Gabriele Colozza
Gabriele Colozza gelang es, ein Gen zu identifizieren, das veranschaulicht, wie Stammzellen im Darm Entscheidungen treffen. Seine Entdeckung ist ein wichtiger Schritt, um Therapien bei Darmkrebs gezielt voranzutreiben. © Hanna Gabriel/FWF

Stammzellen unterscheiden sich im Grad ihrer Potenz. Totipotente Stammzellen können sich in alle Zelltypen eines Organismus entwickeln („differenzieren“). Das wohl bekannteste Beispiel ist die befruchtete Eizelle, aus deren Teilung der gesamte Körper mit all seinen Gewebetypen entsteht. Adulte Stammzellen hingegen sind multipotent. Sie liegen in bereits ausgebildeten Geweben vor und sind darauf spezialisiert, bestimmte Zelltypen zu produzieren. Zum Beispiel können sich intestinale Stammzellen nur in die Zellarten der Darmschleimhaut entwickeln.

„Adulte Stammzellen sind wichtig, weil sie abgestorbene oder beschädigte Zellen im Gewebe nachproduzieren, um dessen Funktionalität zu sichern“, sagt Gabriele Colozza. Der gebürtige Italiener verbringt im Rahmen des Lise-Meitner-Mobilitätsprogramms des Wissenschaftsfonds FWF einen Forschungsaufenthalt am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien. Im Projekt „Molekulare Mechanismen, die adulte Darmstammzellen regulieren“ gelang es ihm, ein Gen zu identifizieren, das maßgeblich an der Differenzierung von Darmstammzellen beteiligt ist. Es wirkt als Schalter für die Bildung sogenannter Paneth-Zellen, einer Drüsenzellart im Darm. Paneth-Zellen werden bei gewissen intestinalen Krebsarten im Übermaß gebildet und gelten in der Wissenschaft als neues zelluläres Therapieziel.

Der Darm als ständige Baustelle

„Die Zellen unseres Darms sind rauen Bedingungen ausgesetzt“, so Colozza. Sie werden durch den Nahrungsdurchfluss mechanisch abgenutzt und sind zudem mit Verdauungsenzymen und schwankenden pH-Werten konfrontiert. „Ganz gleich, ob die Zellen natürlich sterben oder durch äußeren Einfluss – es braucht eine starke Kraft, die die intestinale Schleimhaut regeneriert“, erklärt der Forscher. Diese Funktion erfüllen intestinale Stammzellen. Es wird geschätzt, dass sich der Darm von Mäusen alle drei bis fünf Tage vollständig selbst erneuern muss. Auch bei Menschen sei es laut Colozza angebracht, sich den Darm mehr als ein dynamisches Gleichgewicht vorzustellen denn als feststehende Struktur.

Stammzellen liefern Nachschub

Die Darmschleimhaut hat einen charakteristischen Aufbau mit etwa 1 Millimeter langen Ausstülpungen, den Darmzotten. Sie vergrößern die Oberfläche und sind für die Aufnahme von Nährstoffen entscheidend. In den Zwischenräumen der Zotten liegen sogenannte Krypten, kleine taschenförmige Strukturen. „In jeder Krypte befindet sich eine Vielzahl an Stammzellen, die zu intestinalen Zellen ausdifferenzieren können“, erklärt Colozza. „Mich interessiert, welche molekularen Signale einer Stammzelle vermitteln, welchen Weg sie bei ihrer Differenzierung einschlagen soll.“ Denn die weitere Entwicklung der Stammzellen wird von ihrer Umgebung reguliert.

Unkontrollierte Signalwege führen zu Krebs

„Für die Kommunikation benutzen Zellen molekulare Signale“, erklärt Colozza. Einer dieser Signalwege heißt Wnt. Er spielt in der embryonalen Entwicklung eine entscheidende Rolle und kann, wenn er ungebremst seine Wirkung entfaltet, zu übermäßiger Zellteilung und damit zur Entstehung von Krebs führen.

Einer der bekanntesten Gegenspieler des Wnt-Signalwegs ist Rnf43. Das Gen wurde von Colozzas ursprünglichem Laborleiter in Wien, Bon-Kyoung Koo, entdeckt. Es ist wichtig für die Entsorgung nicht mehr benötigter Proteine und markiert diese innerhalb der Zelle, wenn sie eliminiert werden sollen – unter anderem den Rezeptor des Wnt-Signalwegs. Auf diese Weise dämpft Rnf43 das Wnt-Signal auf das jeweils notwendige Level. Allerdings braucht es dazu ein passendes Partnerprotein.

