ErwĂŒnschte Besessenheit im Rahmen eines Voodoo-Rituals. © Yvonne Schaffler

Voodoo bedeutet Gott oder Geist. – Im dominikanischen Voodoo spricht man von „misterios.“ Besessenheit durch derartige Wesen ist die Essenz der Voodoo-Religion. Angeheizt durch Hollywood-Klischees werden damit geheimnisvolle Riten und schaurige Geschichten verbunden. Doch das Konzept, von Geistern besessen zu sein, gibt es in vielen Religionen und Varianten bis heute. Nur der Umgang damit ist unterschiedlich. WĂ€hrend christliche oder muslimische Geistliche besitzergreifende Geister verbannen wollen, geht es im Voodoo um deren Akzeptanz und die Integration in das Leben. „Viele Voodoo-Zentren erinnern etwa an katholische Kapellen: Zahlreiche Heiligenbilder, Blumen, Kerzen und andere Devotionalien formieren sich zu kleinen AltĂ€ren. Oft sind diese allerdings in PrivatrĂ€umen untergebracht“, erzĂ€hlt Yvonne Schaffler von ihrer Feldforschung in der Dominikanischen Republik. Dort hat die Kultur- und Sozialanthropologin mit einem Hertha-Firnberg-Stipendium, das der Wissenschaftsfonds FWF an Nachwuchswissen­schafterinnen vergibt, ĂŒber mehrere Jahre den Prozess der Sozialisierung von Besessenheit erforscht. Welche Formen und Funktionen Besessenheit hat oder in welchen Lebensphasen sie auftritt, waren Fragen, die Schaffler beschĂ€ftigten.

Wichtige soziale Funktionen

Besessenheit ist ein zeitlich begrenzter Trancezustand, wĂ€hrend dem Personen fĂŒhlen, dass externe MĂ€chte wie Ahnen oder Gottheiten ihre Körper kontrollieren. Das kann bereits im Kindesalter auftreten. Danach können sich die „Besessenen“ oft nicht erinnern, was sie wĂ€hrend der Trance (Dissoziation) gesagt oder getan haben. In mehr als als 100 gefilmten Episoden hat Schaffler diese Erlebnisse, deren AblĂ€ufe und Riten dokumentiert. ZusĂ€tzlich hat sie die Lebensgeschichten von 19 Personen erfasst, die entweder als Voodoo-Praktizierende tĂ€tig sind oder ungewollt Besessenheit erleben. Die Praktizierenden erfĂŒllen wichtige soziale Funktionen, wie die Anthropologin zeigen konnte. Sie haben als „Heiler“ und „Heilerinnen“ besondere Stellungen inne und bieten in spirituellen Zentren Dienstleistungen wie etwa Beratungssitzungen im Zustand von Besessenheit an. „Diese Position ermöglicht ihnen ein Zugewinn an (ökonomischer) Autonomie, an Status und sozialer Absicherung“, erklĂ€rt Schaffler im GesprĂ€ch mit scilog.

Stress und Trauma

Die Gruppe der unfreiwillig Besessen empfindet die tranceartigen ZustĂ€nde allerdings als Stress, da die Geister sie spontan und gegen ihren Willen kontaktieren. Oft drĂŒckt sich ihr Empfinden in desorganisiertem oder aggressivem Verhalten aus. „Ich habe festgestellt, dass davon Betroffene oft leidvolle Erfahrungen hinter sich haben, wie etwa hĂ€usliche Gewalt, Verlust von Bezugspersonen oder Diskriminierung“, berichtet die Wissenschafterin. Zudem zeigte sich, dass diese Personen auch zu körperlichen Symptomen wie Schlaflosigkeit oder Kopfschmerzen neigen. Auch traumatische Erfahrungen sind öfters Teil der Biografie der ungewollt Besessenen. Diesem Aspekt, der Verbindung von Besessenheit und Trauma, widmet sich die Forschung erst seit kurzem. Bis dato gibt es dazu vor allem Studien aus BĂŒrgerkriegsgebieten in Afrika, die diesen Zusammenhang sichtbar machen. Schafflers Daten bestĂ€tigen diese Ergebnisse und liefern wichtige Erkenntnisse fĂŒr die Erforschung von Trauma und Dissoziation.

