Vater auf dem Sofa hebt seine Kleine Tochter hoch
Was bewegt VĂ€ter in Österreich, in Karenz zu gehen, und wieso nehmen so wenige diese Möglichkeit wahr? Ein Forschungsprojekt hat die BeweggrĂŒnde untersucht. © unsplash+

Eltern, die sich die Kinderbetreuung gerecht aufteilen, gehören in Österreich einer absoluten Minderheit an. So entfielen im Jahr 2022 – dem siebten Jahr in Folge, in dem die Beteiligung der MĂ€nner zurĂŒckging – nur 4,1 Prozent aller Anspruchstage beim Bezug des Kinderbetreuungsgeldes auf MĂ€nner. Dementsprechend selten, lediglich in einem Prozent der FĂ€lle, wird auch der 2017 eingefĂŒhrte Partnerschaftsbonus beansprucht – eine PrĂ€mie, die gewĂ€hrt wird, wenn der Bezug des Kinderbetreuungsgeldes zumindest im VerhĂ€ltnis 40 : 60 aufgeteilt wird. MĂ€nner, die im Beruf pausieren und sich sechs bis zwölf Monate ausschließlich um ihr Baby kĂŒmmern, sind trotz aller BemĂŒhungen um Geschlechtergerechtigkeit auch heute noch eine absolute RaritĂ€t.

Doch wie ergeht es eigentlich jenen Paaren, in denen sich die VĂ€ter fĂŒr lange Karenzzeiten entscheiden? Welche Motivationen, Alltagserfahrungen und Herausforderungen gibt es? Und wie wirkt sich dieser Schritt lĂ€ngerfristig im Familienleben aus? Fragen dieser Art geht die Soziologin Gerlinde Mauerer von der UniversitĂ€t Wien mit ihrem Team im Projekt „FamiliĂ€re FĂŒrsorge und elterliche ErwerbstĂ€tigkeit im Wandel“ nach. Die vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Untersuchung setzt auf qualitative Befragungen von Paaren und bringt diese in Kontext zu Theorien ĂŒber eine gesellschaftliche Konstruktion von MĂ€nnlichkeitsbildern.

„Das Bild einer ,caring masculinity‘ ist noch jung. Eltern, die sich ihre Betreuungszeiten gerecht aufteilen wollen, stehen im Alltag noch vor vielen HĂŒrden“, resĂŒmiert Mauerer. „FĂŒr das Entstehen einer fĂŒrsorgenden MĂ€nnlichkeit ist es jedenfalls wichtig, dass die VĂ€ter auch als allein versorgende Elternteile die Kinderbetreuung ĂŒbernehmen. LĂ€ngere Karenzzeiten von MĂ€nnern sind auch deshalb wĂŒnschenswert, weil sich diese eigenverantwortliche FĂŒrsorge gewöhnlich erst nach zwei bis drei Monaten einstellt.“ Die Forschungen zeigen, dass ein ĂŒber diese Spanne hinausgehender Zeitraum auch langfristig dem Engagement in der Kinderbetreuung förderlich ist, traditionelle Rollenbilder aber gleichzeitig nicht zwingend aufgegeben werden.

Was bewegt VĂ€ter in Österreich in Karenz zu gehen und wieso nehmen so wenige diese Möglichkeit wahr? Die Soziologin Gerlinde Mauerer hat mit Eltern gesprochen, um ihre BeweggrĂŒnde zu analysieren.

