"Rasende Reporter" – Fotojournalismus in Österreich von 1890 bis 1945
Pressebilder sagen oft mehr als tausend Worte und prägen die öffentliche Wahrnehmung von Ereignissen. Grund genug für Anton Holzer, in einem FWF-Forschungsprojekt die Pressefotografie in ihrem politischen und gesellschaftlichen Verwendungszusammenhang zu untersuchen. So zeichnete der Historiker anhand der Entstehungsgeschichte der österreichischen Bildmassenmedien die kulturgeschichtliche Bedeutung der Pressefotografie nach. Fundierte Recherchen sicherten dabei umfangreiches Anschauungsmaterial: Insgesamt analysierte Holzer Bilder aus 125 Wochenillustrierten und Zeitschriften zwischen 1890 und1945. "Allein die größte und auflagenstärkste Illustrierte 'Das Interessante Blatt', brachte es im Untersuchungszeitraum auf über 130.000 Zeitungsseiten", so Holzer. Die Fotostrecken sind ein Stück visuelle Kulturgeschichte. Die Bilder dokumentieren, was die Öffentlichkeit bewegte und wie politische Mächte diese zu lenken? versuchten. Die Forschungsergebnisse fasste Holzer in dem Bildband "Rasende Reporter" zusammen. In 30 Kapiteln mit über 500 Abbildungen wird darin beispielhaft die Entwicklung der österreichischen Bildmassenmedien, des fotografisch-visuellen Erzählens und dessen kulturgeschichtliche Bedeutung dargestellt.
Anfänge der fotografischen Öffentlichkeit
Der Band dokumentiert die Etablierung fotografisch illustrierter Wochenzeitungen ab den 1890er Jahren. Um die Jahrhundertwende löste die Fotografie die Pressezeichnung ab, die bis dahin der authentischen Wiedergabe der Wirklichkeit in den Medien diente", sagt Holzer.Nach der Aufhebung der Zeitungssteuer um 1900 begann die Blütezeit der Fotoillustrierten als visuelle Leitmedien, der Bedarf nach ausdrucksstarken Bildern stieg stark an. Neue Fotoagenturen entstanden, aus zunächst gemächlich arbeitenden Fotografinnen und Fotografen wurden "rasende" Reporterinnen und Reporter: Die Jagd nach Bildern und neues, leichteres Equipment, das sich nach dem Ersten Weltkrieg durchsetzte, beschleunigte die Beschaffung der Bilder.
Kaiserliche PR
Wie Regierende die Bildmassenmedien zur Selbstinszenierung nutzten, zeigt Holzer unter anderem am Beispiel von Kaiser Franz Joseph: "Ab Mitte der 1890er Jahre wurden zunehmend Aufnahmen im Freien publiziert, die den Herrscher bei öffentlichen Auftritten, zum Beispiel bei einem Werksbesuch der Berndorfer Metallwarenfabrik, zeigen. Neben den kaiserlichen Interessen an einem volksnahen Image wurden auch jene des Industriebetriebs als finanzkräftigem Inserenten berücksichtigt", erklärt Holzer. Dieses Beispiel, bei dem Bilder bereits auf erzählerische Weise miteinander verknüpft sind, zeigt auch, dass die Anfänge der Fotoreportage weitaus früher anzusiedeln sind als bisher angenommen.
Emotion steuert öffentliche Wahrnehmung
Die enge Verflechtung zwischen Bildmassenmedien und politischen Interessen zeigt Holzer etwa anhand des Werks des bekanntesten österreichischen Pressefotografen Lothar Rübelt: "Die Bilder von Fußballspielern, Länderkämpfen und Fans der 'Wunderelf' Anfang der 1930er Jahre – mitten in der Wirtschaftskrise – stärkten auch das nationale Zugehörigkeitsgefühl." Später nutzte Rübelt seine Erfahrung in der Darstellung sportlicher Großereignisse, etwa bei der Berichterstattung über Hitlers Propagandareise durch Österreich im Jahr 1938. Das NS-Regime kontrollierte den Fluss der Bilder, modernisierte die illustrierten Massenblätter und setzte diese als machtvolle Propagandainstrumente ein.
Geschichte zwischen Bildern
Das mit Mitteln des FWF realisierte Buchprojekt beinhaltet die erste umfassende wissenschaftliche Analyse der österreichischen Pressefotografie von den Anfängen um 1900 bis zum Zweiten Weltkrieg und bietet ein Gesamtbild über fünf Jahrzehnte Fotojournalismus. Auch das Werk Rübelts wird erstmals in seinem Publikationskontext untersucht. Insgesamt werden die Biografien von rund 400 Fotografinnen und Fotografen dokumentiert, darunter auch jene der zahlreichen jüdischen Fotografinnen und Fotografen, die in Österreich ab 1938 verfolgt und vertrieben wurden. Der Band erschließt damit die Zusammenhänge zwischen Politik, Gesellschaft und bildlichen Massenmedien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Zur Person Anton Holzer ist Fotohistoriker, Lehrbeauftragter am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien, Herausgeber der Zeitschrift "Fotogeschichte", Publizist und Ausstellungskurator. Seine zahlreichen Publikationen zur Fotografie- und Kulturgeschichte umfassen u. a. "Die andere Front. Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg" (ausgezeichnet mit dem Deutschen Fotobuchpreis), "Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914–1918", "Die letzten Tage der Menschheit. Der Erste Weltkrieg in Bildern", "Fotografie in Österreich. Geschichte, Entwicklungen, Protagonisten 1890–1955".
Publikation (nominiert für den Deutschen Fotobuchpreis 2015)