Ădön von HorvĂĄth: hochmodern und ambivalent

Das Schicksal hat einem der wichtigsten Vertreter der literarischen Moderne nicht viel Zeit geschenkt. Mit nur 37 Jahren hat Ădön von HorvĂĄth ein inzwischen berĂŒhmter Tod ereilt. Im Pariser Exil, auf dem Weg nach Amerika, traf den jungen Autor ein herabfallender Ast, der ihn tödlich verletzte. Nur wenige Jahre davor (1931/32) lebte HorvĂĄth in Berlin und war dabei, einer der groĂen Theaterstars der Weimarer Republik zu werden. Doch die Nationalsozialisten machten dem jungen Schriftsteller einen Strich durch die Rechnung, mit dem Ergebnis, dass seine StĂŒcke nicht mehr aufgefĂŒhrt wurden. âHorvĂĄth war wĂ€hrend dieser Zeit durchaus bemĂŒht, mit dem Regime zusammenzuarbeitenâ, berichtet Klaus Kastberger. Unter anderem versuchte er, fĂŒr die nationalsozialistische Filmindustrie tĂ€tig zu werden und streute dem Regime in Berlin Rosen, wie einzelne Dokumente belegen. âDie HorvĂĄth-Forschung nimmt das allerdings nur ungern zur Kenntnisâ, sagt Kastberger. Der Literaturwissenschaftler der UniversitĂ€t Graz und sein Team arbeiten mit UnterstĂŒtzung des Wissenschaftsfonds FWF seit mehreren Jahren das Werk des Schriftstellers auf. Die daraus entstandene âWiener Ausgabe Ădön von HorvĂĄthsâ ist eine historisch-kritische Edition, die insgesamt 19 BĂ€nde umfasst. Vier komplexe BĂ€nde stehen derzeit noch aus, darunter ein Brief- und Dokumentenband. Gearbeitet wird auch an einem Handbuch, das den Stand der Forschung zusammenfasst.
Ambivalenzen ausleben
Dass das Bild Ădon von HorvĂĄths wohl ambivalenter ist, als es gemeinhin wahrgenommen wird, spreche nicht gegen den Schriftsteller, ist Kastberger ĂŒberzeugt. âEs gibt bei HorvĂĄth eine starke Tendenz zu maskenhaften Figuren. Alles bei ihm ist eine Maske, auch die Sprache.â Damit gelingt es dem Schriftsteller, die Stimmung einer Zeit wahrzunehmen und festzuhalten, in der die Gesellschaft zusehends zerfĂ€llt. â Alles gipfelt, so scheint es, in einem einzigen Maskenspiel. Auch HorvĂĄth selber war laut Kastberger ein TrĂ€ger solcher Masken, was WidersprĂŒchlichkeiten in seiner Person auslöst und Momentaufnahmen von ihm zeigt, die in anderen Phasen seines Lebens nicht mehr gĂŒltig sind.
Horvåth bis heute prÀsent
Das gesamte Werk HorvĂĄths erstmals in seiner Entstehung und Genese nachvollziehen zu können, liefert auch die Antwort auf die Frage, warum HorvĂĄth bis heute auf den BĂŒhnen und auch in den Schulen enorm prĂ€sent ist. Abgesehen von wiederkehrenden Themen wie Arbeitslosigkeit, FlĂŒchtlingsbewegungen oder politische VerĂ€nderungen, sieht Kastberger vor allem einen formalen Grund fĂŒr die zeitlose GĂŒltigkeit des Autors: âDass HorvĂĄth an den Themen etwas herausarbeitet, das auch 100 Jahre spĂ€ter noch Bestand hat, liegt allein in der sprachlichen Detailarbeit, in die er unglaublich viel Energie steckteâ, so der Germanist. âDamit gelingt es ihm, Themen auf eine Art und Weise darzustellen, die zugleich nahe an der Zeit sind, sie aber auch fĂŒr andere ZusammenhĂ€nge öffnet.â
Hochmoderne Schreibprozesse
Diesem bis heute gĂŒltigen âStoffâ liegen komplexe Schreibprozesse zugrunde, auch das zeigt nun die Werkgenese sehr gut. AusgerĂŒstet mit Schere und Klebstoff hat HorvĂĄth Schnitt- und Montagetechniken angewendet, mit denen er Texte immer wieder neu âabmischenâ und weiterentwickeln konnte â ein Arbeitsstil, mit dem der Schriftsteller voll in der Moderne steht. âWir haben in der Ausgabe versucht, diesen schwierigen Prozess mit sogenannten Simulationsgrafiken darzustellen, die die Wanderung des Materials zeigen. Eine innovative Editionstechnik macht das möglichâ, erklĂ€rt Kastberger den eigenen Produktionsverlauf der Ausgabe. Jeder Band â in dem eineinhalb bis zwei Jahre Arbeit stecken â erlaubt damit erstmals tiefe Einblicke in die Schreib- und Lebenswelt des Ădön von HorvĂĄth.
GroĂe AuĂenwirkung
Mit dem Ergebnis, dass die Ausgabe nicht nur eine solide Textgrundlage fĂŒr die Forschung liefert, sondern auch am Theater Anwendung findet. Viele Regisseure, darunter bekannte Namen wie Frank Castorf, setzen mittlerweile die historisch-kritische Ausgabe am Theater um. Auch an einer digitalen Edition wird ĂŒbrigens gearbeitet, die bislang âGeschichten aus dem Wiener Waldâ enthĂ€lt, und zusĂ€tzliche Möglichkeiten einer AnnĂ€herung an HorvĂĄths Werke bietet. Dass die historisch-kritische Ausgabe das Interesse ĂŒber das wissenschaftliche Feld hinaus geweckt hat, freut Projektleiter Kastberger besonders. Neben Anwendungen in Theater und PĂ€dagogik war die Forschungsarbeit auch von einer erfolgreichen Ausstellung begleitet. Nach Stationen in MĂŒnchen und Wien ist âHorvĂĄth und das Theaterâ ab 9. JĂ€nner im Literaturhaus Graz zu sehen.
Zur Person
Klaus Kastberger ist seit 2015 Professor fĂŒr neuere deutschsprachige Literatur am Franz-Nabl-Institut der UniversitĂ€t Graz und Leiter des Literaturhauses Graz und Juror beim Ingeborg-Bachmann-Preis. Mit UnterstĂŒtzung des FWF hat der Germanist die historisch-kritische Ausgabe Ădön von HorvĂĄths bei de Gruyter herausgebracht, die als Leseausgabe bei Reclam erscheint, und eine Online- Forschungsplattform zum Werk Peter Handkes an der Ăsterreichischen Nationalbibliothek eingerichtet. Im Zuge der Nobelpreisvergabe an Peter Handke verzeichnete handkeonline.onb.ac.at mehr als 10.000 Zugriffe pro Monat.
Publikation
Ădön von HorvĂĄth: Wiener Ausgabe sĂ€mtlicher Werke. Historisch-kritische Edition. Am Literaturarchiv der Ăsterreichischen Nationalbibliothek und am Franz-Nabl-Institut fĂŒr Literaturforschung der Karl-Franzens-UniversitĂ€t Graz. Hg. v. Klaus Kastberger. Berlin: de Gruyter 2009ff.