Warum Corona nicht verschwinden wird und wir neue Impfstoffe brauchen werden

Die Corona-Forschung steht vor einem RĂ€tsel. Seit Beginn der Pandemie ist bekannt, dass Sars-CoV-2 mit der Zeit mutieren wird. Dieses Verhalten war erwartet worden, auch Grippeviren verhalten sich so. Im Schnitt gab es zwei Mutationen pro Monat, bis Ende 2020. Doch dann tauchten plötzlich stark verĂ€nderte Coronavirus-Varianten auf, die nicht nur eine oder zwei neue Mutationen aufwiesen, sondern bis zu 30 auf einmal â genug, um die Wirksamkeit bestimmter Impfstoffe herabzusetzen und fĂŒr höhere Ansteckungsraten zu sorgen. Die Frage, wie derartige Mutationen des Virus entstehen, ist so drĂ€ngend wie nie. Sie soll nun von einer Gruppe um den Virologen Andreas Bergthaler im Rahmen eines Forschungsprojekts beantwortet werden, das vom Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen der Corona-Akutförderung finanziert wird.
Fehlerhafte Kopien
âCoronaviren sind RNA-Virenâ, erklĂ€rt Andreas Bergthaler. âSie haben von Haus aus einen relativ fehleranfĂ€lligen Kopiermechanismus.â RNA hat in lebenden Zellen die Funktion, in der DNA gespeicherte Erbinformation zu den Ribosomen zu transportieren, wo nach den darin enthaltenen BauplĂ€nen EiweiĂmolekĂŒle produziert werden. An dieser Stelle greifen RNA-Viren in den Prozess ein. Da Coronaviren die gröĂten RNA-Genome aller bekannten Viren besitzen, haben sie eigene Korrekturmechanismen entwickelt, um die Fehlerrate zu reduzieren. âDennoch sind Fehler beziehungsweise Mutationen fĂŒr das Virus nicht nur ein Nachteilâ, sagt Bergthaler. âIm Gegenteil, solche neuen Mutationen erlauben es dem Virus, sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Wenn wir heutige Virusgenome mit der Referenzsequenz, also den genetischen Informationen von Wuhan 2019 vergleichen, so sehen wir, dass monatlich circa ein bis zwei Mutationen angesammelt wurdenâ, erklĂ€rt der Gruppenleiter am CeMM â dem Forschungszentrum fĂŒr Molekulare Medizin der Ăsterreichischen Akademie der Wissenschaften.
Beschleunigte Mutation
Doch seit Ende Dezember 2020 beobachten Forschungsgruppen in aller Welt ein neues PhĂ€nomen. âWir treffen immer wieder auf neue Varianten, die stĂ€rker mutiert sind, mit bis zu 30 zusĂ€tzlichen Mutationen auf einmal.â Die Rede ist etwa von der britischen Variante B.1.1.7 und der sĂŒdafrikanischen Variante B.1.351. Das Coronavirus hat also einen Weg gefunden, schneller zu mutieren. Ob das Zufall ist oder hinter dieser Entwicklung eine gemeinsame Ursache steckt, ist derzeit nicht geklĂ€rt. Die Forschenden haben dafĂŒr zwei Hypothesen. âEine Vermutung ist, dass es einen tierischen Zwischenwirt gab und dass sich dort diese Mutationen angesammelt haben, aber dafĂŒr gibt es nicht viele Anhaltspunkteâ, sagt Bergthaler, der bereits seit dem Ausbruch der Pandemie die Mutationsdynamik des Coronavirus in Ăsterreich verfolgt.
Die andere Vermutung lautet: âDie Viren könnten sich in einzelnen Infizierten sehr lange repliziert haben, ohne vom Immunsystem kontrolliert worden zu sein.â So hĂ€tte das Virus genug Zeit gehabt, so viele Mutationen anzuhĂ€ufen. Das könnte unter anderem bei Menschen mit einem geschwĂ€chten Immunsystem der Fall sein. âEs erklĂ€rt aber unserer Meinung nach immer noch nicht ausreichend, warum sich so viele Mutationen angesammelt habenâ, so der Virologe. âDas ist eine der Fragen, die wir klĂ€ren wollen.â
Hunderte Mutationen in einer infizierten Person
Ziel des neuen Grundlagenprojekts ist, einerseits zu verstehen, wie Mutationen sich in einem einzigen Organismus anhĂ€ufen, und andererseits, wie viele dieser Mutationen ĂŒber den âFlaschenhalsâ der Ansteckung auf eine andere Person weitergegeben werden. Die Bandbreite an Mutationen in einer einzelnen infizierten Person ist zum Teil deutlich höher als jene der wirklich zwischen Menschen ĂŒbertragenen Viren. âIn jedem Menschen kann es Hunderte Virusgenome mit kleinen Unterschieden gebenâ, so der Projektleiter. âFĂŒr uns ist wichtig, dass wir auch diese niedrig frequenten Mutationen detektieren können. Wir sind in der Lage, Mutationen nachzuweisen, die nur in einem von 100 Genomen einer Probe enthalten sindâ, erklĂ€rt Bergthaler. Weiters sei der Zeitverlauf interessant. âWenn man bestimmte Personen mehrmals beprobt, ist es möglich zu untersuchen, wie sich die Verteilung der Mutationen verĂ€ndertâ, so der Forscher.