„MĂ€nner in Karenz werden von ihrem sozialen Umfeld oft als Helden stilisiert. “ Gerlinde Mauerer

Soziale Konstruktion von Elternschaft

Mauerer beschĂ€ftigt sich seit mehr als zwei Jahrzehnten mit der sozialen Konstruktion von Geschlechtern und Elternschaft. „Bereits meine frĂŒheren Untersuchungen zeigten unter anderem, dass selbst bei langen Karenzzeiten die MĂ€nner nicht immer vollstĂ€ndig eigenverantwortlich fĂŒr das Kind zustĂ€ndig sind – etwa, weil die Frau nur in geringerem Ausmaß arbeitet oder UnterstĂŒtzung von den Großeltern da ist“, sagt die Soziologin. „MĂ€nner in Karenz werden von ihrem sozialen Umfeld jedoch sehr oft als Helden stilisiert. Ihre Partnerinnen kĂ€mpfen dagegen mit Schwierigkeiten am Arbeitsplatz und mangelnder Akzeptanz in Freundeskreis und Familie.“

In ihrem nun abgeschlossenen Projekt zu familiĂ€rer FĂŒrsorge suchte Mauerer nach Paaren, in denen VĂ€ter wie MĂŒtter zumindest fĂŒnf Monate in Elternkarenz gingen oder Kinderbetreuungsgeld bezogen. Sie fĂŒhrte im Jahr 2021 insgesamt 42 Paarinterviews in ganz Österreich durch. 2023 gab es 41 Folgeinterviews mit Elternteilen aus dem frĂŒheren Sample, die langfristige Effekte der zuvor beobachteten Konstellationen greifbar machen. „Unsere Interviews fokussierten stark auf die Alltagserfahrungen der Studienteilnehmer:innen. Wir ließen uns etwa schildern, wie normale und ideale Tage mit Kind aussehen, wie ErnĂ€hrung, Pflege oder das Vereinbaren von Terminen organisiert werden“, beschreibt Mauerer. Die qualitativen Daten wurden systematisch ausgewertet, um die theoretischen Grundlagen zu erweitern. Unter anderem erstellten die Forschenden eine Typologie von Vaterschaften mit hoher „Karenzbereitschaft“.

Motivationen und Ziele von VĂ€terkarenzen

Einen ersten Typus nennt Mauerer „hochengagierte Vaterschaft“. Dieser Typus ĂŒbernimmt ab der Geburt sehr aktiv eine Rolle in der Versorgung des Kindes. „Vaterschaft wird hier als Verpflichtung begriffen, die ganz außer Frage steht. Man ist an der Umsetzung von Geschlechtergerechtigkeit interessiert – in der Elternschaft und darĂŒber hinaus“, charakterisiert Mauerer. „VĂ€ter aus dieser Gruppe haben zu Karenzbeginn oft eine Art Übergabe. Sie orientieren sich an den Herangehensweisen der MĂŒtter, entwickeln aber auch eigene Praktiken. Das Paar ist in einem engen Dialog und geht konsensorientiert vor.“

Beim zweiten Typus steht eine Betrachtungsweise im Vordergrund, die FamiliengrĂŒndung als gemeinsames Projekt begreift, das möglichst rational bewĂ€ltigt werden will. „Die Elternkarenz wird hier oft als gemeinsame Zeit und Zwischenschritt hin zum Familienleben organisiert. Manche nutzen Teile der Elternkarenz fĂŒr einen Urlaub, andere fĂŒr die HausstandsgrĂŒndung oder fĂŒr einen Hausbau“, veranschaulicht die Soziologin, wobei diese TĂ€tigkeiten und rĂ€umlichen VerĂ€nderungen generell mit dem Übergang zu Elternschaft in Verbindung stehen. „FĂŒr die VĂ€ter steht in dieser Zeit der Aufbau einer guten Beziehung zum Kind im Vordergrund. Sie wollen mehr als nur Wochenendpapas und auch langfristig Teil der Kinderbetreuung sein.“

