Schleper: Ich freue mich, dass ich durch den Wittgenstein-Preis mehr Freiräume bekomme und mich noch stärker auf die umweltrelevanten Fragen stürzen kann. Es gibt eine Gruppe von Archaeen, die sich überall in der Natur verbreitet hat – in Gewässern, im Boden und sogar auf unserer Haut. Diese Archaeen, die am Stickstoffkreislauf beteiligt sind, konkurrieren mit Pflanzen um Stickstoffverbindungen. In der Landwirtschaft wollen wir, dass die Pflanzen sicher mit Stickstoff versorgt werden, darum verwenden wir oft viel stickstoffbasierten Dünger. Außerdem bilden die Archaeen als Nebenprodukt ein schädliches Treibhausgas – Lachgas – und beschleunigen so die Klimakrise. Wenn wir diese Archaeen besser verstehen, und sie hemmen könnten, brauchen wir vielleicht weniger Dünger und könnten die Treibhausgasemissionen verringern. Das namensgebende Archaeon für diese weltweit vorkommende Organismengruppe stammt übrigens aus dem Boden unseres alten Instituts im 9. Bezirk in Wien und heißt Nitrososphaera viennensis.
Was bedeutet eine solche Anerkennung durch den Wittgenstein-Preis für Sie persönlich?
Schleper: Das ist natürlich eine ganz tolle Auszeichnung, die mich sehr freut, und ich finde es großartig, dass die Archaeen dadurch bekannter werden. Man hat ihre Bedeutung ja eigentlich erst in diesem Jahrhundert erkannt – also in den letzten 20 Jahren. Größere Bekanntheit von Mikroorganismen, die für die Ökologie unseres Planeten so wichtig sind, finde ich gut. Der Preis freut mich genauso für die vielen jungen, engagierten, wunderbaren Leute, die mit mir über die Jahre geforscht haben. Ich habe sofort an all diese Zeiten gedacht, in denen wir gemeinsam neue Wege in der Archaeenforschung beschritten haben.
Christa Schleper hat in Aachen und Konstanz Biologie studiert, in München promoviert und in den USA (Caltech, UC Santa Barbara), Norwegen (Bergen) und Deutschland (Darmstadt) geforscht und gelehrt. Seit 2007 ist sie als Professorin an der Universität Wien tätig. Sie hat früh metagenomische Methoden in ihrem Forschungsbereich eingesetzt und sich seit Beginn ihrer Laufbahn mit Archaeen beschäftigt. 2016 erhielt sie einen der renommierten, mit 2,5 Millionen Euro dotieren ERC Advanced Grants des Europäischen Forschungsrates und sie zählt zu den meistzitierten Forschenden der Welt. Ihre Schwerpunkte sind evolutionäre Biologie und die ökologische Bedeutung der Archaeen.
Zum Projekt
In ihrer Forschungsgruppe Archaea Ecology and Evolution Group an der Universität Wien arbeitet Christa Schleper mit ihrem Team an Ökologie, Molekularbiologie und Evolution von Archaeen, Virus-Wirt-Interaktionen und der Erforschung (noch) nicht kultivierbarer Mikroorganismen sowie an neuen, auf Archaeen basierenden Biotechnologien. Ammoniak-oxidierende Archaea (AOA) und ihre Bedeutung im Stickstoffkreislauf sind ihr spezielles Interessensgebiet.
Der Wittgenstein-Preis
Der Wittgenstein-Preis ist Österreichs höchstdotierter Wissenschaftspreis und richtet sich an exzellente Forschende aller Fachdisziplinen. Die mit 1,5 Millionen Euro dotierte Auszeichnung unterstützt die Forschung der Preisträger:innen und garantiert ihnen Freiheit und Flexibilität bei der Durchführung. Forschende können so ihre wissenschaftliche Arbeit auf international höchstem Niveau vertiefen.