Schatz, denkst du gerade nach?

Oft wĂŒnschen wir uns, in den Kopf eines anderen Menschen hineinsehen zu können. Thomas Beyer von der Medizinischen UniversitĂ€t Wien entwickelt Methoden, die genau dazu in der Lage sind. Die Technik, die er und sein Team benutzt, ist eine Kombination der bekannten Magnetresonanztomografie (MRT), die 3D-Aufnahmen von weichem Gewebe macht, und der weniger bekannten Positronen-Emissions-Tomografie (PET), die den Zuckerumsatz im Hirn bestimmen kann. Das Ziel ist, eine Art Landkarte der Hirn-AktivitĂ€t zu zeichnen. In einem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt hat sein Team nun ein automatisiertes Verfahren dafĂŒr entwickelt, das groĂe Vorteile gegenĂŒber den bisher gĂ€ngigen Methoden hat.
Blutabnahme erforderlich
Eine genaue Messung des Hirnstoffwechsels ist ĂŒblicherweise sehr unangenehm, erklĂ€rt Beyer: âDafĂŒr wird am Handgelenk arterielles Blut abgenommen, die Probanden mĂŒssen dafĂŒr eine Stunde ruhig liegen.â Mit einem PET/MRT-Scanner lieĂe sich die Blutabnahme vermeiden, so Beyers Hypothese. Ein solches GerĂ€t ist in der Lage, MRT-Bilder, die Weichteilkontraste sichtbar machen, mit PET-Bildern zu verbinden. FĂŒr den PET-Scan wird den Probanden eine geringe Menge an radioaktiv markiertem Zucker verabreicht. âMan appliziert den radioaktiven Zucker in die Blutbahn, wo er sich verteilt. Der von uns verwendete Zucker ist mit dem radioaktiven Element Fluor 18 markiert, das nach dem Zerfall zwei Photonen aussendetâ, erklĂ€rt der Forscher. Diese können mit dem PET-Scanner detektiert werden. Auf diese Weise wird ein Bild erstellt, das zeigt, wo der Zucker im Hirn verarbeitet wird. Das MR-Bild dient dabei als Referenz, weil Personen im Scanner sich leicht bewegen können und die PET-Scans verwackeln können. Die Belastung durch RadioaktivitĂ€t sei dabei im Bereich der gĂ€ngigen jĂ€hrlichen Strahlenbelastung einer Person in Ăsterreich durch natĂŒrliche EinflĂŒsse. PET/MRT-Scanner sind immer noch sehr selten, sagt Beyer. âAuf der ganzen Welt gibt es etwa 250 StĂŒck, in Ăsterreich genau eines, und zwar jenes an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien.â Die mit PET/MRT erzeugten Bilder seien mehr als eine Ăberlagerung zweier Einzelbilder, so der Physiker: âWir verwenden Informationen aus dem MRT, um die PET-Bilder besser und genauer zu machen.â

HirnaktivitÀt ohne Blutabnahme
Mit diesem GerĂ€t wurde in dem klinischen Projekt gemeinsam mit den Kooperationspartnern der Medizinischen UniversitĂ€t Wien eine Gruppe von zehn Probanden untersucht. Sie bekamen das Kontrastmittel, den radioaktiven Zucker, verabreicht und lagen danach 60 Minuten im PET/MRT-Scanner, wobei ihnen regelmĂ€Ăig Blut abgenommen wurde. âDas war notwendig, um zu sehen, ob das, was wir im Hirn messen, mit dem Zuckergehalt des Bluts korrespondiertâ, sagt Beyer. Durch den Vergleich mit der klassischen Methode durch Blutabnahme konnte die VerlĂ€sslichkeit der PET/MRT-Messung der HirnaktivitĂ€t bestĂ€tigt werden, wodurch es kĂŒnftig möglich ist, auf die Blutabnahme zu verzichten. Dadurch wird es möglich, quantitative Messungen des Hirnstoffwechsels im klinischen Bereich anzuwenden.
Anwendung fĂŒr Epilepsie
Nach dieser ersten erfolgreichen Studie wurde untersucht, ob sich die Methode zur UnterstĂŒtzung von Epilepsie-Behandlungen verwenden lĂ€sst. Bei nicht lĂ€sionaler Epilepsie â das ist eine Form der Erkrankung, die nicht auf anatomische Faktoren zurĂŒckzufĂŒhren ist â ist es entscheidend, die AktivitĂ€t bestimmter Hirnregionen zu kennen, die dann das Ziel eines chirurgischen Eingriffs sind, bei dem das problematische Gewebe operativ entfernt wird. Um sicher zu sein, welche Region fĂŒr die epileptischen SchĂŒbe verantwortlich ist, sind genaue Messungen zur Bestimmung von deren AktivitĂ€t nötig. Der Zuckerumsatz eines solchen Areals ist im ruhigen Zustand niedrig, wĂ€hrend eines epileptischen Anfalls steigt er aber sprunghaft an. âDer Zuckerumsatz ist nicht der beste Indikator fĂŒr epileptische Herde, aber wir wollten herausfinden, ob er sich fĂŒr deren Diagnose eignetâ, sagt Beyer. âUnser Ansatz war daher, nicht nur eine statische Aufnahme nach einem bestimmten Zeitpunkt zu machen, wo der markierte Zucker gleichverteilt ist, sondern auch seine zeitliche AnhĂ€ufung zu dokumentieren.â So könne man sehen, wie âhungrigâ die Hirnzellen sind. âWir hofften, es wĂ€re vielleicht möglich, die epileptischen Zonen so besser zu beschreiben.â

