Vom Befund zur Therapie: Warum das GesprÀch zentral ist

Es ist ein Prozess, der tĂ€glich hunderte Male in Ăsterreichs KrankenhĂ€usern und Ordinationen ablĂ€uft: Nach der vom Arzt oder der Ărztin gestellten Indikation wird mit der Patientin oder dem Patienten besprochen, welche Therapiemöglichkeiten gegen die Beschwerden oder das Krankheitsbild angezeigt sind. FĂŒr den Therapieverlauf sind diese GesprĂ€che entscheidend. Im Zentrum steht die Autonomie der Patientinnen und Patienten, die den vorgeschlagenen MaĂnahmen nach eingehender AufklĂ€rung zustimmen mĂŒssen. Der Begriff Indikation wird tĂ€glich verwendet, er leitet das Ă€rztliche Handeln, bedarf ebenso der juristischen und ethischen Legitimierung, âaber was darunter zu verstehen ist und wie der Prozess ablaufen soll, können aktuell weder die Literatur noch Fachleute aus den Gebieten Ethik, Recht und Medizin genau fassenâ, beschreibt der Forscher und Arzt Karl Hunstorfer die Herausforderung. Der Internist forscht im Bereich der Medizinethik aktuell in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt und bringt seine Erfahrung aus der Praxis als Mediziner in der Onkologie-Station im Krankenhaus der Barmherzigen BrĂŒder in Wien ein. Im GesprĂ€ch beschreibt Hunstorfer die tĂ€gliche Arbeit auf seiner Station, die zeigt, wohin die Reise gehen könnte: â50 Prozent machen die GesprĂ€che aus und 50 Prozent die Tabletten.â
Von der Empfehlung zur Entscheidung
Die medizinethischen UmstĂ€nde lassen sich auf der Onkologie besonders gut erforschen. Krebs ist eine vielgestaltige Krankheit, die komplette Heilung kaum je in Aussicht stellen kann. Sie erfordert je nach Lebensalter, Krebsart und Stadium meist mehrere Therapie- oder Therapiezielwechsel bzw. den Ăbergang von kurativer zu palliativer Medizin. Es werden also im Lauf der Behandlung oft mehrere Indikationen gestellt und Optionen entlang von individuellen WĂŒnschen (re-)evaluiert. Die Zeiten, in denen die Ărztin oder der Arzt im Alleingang ĂŒber die Kranken bestimmten, sind vorbei. Die Indikationsstellung agiert damit in einem Spannungsfeld: Medizinerinnen und Mediziner wenden das wachsende, fĂŒr wertneutral gehaltene und evidenzbasierte Wissen auf Individuen an, mit ihren BedĂŒrfnissen, ihrem Befinden und eigenen MaĂstĂ€ben, was ihnen guttut oder im Leben fĂŒr sie wichtig ist. Dazu kommt die Vorstellung, den Körper und die Natur (zunehmend) kontrollieren zu können. âDer tĂ€gliche Spagat ist: Auf Basis der Theorie mĂŒssen in der klinischen Praxis Empfehlungen ausgesprochen und menschliche Entscheidungen getroffen werden, samt Ausblick auf einen Therapieerfolgâ, erklĂ€rt Hunstorfer.
