Nachdenkliche Frau aus dem Fenster schauend.
Was geht vor in unseren Gehirnen? Grundlagenforscher/innen haben eine neue Methode entwickelt, die schonend und vollautomatisch ist, um die HirnaktivitĂ€t zu messen. Sie soll medizinische Diagnosen verbessern. © Andrea Piacquadio/Pexels

Oft wĂŒnschen wir uns, in den Kopf eines anderen Menschen hineinsehen zu können. Thomas Beyer von der Medizinischen UniversitĂ€t Wien entwickelt Methoden, die genau dazu in der Lage sind. Die Technik, die er und sein Team benutzt, ist eine Kombination der bekannten Magnetresonanztomografie (MRT), die 3D-Aufnahmen von weichem Gewebe macht, und der weniger bekannten Positronen-Emissions-Tomografie (PET), die den Zuckerumsatz im Hirn bestimmen kann. Das Ziel ist, eine Art Landkarte der Hirn-AktivitĂ€t zu zeichnen. In einem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt hat sein Team nun ein automatisiertes Verfahren dafĂŒr entwickelt, das große Vorteile gegenĂŒber den bisher gĂ€ngigen Methoden hat.

Blutabnahme erforderlich

Eine genaue Messung des Hirnstoffwechsels ist ĂŒblicherweise sehr unangenehm, erklĂ€rt Beyer: „DafĂŒr wird am Handgelenk arterielles Blut abgenommen, die Probanden mĂŒssen dafĂŒr eine Stunde ruhig liegen.“ Mit einem PET/MRT-Scanner ließe sich die Blutabnahme vermeiden, so Beyers Hypothese. Ein solches GerĂ€t ist in der Lage, MRT-Bilder, die Weichteilkontraste sichtbar machen, mit PET-Bildern zu verbinden. FĂŒr den PET-Scan wird den Probanden eine geringe Menge an radioaktiv markiertem Zucker verabreicht. „Man appliziert den radioaktiven Zucker in die Blutbahn, wo er sich verteilt. Der von uns verwendete Zucker ist mit dem radioaktiven Element Fluor 18 markiert, das nach dem Zerfall zwei Photonen aussendet“, erklĂ€rt der Forscher. Diese können mit dem PET-Scanner detektiert werden. Auf diese Weise wird ein Bild erstellt, das zeigt, wo der Zucker im Hirn verarbeitet wird. Das MR-Bild dient dabei als Referenz, weil Personen im Scanner sich leicht bewegen können und die PET-Scans verwackeln können. Die Belastung durch RadioaktivitĂ€t sei dabei im Bereich der gĂ€ngigen jĂ€hrlichen Strahlenbelastung einer Person in Österreich durch natĂŒrliche EinflĂŒsse. PET/MRT-Scanner sind immer noch sehr selten, sagt Beyer. „Auf der ganzen Welt gibt es etwa 250 StĂŒck, in Österreich genau eines, und zwar jenes an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien.“ Die mit PET/MRT erzeugten Bilder seien mehr als eine Überlagerung zweier Einzelbilder, so der Physiker: „Wir verwenden Informationen aus dem MRT, um die PET-Bilder besser und genauer zu machen.“

Die Abbildung zeigt Hirnscans von hypometabolischen, hypermetabolischen und bilateralen abnormalen Zonen, die mit dem entsprechenden MR-Bild ĂŒberlagert sind.
Das Software-Tool der QIMP-Forschungsgruppe kombiniert die PET- und MR-Informationen, um erweiterte Datenanalysen durchzufĂŒhren und abnormale Glukoseaufnahmeregionen hervorzuheben. Die Abbildung zeigt hypometabolische, hypermetabolische und bilaterale abnormale Zonen, die mit dem entsprechenden MR-Bild ĂŒberlagert sind. © QIMP

HirnaktivitÀt ohne Blutabnahme

Mit diesem GerĂ€t wurde in dem klinischen Projekt gemeinsam mit den Kooperationspartnern der Medizinischen UniversitĂ€t Wien eine Gruppe von zehn Probanden untersucht. Sie bekamen das Kontrastmittel, den radioaktiven Zucker, verabreicht und lagen danach 60 Minuten im PET/MRT-Scanner, wobei ihnen regelmĂ€ĂŸig Blut abgenommen wurde. „Das war notwendig, um zu sehen, ob das, was wir im Hirn messen, mit dem Zuckergehalt des Bluts korrespondiert“, sagt Beyer. Durch den Vergleich mit der klassischen Methode durch Blutabnahme konnte die VerlĂ€sslichkeit der PET/MRT-Messung der HirnaktivitĂ€t bestĂ€tigt werden, wodurch es kĂŒnftig möglich ist, auf die Blutabnahme zu verzichten. Dadurch wird es möglich, quantitative Messungen des Hirnstoffwechsels im klinischen Bereich anzuwenden.