In einer ersten Studie mit 15 Patienten, die an nicht lĂ€sionaler Epilepsie erkrankt sind, erfĂŒllte sich die ursprĂŒngliche Hoffnung der Forscher allerdings nicht. Nur bei einem Bruchteil der untersuchten Personen konnte wirklich ein Mehrwert durch die bildgebenden PET/MRT-Verfahren und der entwickelten Quantifizierung erreicht werden. âDer Grund liegt darin, dass der Grundverbrauch des Zuckers auch in einem normalen Hirn stark fluktuiertâ, sagt Beyer. âEr ist vom psychologischen Zustand des Patienten abhĂ€ngig, der betrĂ€chtlichen Schwankungen unterliegt â, je nachdem ob man gut gelaunt oder gestresst ist, Ă€ndert sich der reale Zuckerverbrauch erheblich. Bislang ist es uns jedoch nicht gelungen den psychologischen Zustand des Patienten zu normieren, das bleibt eine Herausforderung fĂŒr die Zukunft.â Von diesen natĂŒrlichen Schwankungen waren die krankheitsbedingten Ănderungen des Zuckerstoffwechsels nicht zu unterscheiden.
Automatisierte Bestimmung der HirnaktivitÀt
In der Folge hat sich das Forscherteam in Wien stĂ€rker auf eine allgemeine nicht invasive Messung der HirnaktivitĂ€t gesunder Personen konzentriert. Dieser Zugang stellte sich als erfolgreich heraus. Dank der Arbeit von Beyers Mitarbeiter Lalith Kumar Shiyam Sundar, eines Biomedizintechnikers, der im Rahmen des ĂŒber vier Jahre laufenden Projekts promovierte, gelang es, die Untersuchung weitgehend zu automatisieren. Die HirnaktivitĂ€t wird nun vom Computer aus den Bilddaten rekonstruiert. KĂŒrzlich wurde die QualitĂ€t der Bilder mit Methoden des maschinellen Lernens weiter verbessert. âDie Methodik, die wir erarbeitet haben, ist automatisiert, sodass Ărzte sie etwa fĂŒr neuro-onkologische Untersuchungen verwenden könnenâ, so Thomas Beyer. âFĂŒr sie haben wir hier vor Ort eine Lösung gefunden, sich per Knopfdruck diese neue Art von Bildern anzeigen zu lassen.â
Zur Person Thomas Beyer ist Physiker an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien und Leiter des Forschungsbereichs fĂŒr Quantitative Bildgebung und Medizinische Physik. Er ist PrĂ€sident der EuropĂ€ischen Gesellschaft fĂŒr Hybrid-, Molekular- und Translationale Bildgebung sowie Mitglied der EuropĂ€ischen Akademie der Wissenschaft. Beyer interessiert sich besonders fĂŒr hybride Methoden der Bildgebung in der Medizin und ihre Anwendung in Bereichen wie Neurologie und Onkologie. Das klinische Grundlagenprojekt âPersonalisierte Diagnostik nicht lĂ€sioneller Epilepsie mit simultaner PET/MR-Bildgebungâ (2015-2019) wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit rund 245.000 Euro gefördert.
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