Die Indikation entsteht im Dialog
Auf seiner wissenschaftstheoretischen Spurensuche im Rahmen des Grundlagenprojekts macht Karl Hunstorfer fĂŒr den Begriff der âIndikationâ und das konkrete Handeln Wurzeln in der Antike fest. Aus dem Lateinischen ĂŒbersetzt bedeutet Indikation: âEs ist angezeigt, dass âŠâ Eine weitere wichtige Grundlage ist die Maieutik, also das vom Philosophen Sokrates propagierte Vorgehen im Dialog. Die Indikation ist von ihrem Wesen her ein Dialog: âDie Medizin wirkt in der klinischen Praxis. Zu Fachwissen, Erfahrung und Behandlungsstandards auf der einen Seite kommt bei der Visite das Individuum ins Spiel. Als Ărztinnen und Ărzte mĂŒssen wir ĂŒber alle Möglichkeiten informieren, den Patientinnen und Patienten zuhören, was sie erzĂ€hlen, und sie in die Entscheidung ĂŒber die Therapie einbinden. Dabei können wir in Konflikt kommen mit unserer ethischen Norm, stets etwas Gutes, etwas Heilendes zu tunâ, hĂ€lt der Wissenschaftler fest. Sein zentrales Forschungsergebnis lautet daher: Die Indikation ist von ihrer Natur her ein kommunikatives Instrument und Kernaufgabe des Berufs. Sie soll Ărztinnen und Ărzten zur Reflexion darĂŒber anregen, durch die Indikation eine BrĂŒcke zu schlagen: Vom evidenzbasierten Wissen auf einen konkreten Menschen hin. Es geht darum, die Betroffenen aufzuklĂ€ren und bei der fĂŒr sie besten Wahl zu unterstĂŒtzen. Die Indikation stöĂt im Idealfall das eigene Nachdenken und Entscheiden der Behandelten an.
Die Visite in der Praxis
Empirisch begleitet hat das Projekt die Psychologin Bettina Baldt von der UniversitĂ€t Wien. Sie zeichnete eine Woche lang Visiten auf der Onkologie-Station bei den Barmherzigen BrĂŒdern auf und analysierte insgesamt 13 GesprĂ€che linguistisch. Dabei achtete Baldt auf Formulierungen, Aufbau, das Eingehen auf Gesagtes und Auswirkungen auf den Verlauf des GesprĂ€chs. Die Doktorandin wertete das Material anhand von vier in der Wissenschaft etablierten Mustern von Entscheidungen aus, nĂ€mlich erstens patientendominiert, zweitens patientendefiniert & arztgetroffen, drittens arztdefiniert & patientengetroffen und viertens arztdominiert. In der Praxis konnten kaum patientendominierte Entscheidungen beobachtet werden, da manchmal auch keine Therapie-Optionen zur Auswahl standen. Zudem waren nie nur zwei Menschen am GesprĂ€ch beteiligt, sondern immer medizinisch-pflegerische Teams oder auch Angehörige. ZukĂŒnftige Studien mĂŒssten also den Umgang mit dem Ungleichgewicht zwischen Ă€rztlichem Fachwissen und dem Selbstbestimmungsrecht, der persönlich verantworteten Entscheidung, der Patientinnen und Patienten beleuchten. Die bekannte klinische Ethikberatung oder das Ethikkonsil sind hier gute, bereits etablierte Instrumente, die noch weiter ausgebaut werden könnten. Zudem wĂ€re es nach Karl Hunstorfer wichtig, Methoden zu entwickeln, die erfassen, wie die Patientinnen und Patienten den Entscheidungsprozess erleben. Und in den Blick zu nehmen, wie mit einer aktuellen Prognose in der Zukunft umgegangen wird, wenn die Therapie nicht gelingt, sondern scheitert.
Zur Person Karl Hunstorfer ist Mitglied der âAkademie fĂŒr Ethik in der Medizinâ in Göttingen. Er studierte Philosophie und Theologie in Innsbruck, schloss dort mit dem Doktorat der Philosophie ab, machte sein Doktorat in Medizin an der UniversitĂ€t La Sapienza in Rom und das Doktorat in Theologischer Ethik 2005 an der Pontificia UniversitĂ Gregoriana in Rom. Er arbeitet als Stationsarzt im Bereich interne Medizin/Onkologie im Krankenhaus der Barmherzigen BrĂŒder in Wien und ist Lehrbeauftragter an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien sowie der UniversitĂ€t Wien. Er war Forschungsleiter des mit 117.000 Euro geförderten FWF-Projekts âĂrztliche Indikationsstellungâ (2017-2020) und habilitiert sich zu diesem Thema im Fach theologische Ethik.
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