Anwendung fĂŒr Epilepsie

Nach dieser ersten erfolgreichen Studie wurde untersucht, ob sich die Methode zur UnterstĂŒtzung von Epilepsie-Behandlungen verwenden lĂ€sst. Bei nicht lĂ€sionaler Epilepsie – das ist eine Form der Erkrankung, die nicht auf anatomische Faktoren zurĂŒckzufĂŒhren ist – ist es entscheidend, die AktivitĂ€t bestimmter Hirnregionen zu kennen, die dann das Ziel eines chirurgischen Eingriffs sind, bei dem das problematische Gewebe operativ entfernt wird. Um sicher zu sein, welche Region fĂŒr die epileptischen SchĂŒbe verantwortlich ist, sind genaue Messungen zur Bestimmung von deren AktivitĂ€t nötig. Der Zuckerumsatz eines solchen Areals ist im ruhigen Zustand niedrig, wĂ€hrend eines epileptischen Anfalls steigt er aber sprunghaft an. „Der Zuckerumsatz ist nicht der beste Indikator fĂŒr epileptische Herde, aber wir wollten herausfinden, ob er sich fĂŒr deren Diagnose eignet“, sagt Beyer. „Unser Ansatz war daher, nicht nur eine statische Aufnahme nach einem bestimmten Zeitpunkt zu machen, wo der markierte Zucker gleichverteilt ist, sondern auch seine zeitliche AnhĂ€ufung zu dokumentieren.“ So könne man sehen, wie „hungrig“ die Hirnzellen sind. „Wir hofften, es wĂ€re vielleicht möglich, die epileptischen Zonen so besser zu beschreiben.“

Grafik eines automtischen nicht-invasiven Workflows von PET/MR-Aufnahmen
Die in diesem Projekt entwickelte Software verwendet die PET- und MRT-Informationen aus dem integrierten PET/MR System, um die Stoffwechselraten von Zucker im Hirn nicht invasiv zu bestimmen. © QIMP

In einer ersten Studie mit 15 Patienten, die an nicht lĂ€sionaler Epilepsie erkrankt sind, erfĂŒllte sich die ursprĂŒngliche Hoffnung der Forscher allerdings nicht. Nur bei einem Bruchteil der untersuchten Personen konnte wirklich ein Mehrwert durch die bildgebenden PET/MRT-Verfahren und der entwickelten Quantifizierung erreicht werden. „Der Grund liegt darin, dass der Grundverbrauch des Zuckers auch in einem normalen Hirn stark fluktuiert“, sagt Beyer. „Er ist vom psychologischen Zustand des Patienten abhĂ€ngig, der betrĂ€chtlichen Schwankungen unterliegt –, je nachdem ob man gut gelaunt oder gestresst ist, Ă€ndert sich der reale Zuckerverbrauch erheblich. Bislang ist es uns jedoch nicht gelungen den psychologischen Zustand des Patienten zu normieren, das bleibt eine Herausforderung fĂŒr die Zukunft.“ Von diesen natĂŒrlichen Schwankungen waren die krankheitsbedingten Änderungen des Zuckerstoffwechsels nicht zu unterscheiden.

Automatisierte Bestimmung der HirnaktivitÀt

In der Folge hat sich das Forscherteam in Wien stĂ€rker auf eine allgemeine nicht invasive Messung der HirnaktivitĂ€t gesunder Personen konzentriert. Dieser Zugang stellte sich als erfolgreich heraus. Dank der Arbeit von Beyers Mitarbeiter Lalith Kumar Shiyam Sundar, eines Biomedizintechnikers, der im Rahmen des ĂŒber vier Jahre laufenden Projekts promovierte, gelang es, die Untersuchung weitgehend zu automatisieren. Die HirnaktivitĂ€t wird nun vom Computer aus den Bilddaten rekonstruiert. KĂŒrzlich wurde die QualitĂ€t der Bilder mit Methoden des maschinellen Lernens weiter verbessert. „Die Methodik, die wir erarbeitet haben, ist automatisiert, sodass Ärzte sie etwa fĂŒr neuro-onkologische Untersuchungen verwenden können“, so Thomas Beyer. „FĂŒr sie haben wir hier vor Ort eine Lösung gefunden, sich per Knopfdruck diese neue Art von Bildern anzeigen zu lassen.“


Zur Person Thomas Beyer ist Physiker an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien und Leiter des Forschungsbereichs fĂŒr Quantitative Bildgebung und Medizinische Physik. Er ist PrĂ€sident der EuropĂ€ischen Gesellschaft fĂŒr Hybrid-, Molekular- und Translationale Bildgebung sowie Mitglied der EuropĂ€ischen Akademie der Wissenschaft. Beyer interessiert sich besonders fĂŒr hybride Methoden der Bildgebung in der Medizin und ihre Anwendung in Bereichen wie Neurologie und Onkologie. Das klinische Grundlagenprojekt „Personalisierte Diagnostik nicht lĂ€sioneller Epilepsie mit simultaner PET/MR-Bildgebung“ (2015-2019) wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit rund 245.000 Euro gefördert.


Publikationen

Traub-Weidinger, T., Muzik, O., Shiyam Sundar, L. K. et al.: Utility of Absolute Quantification in Non- lesional Extratemporal Lobe Epilepsy Using FDG PET/MR Imaging, in: Frontiers in Neurology, 11, 54, 2020
Shiyam Sundar, L. K., Baajour, S., Beyer, T. et al.: Fully Integrated PET/MR Imaging for the Assessment of the Relationship Between Functional Connectivity and Glucose Metabolic Rate, in: Frontiers in Neuroscience, 14, 252, 2020
Shiyam Sundar, L. K., Muzik, O., Rischka, L. et al.: Promise of Fully Integrated PET/MRI: Noninvasive Clinical Quantification of Cerebral Glucose Metabolism. Journal of Nuclear Medicine, 61(2), 276–284, 2020
Shiyam Sundar, L. K., Muzik, O., Rischka, L. et al.: Towards quantitative [18F]FDG-PET/MRI of the brain: Automated MR-driven calculation of an image-derived input function for the non-invasive determination of cerebral glucose metabolic rates, in: Journal of Cerebral Blood Flow & Metabolism, 39(8), 1516–1530, 2019