Wanderunfälle: Obacht beim Abstieg
Bergwandern ist eine der beliebtesten Sommerbergsportarten. In Österreich alleine machen sich Schätzungen zufolge mehrere Millionen Wanderinnen und Wanderer jeden Sommer auf den Weg in die Berge. – Dementsprechend passieren dort auch die meisten Unfälle: Jährlich verunglücken beim Wandern in den österreichischen Alpen rund 1.600 Personen, davon 100 tödlich. Ausrutschen, Umknicken und Stolpern zählen (in dieser Reihenfolge) zu den häufigsten Ursachen von Verletzungen am Berg, wenn es zu Stürzen kommt. Letztere machen inzwischen rund die Hälfte (46 Prozent) aller Unfälle beim Wandern aus, neben Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Verirren oder Erschöpfung als weitere Ursachen.
Datenauswertung alpinpolizeilicher Protokolle
Während es bereits Untersuchungen zum Aspekt von Herz-Kreislauf-Problemen beim Wandern gibt, die – vorwiegend bei Männern – auch zum plötzlichen Herztod führen können, ist über die Ursachen, wie es zu Stürzen beim Wandern kommt, noch wenig bekannt. Um deren Risikofaktoren zu identifizieren, hat der Sportwissenschafter Martin Faulhaber von der Universität Innsbruck 2016 das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt „Stürze bei Bergwanderern“ gestartet. Als ersten Schritt der noch laufenden Untersuchungen haben Faulhaber und sein Team nichttödliche und tödliche Unfälle durch Stürze beim Wandern, die von der Österreichischen Alpinpolizei in den vergangenen neun Jahren dokumentiert wurden, ausgewertet. Insgesamt 5.368 Unfälle mit 5.665 Opfern konnten für diesen Zeitraum in die Analyse einbezogen werden. Die Datenauswertung zeigt, dass die Geschlechterverteilung mit 53 Prozent Frauen und 47 Prozent Männern relativ ausgeglichen ist. Die Verunfallten sind zum Großteil zwischen 40 und 70 Jahre alt.
Weniger tödliche Unfälle, Stürze beim Abstieg
Bemerkenswert sei, dass die Zahl der tödlichen Unfälle über das knappe Jahrzehnt mit rund 35 Personen pro Jahr konstant blieb, die nichttödlichen Unfälle hingegen kontiniuerlich angestiegen sind, wie Projektleiter Faulhaber berichtet. 2006 waren es noch 474 Verletzte, 2014 bereits mehr als 700. „Das lässt sich vermutlich auch damit erklären, dass mehr und mehr Menschen in die Berge gehen und mehr Notrufe abgesetzt werden. Es könnte aber auch ein Hinweis dafür sein, dass Bergwandern etwas sicherer geworden ist“, erklärt Faulhaber im Gespräch mit scilog. Genaue Aussagen dazu sind schwierig, denn im Gegensatz zum Wintersport, wo durch die Seilbahngesellschaften die exakten Besucherzahlen erfasst werden, lässt sich die Zahl der Sommerbergsportlerinnen und -sportler eben nur schätzen. Die Daten der Alpinpolizei sind jedenfalls eine wertvolle Ausgangsbasis für das Forscherteam. So zeigen die Datenanalysen weiters, dass Stürze meistens auf markierten Schotterwegen oder steinigem Untergrund passieren, nur sechs Prozent der Stürze sind auf verschneite Böden zurückzuführen. – Und noch ein interessantes Ergebnis haben die Auswertungen der alpinpolizeilichen Dokumente ergeben: 75 Porzent der Stürze passieren beim Abstieg. Das impliziert, dass Ermüdung eine Rolle spielen könnte ebenso wie die für viele ungewohnte Belastung beim Bergabgehen, doch vorerst sind das noch Thesen.
Risikofaktoren im Feld identifizieren
Um mehr über die Faktoren zu erfahren, die zu Stürzen beim Bergwandern führen und entsprechende Präventivmaßnahmen zu entwickeln, braucht es weitere Untersuchungen. In den kommenden zwei Jahren wollen die Innsbrucker Forscherinnen und Forscher daher Risikofaktoren identifizieren und die Mechanismen verstehen, die zu Unfällen führen. Eine Pilotstudie dazu führte Projektmitarbeiterin Elena Pocecco 2016 durch, indem sie Bergwanderinnen und -wanderer befragte, die sich durch einen Sturz verletzt hatten. Mittels Fragebogen erfasste sie unter anderem Daten zu Risikoverhalten, Ausrüstung, Verlauf der Wanderung, früheren Verletzungen und Wandererfahrungen. Die Daten werden nun mit Personen verglichen, die ohne Stürze auf den gleichen Wanderwegen unterwegs waren. Dabei stehen Faulhaber und seinem Team noch viel „Feldarbeit“ bevor. Denn die Wissenschafterinnen und Wissenschafter erfassen nicht nur die Daten und werten sie statistisch aus, sondern überprüfen persönlich das Gelände und die Wegbeschaffenheit der Unfallstellen. Zudem sprechen sie mit Wanderinnen und Wanderern vor Ort – immer potenziellen Risikofaktoren für Stürze beim Bergwandern auf der Spur.
Zur Person Martin Faulhaber ist Sportwissenschafter an der Universität Innsbruck, Lehrbeauftragter der Bundessportakademie in Innsbruck und Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin (ÖGAHM). Er forscht unter anderem zu leistungs- und höhenphysiologischen Fragestellungen, wie zum Beispiel zur Prävention der akuten Bergkrankheit bei Bergsteigerinnen und Bergsteigern.
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