UmweltqualitÀt ist nicht gleich verteilt

Es mag ein wenig ĂŒberraschen, aber offiziell ist Wien zu ĂŒber 50 Prozent grĂŒn. Zumindest am Boden. Etwa jeder zweite Quadratmeter der Bundeshauptstadt ist eine GrĂŒnflĂ€che. Wer in einem Innenstadtbezirk wie Alsergrund oder Margareten wohnt, sieht davon allerdings nicht so viel. Was zeigt: UmweltqualitĂ€t ist, Ă€hnlich wie die Umweltbelastung, nie gleich verteilt. FĂŒr dieses PhĂ€nomen gibt es einen Begriff â Umweltungleichheit â und ein wachsendes Forschungsfeld. An der WirtschaftsuniversitĂ€t Wien forscht die Ăkonomin Klara Zwickl in diesem Bereich.
âBei der Umweltungleichheit gibt es distributive und prozedurale Aspekteâ, sagt Zwickl. Bei den distributiven geht es um das Ergebnis. âDa schaut man sich beispielsweise an, wie ungleich die Belastungen mit Umweltgefahren verteilt sind. Oder man dreht es um: Wie ungleich kommen Menschen in den Genuss von UmweltqualitĂ€t?â Bei der prozeduralen Ungleichheit hingegen geht es um ungleiche Teilhabe an umweltpolitischen Entscheidungsprozessen â oder einfacher: Wer wird eigentlich gefragt, und wessen Meinung zĂ€hlt? Im Rahmen des Forschungsprojektes âEine empirische Analyse von Umweltgleichheit in der EUâ, das Zwickl bis vor Kurzem leitete, beschĂ€ftigten sich die Forschenden vor allem mit den distributiven Aspekten. Sie untersuchten, wie Bevölkerungsgruppen in Europa von Luftverschmutzung, insbesondere industrieller Verschmutzung, unterschiedlich betroffen sind.
Ursachenforschung mit DatenlĂŒcken
Das Forschungsfeld âUmweltungleichheitâ entstand Anfang der 1980er-Jahre in den USA. Die BĂŒrger:innenrechtsbewegung kritisierte damals, dass GiftmĂŒlldeponien ĂŒberproportional oft in Nachbarschaften mit hohem Anteil an Afroamerikaner:innen errichtet wurden. Sozialwissenschaftler:innen stellten sich die Frage, ob an dieser Umweltungleichheit auch auĂerhalb der medial prĂ€senten Fallstudien etwas dran sei. Die Untersuchungen bestĂ€tigten den Verdacht. âEs ist tatsĂ€chlich so, dass solche Deponien und andere Umweltgefahren in Nachbarschaften stehen, in denen ĂŒberproportional Minderheiten und Menschen mit niedrigem Einkommen wohnenâ, sagt Zwickl. âEs gibt kaum eine Umweltgefahr, bei der dieser Effekt nicht gefunden wurde.â Die GrĂŒnde dafĂŒr werden in der Fachwelt diskutiert, auf einen können sich aber alle Forscher:innen einigen: Menschen mit niedrigem Einkommen können es sich nicht leisten, in Gegenden mit hoher UmweltqualitĂ€t zu ziehen. âWenn es ausschlieĂlich das wĂ€re, dann wĂ€re die Umweltungleichheit nur eine Ableitung der Einkommensungleichheitâ, so Zwickl. âEs gibt aber auch Evidenz aus den USA, dass neue Industriestandorte in Nachbarschaften verlegt werden, in denen der geringste Widerstand der Bevölkerung erwartet wird â das sind oft Gegenden mit sozioökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen.â Umweltungleichheit ausschlieĂlich als Folge der Einkommensungleichheit zu verstehen, greift also zu kurz.