Der krankmachende Geist eines Verstorbenen soll auf einen Hahn ĂŒbertragen werden. © Yvonne Schaffler

Voodoo als BewÀltigungsstrategie

Auch aus therapeutischer Sicht ist der Umgang mit unfreiwillig Besessenen potenziell interessant. So hat Schaffler festgestellt, dass ein feindlich gesinntes soziales Umfeld und Versuche, die „DĂ€monen“ rituell austreiben zu wollen, Leid und Stress der Betroffenen verstĂ€rken. Ein sogenannter Initiationsprozess hingegen kann als BewĂ€ltigungsstrategie dienen. Dabei werden wiederholt und unter professioneller Anleitung ZustĂ€nde von Besessenheit eingeĂŒbt. „Dadurch wird zuvor unkontrollierte Trance strukturiert und kontrollierbar“, so Schaffler. Sowohl der individuelle Lebensverlauf als auch das soziale Umfeld prĂ€gen also die Wahrnehmung von oft nur schwer oder gar nicht beschreibaren persönlichen Erfahrungen und Verhaltensweisen. Ähnlich wie in der Therapieform des „Psychodrama“, bei dem die Klientinnen und Klienten in Form einer Art psychodramatischer „AuffĂŒhrung“ ihr Thema bearbeiten, werden im Voodoo-Kult körperliche Erfahrungen immer wieder durchlebt und dadurch aufgearbeitet. Besessenheit wird vermutlich auch deshalb in Afrika oder der Karibik nicht grundsĂ€tzlich als etwas gesehen, das verhindert werden muss. Sie ist vielmehr als Form des Kontakts zu den Geistern erwĂŒnscht und eröffnet verbesserte Möglichkeiten des Selbstausdrucks. Voodoo-Rituale konzentrieren sich grundsĂ€tzlich auf positive Energien und heilende KrĂ€fte. „Man will mit den Geistern nicht auf schlechtem Fuß stehen“, weiß die Forscherin.

Spirituelle Praktiken im Aufwind

„Viele Rituale sind dementsprechend unterhaltsam, lustig und haben geradezu Party-Charakter“, schildert Yvonne Schaffler. Insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, wie sie die Dominikanische Republik aktuell erlebt, erfahren spirituelle Praktiken Aufwind. Rituale zur Heilung, zum Schutz oder anderer Anliegen sind denn auch kein PhĂ€nomen von Randgruppen. „Viele Praktizierende haben Klienten in New York“, berichtet Schaffler. Auch New Orleans ist beispielsweise ein Hotspot des Voodoo-Kults. Die populĂ€ren Stoffpuppen gelten der Stadt als Schutzgeister. Die mit Nadeln bestĂŒckte Gruselpuppe, die einem Widersacher Schmerzen zufĂŒgen soll, ist eher die Ausnahme und vor allem ein Hollywood-Produkt. Es gibt in der Karibik zwar auch eine „schadensmagische“ Ausrichtung. Man spricht dann davon, dass jemand „mit beiden HĂ€nden arbeitet“, mit einer die heilt und mit einer die verhext. Diese Praxis wird aber alleine ausgefĂŒhrt, an Orten fernab der Heimat.


Zur Person Yvonne Schaffler ist Kultur- und Sozialanthropologin mit Fokus auf Medizinanthropologie. Das Hertha-Firnberg-Projekt des FWF „Geistbesessenheit: Modi und Funktion“ (2011-2016) fĂŒhrte sie an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien (MUW) durch. Neben ihrer ForschertĂ€tigkeit lehrt Schaffler an der MUW sowie der Sigmund Freud PrivatuniversitĂ€t in Wien und befindet sich in Ausbildung zur Psychotherapeutin.


Publikationen

Yvonne Schaffler: Treating “wild” spirit possession in the Dominican Republic: Parallels and Differences between Local and Euro-American Therapeutic Approaches, in: Curare 40/3, 2017 (in Druck)
Cardeña, Etzel & Yvonne Schaffler: "He who has the spirits must work a lot: A Psycho-Anthropological Account of Spirit Possession in the Dominican Republic”, in: Ethos (submitted).
Yvonne Schaffler, Etzel Cardeña, Sophie Reijman, and Daniela Haluza: Traumatic Experience and Somatoform Dissociation among Spirit Possession Practitioners in the Dominican Republic, in: Culture, Medicine and Psychiatry 40(1) 74-99, 2016
Yvonne Schaffler & Bernd Brabec de Mori: A Multi-Perspective Analysis of Videographic Data on the Performance of Spirit Possession in Dominican Vodou, in: ÖAW (Ed.) International Forum on Audio-Visual Research. Jahrbuch des Phonogrammarchivs, 6. p. 100-125, 2015 (pdf)