START-Preisträger Máté Gerencsér
Die mathematischen Grundlagen vieler Theorien sind oft nicht vollständig verstanden. Der Mathematiker Máté Gerencsér setzt sein Wissen ein, um Modelle grundlegend zu verstehen und sie in die Anwendung umzusetzen. © FWF/Daniel Novotny

Herr Gerencsér, worum geht es in Ihrem Projekt?

Máté Gerencsér: Wir befassen uns mit mathematischen Gleichungen, die als stochastische partielle Differentialgleichungen bezeichnet werden, und ihren Lösungen. Diese Differentialgleichungen beschreiben in der Regel Prozesse über gewisse Zeiträume hinweg. Ein Beispiel dafür ist, wie sich Wärme in einem Objekt ausbreitet. Die Lösung einer solchen partiellen Differentialgleichung ist nicht eine einzelne Zahl, wie bei der Suche nach x in der Gleichung 2x = 10, sondern eine Funktion der involvierten Variablen. Der stochastische Teil bedeutet, dass wir Rauschen in die partiellen Differentialgleichungen einführen. Rauschen ist eine kleine zufällige Störung in der Gleichung, die sich auf die resultierenden Funktionen auswirkt.

Welche Antworten möchten Sie damit finden?

Gerencsér: Mathematiker:innen möchten oft das langfristige Verhalten der Lösungen dieser Art von Gleichungen untersuchen. Das bedeutet, dass sich die resultierende Funktion auf kurzen Zeitskalen auf eine gewisse Art verhalten kann – ihr Wert kann nach oben oder unten gehen oder unregelmäßig sein –, sich aber nach einer ausreichend langen Zeit ein charakteristisches stabiles Verhalten einstellt. Wenn man beispielsweise ein Ende eines Metallstabs erhitzt, so verteilt sich die Wärme nach einer ausreichend langen Zeit gleichmäßig im gesamten Stab. Dieses auf lange Zeit interessante Verhalten ist eine der Hauptmotivationen, diese Gleichungen zu untersuchen.

Zur Person

Máté Gerencsér arbeitet als Associate Professor für „Numerics of Stochastic Differential Equations“ am Institute of Analysis and Scientific Computing an der TU Wien. Er studierte zunächst Mathematik in Ungarn an der Eötvös Loránd University in Budapest. Anschließend promovierte er 2016 an der University of Edinburgh und arbeitete nach einem kurzen Zwischenstopp an der University of Warwick, UK, als Postdoc am Institute of Science and Technology Austria (ISTA).

„Uns interessiert das langfristige Verhalten der Lösungen dieser Art von Gleichungen. “ Máté Gerencsér

Bei einigen stochastischen partiellen Differentialgleichungen hilft das zusätzliche Rauschen, Lösungen zu finden, doch bei anderen macht es das schwieriger. In meiner Forschung beschäftige ich mich mit diesen Gleichungen und möchte zwei breite Fragen beantworten. Erstens: Wie können wir mathematische Werkzeuge einsetzen, um diese Gleichungen besser zu verstehen und rigorose mathematische Grundlagen zu schaffen, die ihr Verhalten erklären? Und zweitens, wie können wir diese Gleichungen effektiv in Computersimulationen umsetzen?

Wieso ist diese Forschung wichtig?

Gerencsér: Stochastische partielle Differentialgleichungen kommen in verschiedenen Bereichen vor: von statistischer Mechanik über Populationsgenetik bis hin zur Polymerphysik. In der Physik oder Chemie gibt es oft mathematische Strukturen, von denen man annimmt, dass sie gut verstanden sind. Es kann jedoch lange dauern, bis die Mathematik sie vollständig beschrieben und alle rigorosen mathematischen Grundlagen geschaffen hat, um ihre fundamentalen Eigenschaften zu beweisen.

Das ist zum Beispiel bei der Quantenfeldtheorie der Fall. Sie ist eine äußerst erfolgreiche Theorie, deren mathematische Grundlagen aber noch lange nicht verstanden sind. Hier könnten wir unsere Arbeit einsetzen, um einige spezifische Modelle besser zu verstehen.

Wie sehen die ersten Schritte Ihres Projekts aus?

Gerencsér: Bei der Untersuchung von Differentialgleichungen denken wir normalerweise daran, Funktionen als deren Lösungen zu finden. Bei vielen stochastischen partiellen Differentialgleichungen gibt es jedoch eine grundlegendere Herausforderung. Wir müssen zunächst die Gleichungen selbst verstehen und alle ihre Teile und deren Zusammenspiel begreifen.

„Die Herausforderung ist, die Gleichungen selbst und alle ihre Teile zu begreifen.“ Máté Gerencsér

Diese Gleichungen können auch ein seltsames Verhalten zeigen. Bestimmte Terme (das sind mathematisch sinnvolle Aneinanderreihungen von Zeichen) in ihnen können unendlich groß werden, was nicht direkt mit den Eigenschaften der realen Welt übereinstimmen kann, die diese Gleichungen zu modellieren versuchen. Einer unserer ersten Schritte wird darin bestehen, diese Unendlichkeiten mithilfe einer mathematischen Technik namens Renormierung in den Griff zu bekommen.

Welche Bedeutung hat der START-Preis für Ihre Forschung?

Gerencsér: Der Preis ist eine großartige Gelegenheit, sich auf diese Fragen zu konzentrieren und eine neue Forschungsgruppe zu gründen, die sich mit diesen schwierigen und zeitaufwändigen Problemen befassen kann. Wir werden die Möglichkeit haben, diese Fragen eingehend und aus verschiedenen Blickwinkeln zu untersuchen.

Was ist Ihre tägliche Motivation, Forschung zu betreiben?

Gerencsér: Ich bin einfach daran interessiert, die Schönheit der Mathematik zu erforschen. Manchmal denke ich, dass die Mathematik der Kunst so nahesteht wie der Wissenschaft. Die damit verbundene Kreativität und die Fähigkeit, etwas endgültig zu beweisen, ist sehr reizvoll für mich.

Haben Sie Vorbilder oder Mentor:innen in der Wissenschaft?

Gerencsér: Ich hatte während meines Studiums in Ungarn viele großartige Lehrer:innen. Ein großer Einfluss war mein Doktorvater in Edinburgh, István Gyöngy. Ich hatte auch das große Glück, dass mein Bereich in der Mathematik während meiner Zeit als PhD durch die Arbeit des österreichischen Mathematikers Martin Hairer revolutioniert wurde. Ich hatte sogar die Gelegenheit, mit ihm zusammenzuarbeiten, um zu sehen, wie ein so großer Durchbruch aus der Nähe aussieht.

Der FWF-START-Preis

Das Karriereprogramm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Der FWF-START-Preis ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt neben dem FWF-Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.

Zum Projekt

Das Projekt „Stochastic PDEs and Renormalization“ verwendet eine Vielzahl von mathematischen Techniken wie Regularisierung durch Rauschen, „stochastic sewing“, Regularitätsstrukturen und numerische Analysis, um stochastische partielle Differentialgleichungen zu untersuchen. Ziel ist es, sowohl die rigorosen mathematischen Grundlagen für diese Gleichungen zu schaffen als auch effektive Methoden für ihre Simulation zu finden.

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