Zur Person

Gabriele Colozza ist Senior Scientist am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien. Nach seiner Ausbildung in Siena verbrachte er Auslandsaufenthalte in Cambridge (Großbritannien) sowie in den USA an der University of California, Los Angeles, und der Columbia University in New York.

Seit 2020 ist er als Postdoktorand in Wien tätig. Sein Lise-Meitner-Projekt „Molekulare Mechanismen, die adulte Darmstammzellen regulieren“ wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit 175.780 Euro gefördert.

Fluoreszenz-Immunfärbung des Mausdarms.
Fluoreszenz-Immunfärbung des Mausdarms. Die Krypten (Einstülpungen oder taschenartige Strukturen) liegen zwischen den Darmzotten (lange, fingerartige Strukturen, die sich in das Darmlumen erstrecken). Grün eingefärbt sind Paneth-Zellen, eine Art von Drüsenzellen, die sich in den Krypten befinden. Die blaue Färbung zeigt die Zellkerne aller Darmzelltypen. © Gabriele Colozza

Molekulares Teamwork entschlüsselt

In früheren Arbeiten hatte sich gezeigt, dass die alleinige Markierung durch Rnf43 für den Abbau des Wnt-Rezeptors nicht ausreicht. Der Rezeptor liegt – wie die meisten Rezeptoren – in der umgebenden Hülle (Plasmamembran) der Zelle. Damit eine Markierung durch Rnf43 zum Abbau führen kann, müsste er also erst ins Zellinnere aufgenommen werden. „Hier haben wir in unserem Forschungsprojekt angeknüpft“, sagt Colozza. „Mithilfe von biochemischen Assays und Massenspektrometrie konnten wir untersuchen, welche Proteine mit Rnf43 interagieren.“ So identifizierte Colozza ein Gen namens Daam als Zwischenglied. „Es sorgt dafür, dass der Wnt-Rezeptor in die Zelle internalisiert wird. Das bedeutet, Daam und Rnf43 arbeiten im Team, um den Wnt-Signalweg zu dämpfen“, so der Experte.

Effekte in Darm-Organoiden untersucht

Um die Entdeckung von der molekularen Ebene auf die Organebene zu übertragen, setzte Colozza unter anderem Darm-Organoide ein. Diese dreidimensionalen Strukturen werden als Zellkultur aus adulten Stammzellen herangezogen und ähneln der Darmschleimhaut in Struktur und Eigenschaften. So konnte der Forscher feststellen, dass Daam für die Differenzierung der Darmstammzellen in sogenannte Paneth-Zellen entscheidend ist. Diese Zellart sondert Stoffe ab, die die Teilung von Darmstammzellen anregen. „Daam wirkt wie ein Schalter“, erklärt der Forscher. „Wenn es eingeschaltet ist, dann differenziert sich die Stammzelle zur Paneth-Zelle. Ist es ausgeschaltet, schlägt die Zelle einen anderen Weg ein.“

Paneth-Zellen bei Kolorektalkrebs erhöht

Die Verknüpfung der molekularen Ergebnisse mit der Entwicklung von Paneth-Zellen verleiht dem Projekt zusätzliches Gewicht. Denn die Zellart ist neben anderen Funktionen dafür verantwortlich, die Umgebungsbedingungen innerhalb der Krypten zu regulieren. Da Paneth-Zellen die Stammzellteilung anregen, kann ihre übermäßige Verbreitung zur Entstehung von Kolorektalkrebs beitragen.

„In Mausmodellen wurde gezeigt, dass solche Tumore zurückgehen, wenn die Überproliferation von Paneth-Zellen genetisch blockiert wird“, erklärt Colozza. „Mit unserer Forschung konnten wir den ersten genetischen Beweis erbringen, dass eine Komponente des Wnt-Signalwegs direkt an der Entwicklung dieser wichtigen Zellart involviert ist.“ Damit wird auch für die Entwicklung von Medikamenten gegen Kolorektalkrebs ein neues Ziel greifbar.

Ergebnisse erweitern das Verständnis von Stammzellen

„Unsere Ergebnisse veranschaulichen, wie Stammzellen Entscheidungen treffen“, so Colozza. Das sei auch für die Wissenschaft selbst von Vorteil. „Wir wissen zwar, wie wir bestimmte Zellen im Labor kultivieren können. Aber oft fehlen uns die Mittel, um Zellen in die eine oder andere Richtung zu pushen.“ Das ändert sich, je mehr Verständnis für die genetischen und molekularen Mechanismen herrscht. Die Entdeckung von Daam sei ein wichtiger Schritt, um die Entwicklung in bestimmte Zelltypen gezielt anregen zu können.