Smarte Materialien für die nächste Generation
FWF: Welche Antworten soll Ihr Projekt über Smarte Materialien geben? Elisa Davoli: Ziel meines Projekts ist es, eine umfassende Theorie für die mathematische Modellierung von smarten Materialien zu erstellen. Diese künstlichen Verbundwerkstoffe, auch Metamaterialien genannt, können ihr mechanisches, magnetisches oder elektrisches Verhalten an die Merkmale der äußeren Umgebung anpassen, indem sie geeignet induzierte Phasenübergänge, zum Beispiel Erweichung, Erhärtung oder Veränderung der Kristallstruktur, durchlaufen. Diese Besonderheit von smarten Materialien führt zu einer äußerst großen Vielseitigkeit, die Anwendungsgebiete vom 4D-Druck über intelligente Gebäude, die an die Auswirkungen des Klimawandels hinsichtlich ihrer Isolationsfähigkeit angepasst werden können, bis hin zu optischen Aufzeichnungen und Kleidung der nächsten Generation umfassen. FWF: Wie sehen die ersten Schritte aus? Davoli: Der allererste Schritt ist die Beobachtung, dass viele Merkmale des Verhaltens dieser Materialien mittels einer, möglicherweise zeitlich sich entwickelnden Reihe von Minimierungsverfahren beschrieben werden können. Ausgehend von vereinfachten Modellen, werden wir in Schritten zunehmender Komplexität vorgehen und drei grundlegende Fragen bei der mathematischen Modellierung von smarten Materialien angehen. Erstens: Wie wird die Reaktion eines smarten Materials durch die geometrische Verteilung seiner Komponenten beeinflusst? Zweitens: Wie interagieren nichtlokale Effekte mit zeitlich veränderlichen Phasenübergängen und mit dem möglichen Einsetzen der Mikrostruktur? Und drittens: Wie wirken sich die chiralen magnetischen Eigenschaften eines aktiven Verbundmaterials auf eine makroskopische Abstimmbarkeit insgesamt aus?
„Der START-Preis ermöglicht mir, völlig neue Forschungsrichtungen einzuschlagen.“
FWF: Was bedeutet der START-Preis für Ihre Forschungstätigkeit? Davoli: Der START-Preis ist eine unglaubliche Gelegenheit für meine Forschungstätigkeit. Einerseits gibt mir der Preis die Möglichkeit, mein Forschungsnetzwerk zu stärken, meine Forschungsgruppe zu erweitern, ihre wissenschaftlichen Aktivitäten mit einem Zeithorizont von sechs Jahren zu planen und ein sehr international ausgerichtetes, neu entwickeltes Forschungsteam zu koordinieren. Kooperationspartnerinnen und -partner kommen aus den USA, Tschechien, den Niederlanden, Saudi Arabien, Deutschland, Italien und Wien. Andererseits wird der Preis mir ermöglichen, völlig neue Forschungsrichtungen in der mathematischen Modellierung von Metamaterialien einzuschlagen und die Forschungsanstrengungen in diesem Bereich einige Schritte weiter voranzutreiben. FWF: Was motiviert Sie im Forschungsalltag? Davoli: Die stärkste Motivation für mich, in der Mathematik zu forschen, ist die Neugier zu verstehen, wie Dinge wirklich funktionieren, welche Theorien sich hinter der Welt verbergen, die wir beobachten, und wie wir sie auf elegante und präzise Weise beschreiben können. Ich habe das unglaubliche Glück, einen Job zu haben, den ich wirklich mag. Herausfordernde Probleme zu studieren macht mir Spaß, und ich finde es gleichzeitig spannend. Es ist eine Aufgabe, bei der man sich nie langweilt. FWF: Wie sind Sie auf Ihr Spezialgebiet Smart Materials gekommen? Gab es Vorbilder für Ihren Berufsweg? Davoli: Ich habe schon früh die Schönheit und Eleganz der Mathematik bewundert und war immer fasziniert von der Komplexität der Probleme aus Physik, Ingenieurwesen und Materialwissenschaften. Diese Kombination hat mich ganz natürlich in den Bereich der angewandten Mathematik getrieben. Ich bin in Ancona geboren. In meiner Familie gab es keine Vorbilder bezüglich einer Karriere in der Mathematik, aber eine Lehrerin hat mich bereits mit sieben Jahren gefördert und ermutigt. Während meines Studiums hatte ich dann die Gelegenheit, drei ganz unterschiedliche, aber gleichermaßen inspirierende Mentorinnen und Mentoren zu haben, die die Mathematikerin, die ich heute bin, geprägt haben: Maria Giovanna Mora, die meine Promotion am SISSA in Triest betreut hat. Ulisse Stefanelli von der Fakultät für Mathematik an der Universität Wien und Irene Fonseca, meine Mentorin in den USA.
Elisa Davoli forscht am Institut für Analysis und Scientific Computing der Technischen Universität Wien. Seit 2020 ist sie Elise-Richter-Stelleninhaberin des FWF und leitet die Forschungsgruppe „Multiscale Calculus of Variations and PDEs“. Davoli studierte Mathematik am Forschungszentrum SISSA in Triest und habilitierte sich 2019 an der Universität Wien nach Forschungsaufenthalten u.a. an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, USA. Ebenfalls seit 2019 ist sie Mitglied der Young Academy der österreichischen Akademie der Wissenschaften. Sie ist Richard-von-Mises-Preisträgerin 2020.
Zum Projekt Abstimmbare (oder intelligente) Materialien sind eine besondere Klasse von Metamaterialien, die ihre Reaktion an die Merkmale der äußeren Umgebung anpassen können. Als solche gelten sie als die Zukunft für die optische Datenverarbeitung, Quanteninformation und Technologien der nächsten Generation. Das START-Projekt „Smart Materials: Geometrie, Nichtlokalität, Chiralität“ zielt auf grundlegende Fragen zu Geometrie des Materials, zu Interaktion mit nicht-lokalen Effekten und seiner makroskopischen Abstimmbarkeit ab.
Der START-Preis Das START-Programm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Es ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt damit neben dem Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.