SchlieĂlich wolle man sich ansehen, wie viele der neuen Mutationen tatsĂ€chlich den Flaschenhals der Ansteckung passieren. âDazu braucht man Paare infizierter Personen, bei denen gesichert ist, wer zuerst infiziert war und wer der ist, der das Virus bekommen hat. Es ist schwierig, dafĂŒr hieb- und stichfeste epidemiologische Daten zu bekommen. Aber wenn es uns gelingt, lĂ€sst sich untersuchen, wie viele mutierte Viren auf eine infizierte Person ĂŒbertragen werdenâ, hofft der Forscher. Mit Methoden aus der Bioinformatik lasse sich so auch zurĂŒckrechnen, wie viele Viren tatsĂ€chlich zwischen zwei Personen ĂŒbertragen wurden.
FĂŒr diese Analysen arbeitet Bergthalers Team eng mit Christoph Bock und dem Sequenzierungslabor des CeMM, der Biomedical Sequencing Facility, zusammen, das seit Beginn der Pandemie den gröĂten Teil der Ganzgenomsequenzierungen von Sars-CoV-2 in Ăsterreich vornimmt. Ein Bioinformatik-Team ist fĂŒr die Datenanalyse zustĂ€ndig, die Proben kommen etwa vom Zentrum fĂŒr Virologie an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien und dem Kaiser-Franz-Josef-Spital in Wien Favoriten.
Virus wird nicht harmloser
Dass das Virus im Lauf des Mutationsprozesses zwar infektiöser, aber dafĂŒr harmloser werden könnte, wie das an verschiedenen Stellen vermutet wurde, sieht Bergthaler so nicht. âNatĂŒrlich wĂ€re es von der Theorie her eine gute evolutionĂ€re Strategie fĂŒr ein Virus, möglichst infektiös zu sein und dem Wirtsorganismus möglichst wenig zu schaden, so wie es etwa bei manchen Herpesviren der Fall istâ, sagt Bergthaler, verweist aber auf die britische Variante: â Hier gibt es inzwischen gute Evidenz, dass diese Variante infektiöser ist und gleichzeitig auch zu schwereren VerlĂ€ufen und erhöhter Sterblichkeit fĂŒhrt.â Auch werde mit dem Fortschreiten der Impfungen ein Selektionsdruck auf das Virus durch die Impfungen aufgebaut. Der Forscher geht davon aus, dass neue Mutationen (âImmune Escapeâ) entstehen, die die Wirkung der derzeitigen Impfungen teilweise reduzieren können. Umso wichtiger ist ein VerstĂ€ndnis der genauen Mechanismen.
Das Forschungsprojekt, das soeben vom FWF bewilligt wurde, hat eine Laufzeit von drei Jahren. â Eine lange Zeit angesichts der sich dynamisch verĂ€ndernden Situation. Doch Bergthaler zeigt sich zuversichtlich. Er rechnet damit, dass wir, falls keine neuen gefĂ€hrlichen Virusmutationen auftauchen, nach dem Sommer eine ausreichende Durchimpfungsrate haben werden und das Schlimmste ĂŒberstanden ist. âDas Virus wird es zwar auch in drei Jahren noch geben, aber wir werden hoffentlich dann schon die zweite, dritte, vierte Generation von Impfstoffen haben und viel mehr ĂŒber die grundlegenden Mechanismen von Covid-19-Erkrankungen wissen. Damit sollten harte MaĂnahmen wie Lockdowns der Vergangenheit angehörenâ, vermutet Bergthaler.
Zur Person
Andreas Bergthaler ist Virologe und Immunologe am CeMM, dem Forschungszentrum fĂŒr Molekulare Medizin der Ăsterreichischen Akademie der Wissenschaften, dessen wissenschaftlicher Direktor der Molekularbiologe Giulio Superti-Furga ist. Bergthaler ist bekannt fĂŒr seine Arbeit bei der Sequenzierung des Erbguts verschiedener Coronavirus-Varianten, die er seit Beginn der Pandemie fĂŒr Ăsterreich durchfĂŒhrt, und berĂ€t in dieser Funktion auch die Ăsterreichische Agentur fĂŒr Gesundheit und ErnĂ€hrungssicherheit (AGES) und die Bundesregierung.
FĂŒr sein Projekt âSars-CoV-2-Intra-WirtsdiversitĂ€t und -Transmissionâ hat Bergthaler im MĂ€rz 2021 eine Fördersumme von 490.000 Euro im Rahmen der Corona-Akutförderung des Wissenschaftsfonds FWF erhalten.
Publikationen
Agerer B., Koblischke M., Gudipati V. et al.: SARS-CoV-2 mutations in MHC-I-restricted epitopes evade CD8+ T cell responses, in: Science Immunology 2021
Popa A., Genger JW., Nicholson M. et al.: Genomic epidemiology of superspreading events in Austria reveals mutational dynamics and transmission properties of SARS-CoV-2, in: Science Translational Medicine 2020