Tiroler NationalsÀnger auf Welttournee

Die Geschwister Rainer aus FĂŒgen im Zillertal waren die erste international erfolgreiche Gesangsgruppe aus dem deutschen Sprachraum. In einer Zeit wachsenden Nationalbewusstseins, in der Tirol vom Image eines freiheitsliebenden Landes profitierte und sich die Alpen- und Tirolermode groĂer Beliebtheit erfreute, reisten sie von 1824 bis 1838 durch Deutschland und GroĂbritannien und waren selbst am Londoner Hof gern gesehene GĂ€ste. Die ihnen nachfolgende Rainer Family feierte anschlieĂend in den USA groĂe Erfolge. Diesem bisher unerforschten Kapitel der österreichischen Musikgeschichte widmete sich der Musikethnologe Thomas NuĂbaumer von der Salzburger KunstuniversitĂ€t Mozarteum in einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF.
Erfinder volkstĂŒmlicher Unterhaltung
Gemeinsam mit der Musikwissenschafterin Sandra Hupfauf arbeitete NuĂbaumer die AnfĂ€nge der erst spĂ€ter so genannten âTiroler NationalsĂ€ngertraditionâ auf, deren Spuren bis nach Russland und bis in die jĂŒngere Vergangenheit reichen. Den singenden Familien im 19. Jahrhundert und ihren internationalen Erfolgen wurde von der Forschung lange Zeit keine Beachtung geschenkt, weil sie als Modewelle und minderwertige Folklore eingestuft wurden. Dabei waren sie so etwas wie die Erfinder des bis heute beliebten und erfolgreichen volkstĂŒmlichen Schlagers, indem sie musikalische mit kommerziellen Interessen geschickt verbanden. Doch inzwischen interessiert sich auch die internationale Forschung fĂŒr die Tiroler SĂ€nger. âIn der neueren amerikanischen Forschung ĂŒber die Entwicklung der Popularmusik widmet man sich schon lĂ€nger den âTyrolese Minstrelsâ, insbesondere den berĂŒhmtesten, der Rainer Family aus dem Zillertalâ, erklĂ€rt Projektleiter NuĂbaumer.
Richtungsweisend fĂŒr amerikanische Popularmusik
Die Rainer Family um den damals 18-jĂ€hrigen Ludwig Rainer sei im Auftrag eines amerikanischen GeschĂ€ftsmannes, dessen Herkunft nicht gesichert ist, förmlich âgecastetâ worden, so NuĂbaumer. Die SĂ€ngergruppe gab von 1839 bis 1843 zahlreiche Konzerte in GroĂstĂ€dten der USA, unter anderem in New York, Boston und New Orleans. Dort feierte sie nicht nur enorme Erfolge, sondern war auch Vorbild fĂŒr die Entwicklung der Minstrel Show, eine Art musikalisches Kabarett, und des vierstimmigen A-cappella Barbershop-Gesanges. Auch trugen die Rainers wesentlich zur Popularisierung des Jodelns in der amerikanischen Unterhaltungsmusik bei.
Liedadaptionen verflachen Originale
Etliche Lieder wurden eigens fĂŒr die Rainers komponiert, andere waren bereits im deutschen und englischen Sprachraum populĂ€r, wie die heute noch bekannten Titel âDu, du liegst mir im Herzenâ oder âAch, du lieber Augustinâ. Fast jedes Lied liegt zweisprachig vor, wie die Analysen des umfassenden Liedrepertoires zeigen, die Sandra Hupfauf in dem FWF-Projekt durchgefĂŒhrt hat. Die erste Generation, die Geschwister Rainer, lieĂ ihre Lieder in London ĂŒbersetzen. Sie wurden von dem in London ansĂ€ssigen Pianisten Ignaz Moscheles unter dem Titel âThe Tyrolese Melodiesâ zweisprachig herausgegeben: im Tiroler Dialekt und in adaptierten englischen Ăbersetzungen. âDie Adaptionen sind vielfach auf ein adeliges und bĂŒrgerliches Publikum zugeschnittene Verschönerungenâ, so NuĂbaumer. Dabei seien Zweideutigkeiten der Dialektversionen in Richtung Erotik verlorengegangen, um das Bild von den frommen Naturmenschen aus den Alpen nicht zu zerstören, erklĂ€rt der Wissenschafter.
Das Spiel mit den Klischees
Die vielen Beispiele tirolerischer und englischer Versionen der gleichen Lieder offenbaren das Talent der frĂŒhen Tiroler NationalsĂ€ngergesellschaften, sich mit ihrer Musik einem fremden Publikum verstĂ€ndlich zu machen und als WerbetrĂ€ger fĂŒr ihre Heimatregionen zu fungieren. âDabei haben die Rainers beider Generationen in erster Linie mit Klischees gearbeitetâ, erklĂ€rt der Volksliedexperte. Dazu zĂ€hlten etwa das Jodeln, das eindeutig mit den Alpen in Verbindung gebracht wird, und eine entsprechende Tracht. Die Rainers haben sich aber auch damaligen Trends wie der deutschen Walzermode nicht verschlossen und gekonnt fĂŒr sich adaptiert, wie das StĂŒck âJodeln Waltzesâ belegt. Auch ihr Programm wurde schon bald umbenannt von âTyrolese Singingâ auf den mehr Erfolg versprechenden Titel âTyrolese Singing and Waltzingâ. Mit dem Alpenklischee spielt die volkstĂŒmliche Musikszene bis heute. VersatzstĂŒcke aus Folklore, Pop, Dreivierteltakt zĂ€hlen nach wie vor zu den Ingredienzen erfolgreicher Unterhaltungsmusik. Die Rainers legten im 19. Jahrhundert den Grundstein fĂŒr diesen prĂ€genden Musikstil, wie der Herausgeber Thomas NuĂbaumer und die Autorin Sandra Hupfauf in dem Buch âDie Lieder der Geschwister Rainer und âRainer Familyââ als Ergebnis des FWF-Projekts anschaulich dokumentiert und aufbereitet haben.
Zur Person Thomas NuĂbaumer ist Musikwissenschafter am Innsbrucker Sitz der UniversitĂ€t Mozarteum Salzburg. Er ist Experte fĂŒr Volksmusikforschung mit den Schwerpunkten Musik und Brauch, Fasnacht, Volksmusik und Nationalsozialismus sowie Ăberlieferung der Volksmusik im Alpenraum.
Publikationen