Nicht untergehen, ausschwärmen!
Oliver Resslers Klimageschichte beginnt im Jahr 1996. Der damals 26-Jährige hat gerade eben sein Studium an der Universität für angewandte Kunst in Wien abgeschlossen und realisiert sein erstes großes Ausstellungsprojekt „100 Jahre Treibhauseffekt“. Der Titel bezieht sich auf den schwedischen Wissenschaftler Svante Arrhenius, der exakt 100 Jahre zuvor den Nachweis erbrachte, dass der Mensch durch seinen CO2-Ausstoß zur Klimaerwärmung beiträgt.
Seitdem ist nicht nur die Klimakrise, sondern auch das Interesse des Künstlers an dem Thema gewachsen. Ab 2008, dem Beginn der Klimagerechtigkeitsbewegung, richtet sich sein Fokus auf Aktionen des zivilen Ungehorsams von Klimaaktivistinnen und -aktivisten. In Großbritannien dokumentiert Ressler damals erstmals einen erfolgreich geführten Protest gegen die Errichtung von neuen Kohlekraftwerken eines deutschen Konzerns.
Fluide Grenzen zwischen Kunst und Aktivismus
„Die Bewegungen sind immer größer geworden in den vergangenen Jahren, und ich habe mich auf diese Großevents konzentriert, wie zum Beispiel anlässlich der Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen“, erzählt Oliver Ressler. Dabei habe sich die Rolle der Künstlerinnen und Künstler in den 25 Jahren analog zum Thema stark verändert. Ging es anfangs noch darum, die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass der Klimawandel ein reales Problem ist, bringen sich heute Künstlerinnen und Künstler vermehrt in die Bewegungen gegen den Klimawandel ein. Es gibt Bereiche, in denen sich „die Grenzen zwischen Kunst und Aktivismus immer stärker verwischen, das fasziniert mich“.
Plattform für Austausch und Dialog
Aktuell arbeitet Oliver Ressler in dem wissenschaftlich-künstlerischen Projekt „Barricading the Ice Sheets“, das vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert wird, mit zentralen Protagonistinnen und Protagonisten der Klimabewegung zusammen, die im Zwischenbereich von Kunst und Aktivismus arbeiten. Ressler bietet den Beteiligten eine Plattform zum Austausch. Gemeinsam wird über Methoden, Entscheidungsfindungsprozesse und Pläne für die Zukunft diskutiert. Daraus ist der Film „Barricade Cultures of the Future“ entstanden, der bei der Ausstellung zum Projekt ab 4. September 2021 in der Camera Austria in Graz, dem Forschungspartner, zu sehen sein wird. Weitere Einzelausstellungen sind in Zagreb, Berlin, Tallinn und London geplant.
Einblick in Selbstorganisation der Klimabewegungen
Im Rahmen des Forschungsprojekts ist etwa auch der Film „Not Sinking, Swarming“ („Nicht untergehen, ausschwärmen“) entstanden, der seinen Ursprung in einer vierstündigen Versammlung in Madrid im Oktober 2019 hat, in der sich Delegierte von unterschiedlichen spanischen Umweltgruppen versammelten, um eine Aktion des zivilen Ungehorsams zu planen. „Dieser Film ist eines der wenigen Dokumente, die direkten Einblick in Prozesse der Selbstorganisierung in der Klimabewegung geben“, so Ressler. Zum Schutz der Beteiligten hat der Filmemacher die Aufnahmen verpixelt. Im Laufe der Zeit hat Ressler unterschiedliche Formate von dokumentarisch bis zu politisch-poetisch entwickelt. Dabei sieht sich der Künstler durchaus in der Rolle des Vermittlers. Ihm ist es wichtig, das Wissen unterschiedlicher lokaler Bewegungen sowohl nach außen als auch innerhalb der Klimabewegung weiterzugeben.
Die Pandemie als Hindernis
Die Pandemie hat auch die Klimabewegung hart getroffen, denn ohne öffentliche Sichtbarkeit lässt sich wenig bewegen. Erst im Sommer dieses Jahres starteten wieder erste große Aktionen wie jene in Norddeutschland von „Ende Gelände“. „Es ist wichtig, die Pandemie bald in den Griff zu bekommen, auch um das Klima zu schützen“, betont Ressler. Ausschließlicher Druck aus den sozialen Netzwerken würde nicht ausreichen, um die Politik zum Handeln zu bringen. „Es braucht zivilen Ungehorsam, damit der Druck auf die Regierungen wächst.“
„Barricading the Ice Sheets“ schärft den Blick für das, was möglich wäre, und bezieht Stellung zu der Frage, wie es mit unserem Planeten weitergehen soll. Oliver Ressler schafft in seiner eigenen Art und Weise eine Allianz zur Klimabewegung und zeigt, wie Kunst einen Beitrag zu nachhaltigen Veränderungen leisten kann.
Zur Person
Oliver Ressler ist Künstler und Filmemacher. Er beschäftigt sich mit den Themen Ökonomie, Demokratie, Migration, Klimakrise und soziale Bewegungen. Neben zahlreichen Ausstellungen hat Ressler 38 Filme realisiert, die in tausenden Veranstaltungen von sozialen Bewegungen, in Kunstinstitutionen und auf Filmfestivals gezeigt wurden. Seit 2019 arbeitet er an dem künstlerisch-wissenschaftlichen PEEK-Projekt Barricading the Ice Sheets, das vom Wissenschaftsfonds FWF mit 360.000 Euro finanziert wird. Aus der dem Projekt zugrunde liegenden Recherche ist auch die von Ressler kuratierte Ausstellung Overground Resistance hervorgegangen, die aktuell in Wien zu sehen ist.
Publikation
Oliver Ressler (Hg.): Barricading the Ice Sheets. Artists and Climate Action in the Age of Irreversible Decision, Graz: Edition Camera Austria, 2020
Einzelausstellungen
Camera Austria, Graz (AT), 04.09.–21.11.2021
Museum of Contemporary Art Zagreb (HR), 30.11.2021–30.01.2022
n.b.k. – Neuer Berliner Kunstverein, Berlin (DE), Juni–August 2022
Tallinn Art Hall, Tallinn (EE), 09.09.–13.11.2022
The Showroom, London (UK), Oktober–Dezember 2022