Karriere im Vordergrund

Ein dritter Typus stellt schließlich die Chancengleichheit im Einkommenserwerb in den Vordergrund. „Hier verdienen beide gut und wollen möglichst wenig Nachteile in der Erwerbsbiografie durch die Elternkarenz. Sie wird als UnterstĂŒtzung fĂŒr den:die Partner:in betrachtet, damit diese:r möglichst bald wieder berufstĂ€tig sein kann“, skizziert Mauerer. „Dass die Wirtschaft VĂ€ter eher im Berufsleben unterstĂŒtzt als MĂŒtter, wird in dieser Gruppe ausgeblendet. Man geht von einer Geschlechtergleichheit aus. Was die Kinderbetreuung betrifft, federn langfristig aber tendenziell die Frauen hier eine unerwartete Mehrarbeit – etwa im Krankheitsfall – ab.“

Die Ergebnisse Mauerers sind im Kontext der Theorie einer sogenannten hybriden MĂ€nnlichkeit aufschlussreich. Der Ansatz thematisiert eine Konstruktion von MĂ€nnlichkeit im Wandel der GeschlechterverhĂ€ltnisse. „Mann“ will einerseits seinen Hegemonieanspruch nicht aufgeben und identifiziert sich weiterhin stark mit Erwerbsarbeit, greift aber auch neue Konzepte auf. „Man könnte annehmen, dass VĂ€ter in langer Elternkarenz bereits einer ‚caring masculinity‘ entsprechen. Doch es ist eher von einem Übergangsstadium im Sinne einer hybriden MĂ€nnlichkeit auszugehen“, sagt Mauerer. „Die traditionellen Zuschreibungen werden lediglich reduziert oder unterbrochen. SpĂ€testens nach der Karenz rĂŒckt die traditionelle Verteilung wieder in den Vordergrund. Die fĂŒrsorgliche Vaterschaft verbleibt in einem begrenzten Rahmen.“ Gerade die Mental Load, also die Belastung durch Denk- und Planungsarbeiten, sowie ein Abfedern in NotfĂ€llen verbleibt oftmals bei den MĂŒttern.

Ob die aktuelle Situation, in der wenige VĂ€ter eine in vieler Hinsicht noch begrenzte FĂŒrsorgetĂ€tigkeit leisten, tatsĂ€chlich der Beginn eines tiefgreifenden Wandels des MĂ€nnlichkeitsbildes ist, bleibt offen. Helfen könnte jedenfalls, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen von sorgenden MĂŒttern und VĂ€tern gleichermaßen ausgehen. Mauerer: „Eine gute Lösung auf dem Weg dorthin wĂ€re eine lĂ€ngere verpflichtende Elternkarenz fĂŒr VĂ€ter oder den zweiten Elternteil. Doch ist eine derartige Regelung gemĂ€ĂŸ einem „use it or lose it“, die in einigen nordischen Staaten bereits eingefĂŒhrt wurde, in Österreich nicht in Sicht.“

Zur Person

Gerlinde Mauerer ist Senior Scientist am Institut fĂŒr Soziologie der UniversitĂ€t Wien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Geschlechter- und Familienforschung, die Soziologie von Gesundheit und Krankheit und Feministische Theorien. Das von 2021 bis 2026 laufende Projekt „FamiliĂ€re FĂŒrsorge und elterliche ErwerbstĂ€tigkeit im Wandel“ wurde im Rahmen des Elise-Richter-Programms des Wissenschaftsfonds FWF mit 381.000 Euro gefördert.

Publikationen

Mauerer, G.: Hybride MĂ€nnlichkeiten praxeologisch analysiert: VĂ€ter als sorgende Elternteile in der frĂŒhen Phase von Elternschaft, in: Österreichische Zeitung fĂŒr Soziologie Vol. 50 (3), 2025

Mauerer, G.: Elternkarenz und soziale Nachhaltigkeit, in: A. Raschauer, N. Tomaschek (Hg.): Nachhaltige Arbeitswelten – Überlegungen zu einer zukunftsfĂ€higen Gestaltung von Arbeit: University – Society – Industry, Band 13, Waxmann 2024

Mauerer, G.: Paid Parental Leave in Correlation with Changing Gender Role Attitudes, in: Social Sciences 12 (9), 2023