Lange Zeit kamen die Ergebnisse aus dem Forschungsfeld der Umweltungleichheit fast ausschlieĂlich aus den USA. Dort gibt es gute Langzeitdaten seit den 80er-Jahren, als der Emergency Planning and Community Right-to-Know Act (EPCRA) Behörden und Unternehmen zu verstĂ€rkter Transparenz zwang. In der EU gibt es vergleichbare DatensĂ€tze zu Industrieemissionen erst seit wenigen Jahren. Auch soziodemografische Bevölkerungsdaten â also Einkommen, Bildungsabschluss, StaatsbĂŒrgerschaft etc. â sind nicht ausreichend feingliedrig vorhanden und nicht EU-weit harmonisiert. FĂŒr Ăsterreich und einige andere europĂ€ische LĂ€nder gibt es zumindest Daten auf Gemeindeebene, die erste Fallstudien zu Umweltungleichheit ermöglichen.
AuslÀndische Staatsangehörige stÀrker belastet
Die Forschenden kennen also von jeder Gemeinde in Ăsterreich die Feinstaubbelastung und eine Reihe von soziodemografischen Variablen. In einer Fallstudie konzentrierten sie sich auf drei Variablen: die Anzahl der auslĂ€ndischen StaatsbĂŒrger:innen, den Anteil an Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss und das durchschnittliche Einkommen. âWir finden sehr konsistent, dass auslĂ€ndische Staatsangehörige ĂŒberproportional von Feinstaub belastet sindâ, sagt Zwickl. âUnd das ist nicht nur eine Ableitung des Einkommens: Haben wir zwei Gemeinden mit gleichem Einkommen, hat die mit dem höheren Anteil an auslĂ€ndischen StaatsbĂŒrger:innen immer noch die höhere Feinstaubbelastung.â Dieser Effekt findet sich österreichweit, ist aber noch stĂ€rker in StĂ€dten, in denen die Mehrheit auslĂ€ndischer StaatsbĂŒrger:innen lebt. Leute mit niedrigem Bildungsabschluss hingegen sind vor allem in lĂ€ndlichen Regionen von höherer Feinstaubbelastung betroffen.
Kann Klimapolitik Umweltungleichheit reduzieren?
Das Forschungsprojekt beschĂ€ftigt sich auch mit der Frage, unter welchen Bedingungen Klimapolitik Umweltungleichheit reduzieren kann. Der Gedanke dahinter ist, dass eine gut durchdachte Klimapolitik viele Vorteile jenseits des Klimas hat, da KlimaschutzmaĂnahmen nicht nur Treibhausgase einsparen, sondern auch viele andere Luftschadstoffe wie Feinstaub, Stickstoffdioxid oder Schwefeloxid. Diese sogenannten Co-Benefits sind im Gegensatz zur KlimastabilitĂ€t schnell und lokal spĂŒrbar und könnten eine ambitionierte Klimapolitik unabhĂ€ngig von den globalen Klimazielen rechtfertigen. Menschen mit hoher Belastung durch Luftverschmutzung können besonders profitieren, was wiederum die Umweltungleichheit reduziert.
Im Rahmen ihrer Habilitation leitete Zwickl das vom Wissenschaftsfonds FWF mit 240.000 Euro geförderte Projekt âEine empirische Analyse von Umweltungleichheit in der EUâ (2019â2022), an dem unter anderem Forschende des IIASA und des Umweltbundesamtes mitwirkten.
Publikationen
Zwickl K., Miklin X., Naqvi A.: Sociodemographic disparities in ambient particulate matter exposure in Austria. Working Paper available at SSRN 2023
Zwickl K., & Sturn S.: Air quality co-benefits of climate mitigation in the European Union, in: The Routledge Handbook of the Political Economy of the Environment, 184â194, Routledge 2021
Zwickl K., Sturn S., Boyc J. K.: Effects of carbon mitigation on co-pollutants at industrial facilities in Europe, in: The Energy Journal, 42(5), 2021
Zur Person
Klara Zwickl forscht am Department fĂŒr Sozioökonomie an der WirtschaftsuniversitĂ€t Wien. Sie studierte Volkswirtschaftslehre in Wien und Massachusetts.