Tiefkühl-Kristalle als Permafrost-Marker
Der Blick in natürliche „Archive“ gibt Aufschluss über die Klimavergangenheit der Erde, das sogenannte Paläoklima. Solche Archive sind etwa Ablagerungen im Inneren von Karsthöhlen. Für die Forschung sind Höhlensinter (von der Höhlendecke und vom Boden wachsenden Kalkablagerungen) interessant, denn diese Tropfsteine konservieren die Isotopen-Zusammensetzung von Sauerstoff und Kohlenstoff des einstigen Niederschlagswassers, die ihrerseits Rückschlüsse auf Klima und Umweltbedingungen in der Vergangenheit erlauben. Bislang wenig beachtet sind nun auch kryogene Höhlenkarbonate (im Englischen cryogenic cave carbonates, abgekürzt CCC) als wertvolle Marker für Klimaschwankungen der vergangenen 500.000 Jahre in den Fokus gerückt. CCC-Kristalle entstehen knapp unter dem Nullpunkt. Im langsam gefrierenden Wasser nimmt die Konzentration zu, da keine gelösten Minerale in das wachsende Eis eingebaut werden können. Schließlich beginnt Kalziumkarbonat aus diesem Wasser auszukristallisieren und bildet millimeter- bis zentimetergroße Aggregate. CCC sind somit Indikatoren für das ehemalige Vorhandensein von dauergefrorenem Boden, auch Permafrost genannt. Da der Ural von Norden nach Süden verläuft, lassen sich anhand geeigneter Proben aus Karsthöhlen in diesem Gebirge Aussagen über die Verschiebung der Permafrost-Grenze bis zu einer halben Million Jahre in die Vergangenheit treffen.
Helfende Hände und geschulte Augen
Yury Dublyansky, Geologe und Geochemiker in der Quaternary Research Group der Universität Innsbruck, hat 20 Jahre an der Russischen Akademie der Wissenschaften in Nowosibirsk (Sibirien) gearbeitet. Seine Verbindungen und Sprachkenntnisse waren Wegbereiter für das russisch-österreichische Kooperationsprojekt im Ural, das vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützt wurde. Ohne Kooperation mit lokalen Höhlenforschungs-Vereinen wäre die Beprobung nicht durchführbar gewesen. Viele helfende Hände, Genehmigungen, Spezialausrüstung, ein geschultes Auge und geologische Kenntnisse waren notwendig, um nach den unscheinbaren CCC-Ablagerungen zu suchen. 40 teils abgelegene und geschützte Höhlen wurden beprobt, in neun davon wurden die Teams fündig. Anschließend wurden Uran-Thorium-Radio-Isotopen-Analysen in Kooperation mit Institutionen in China und den USA durchgeführt, mit denen das Alter der einzelnen Kristalle genau bestimmt werden konnte.
Große Umschwünge und schnellere Schwankungen
Als Kratzen an der Oberfläche beschreibt der Geologe die bislang vorliegenden Ergebnisse: „CCC sind ein wichtiger Marker, aber sensitiver und zum Teil komplexer als bisher gedacht. Die Daten zeugen nicht nur von großen Umschwüngen von arktischem zu milden Klima im Ural. Wir beginnen auch kleinere Temperaturschwankungen zu sehen.“ Während maximal kalten Klimaperioden reichte nach diesen Daten die Permafrost-Südgrenze beinahe bis zum Kaspischen Meer. „In manchen Höhlen fanden wir mehrere Generationen von CCC. Nun wissen wir, dass dort zu verschiedenen Zeiten in der Vergangenheit Permafrost geherrscht hat. Solche genauen Einblicke können andere Paläoklima-Archive nicht bieten“, so Yuri Dublyansky. Die letzte Eiszeit vor etwa 25.000 Jahren konnte mit CCC-Funden im Süd-Ural eindeutig nachgewiesen werden. Aber auch für den Zeitraum vor circa 37.000 und circa 48.000 Jahren liegen nunmehr Belege für Permafrost vor. Besonders interessant ist der Forschungsansatz, der CCC mit Tropfsteinen in ein- und derselben Höhle kombiniert: Erstere indizieren kaltzeitliche Bedingungen, während durch Tropfsteine wärmere Klimaphasen belegt sind.
Klirrend kalte Kunstwerke
Im Zuge der Probennahme besuchte Yuri Dublyansky auch die Shulgan-Tash Höhle, in der vor 60 Jahren altsteinzeitliche Höhlenzeichnungen gefunden wurden. Durch seine Forschungsarbeit konnten diese nun genauer datiert werden. Die berühmten Darstellungen von Mammuts und eines zweihöckrigen Kamels wurden vor rund 16.000 bis 19.000 Jahren angefertigt: „Nach der Kombination aller Daten können wir sagen, dass diese Kunstwerke tief im Inneren einer dunklen Höhle angefertigt wurden und zwar als dort Minusgrade herrschten.“
Zur Person Yuri Dublyansky arbeitet seit 2006 am Institut für Geologie der Universität Innsbruck und forscht seit den 1990er-Jahren an Formationen in Karsthöhlen. 2003 bis 2006 arbeitete er am Museo Tridentino di Scienze Naturali (Trento, Italien) an neuen Methoden und Techniken für paläoklimatische Studien und war zuvor an der geologischen Evaluierung geplanter Atommüll-Lagerstätten in Nevada und Nowaja Semlja beteiligt. Seine Forschungsschwerpunkte sind Isotopen-Geochemie, Fluideinschlüsse in Kristallen, Bildung von Höhlen und Paläohydrologie.
Publikationen