Neue Perspektiven dank schwebender Quantenteilchen
Herr Delić, wie unterscheiden sich einzelne Quantensysteme von Situationen, wo mehrere Systeme miteinander interagieren?
Uroš Delić: Lang hielt sich in der Physik der Glaube, dass es ausreicht, einzelne Teile zu betrachten, um zusammengesetzte Systeme zu verstehen. Doch es stellte sich heraus, dass, wenn man Interaktionen miteinbezieht, neue Eigenschaften des Gesamtsystems entstehen.
Das geschieht immer dann, wenn man eine neue Ebene der Komplexität berücksichtigt, etwa beim Übergang von den einfachen Systemen der Physik zur Chemie und weiter zur Biologie. Diese Wissenschaften sind also entstanden, um Eigenschaften des Kollektivs zu verstehen, die in den Teilen nicht existieren.
Für das Ganze gelten also andere Regeln als für die Teile.
Delić: Genau, zum Beispiel ist Newtons drittes Axiom nicht immer gültig, wonach jede Kraft ihre Gegenkraft hervorbringt. Dieses Konzept von Wechselseitigkeit – oder Umkehrbarkeit – ist stark in unseren Köpfen verankert, dabei wissen wir heute, dass es oft nicht stimmt. Betrachten wir etwa einen Vogelschwarm, sehen die einzelnen Vögel nur die Tiere vor ihnen, nicht jene hinter ihnen.
Hier herrscht also eine Asymmetrie, die dazu führt, dass Veränderungen im Schwarm nur von vorne nach hinten laufen, nicht umgekehrt. Ein anderes Beispiel aus der Interaktion zwischen Menschen ist die Liebe, wenn sie nicht erwidert wird. Solche kollektiven, nicht reziproken Effekte kommen also in der Natur häufig vor, auf der Ebene der Quanten wurden sie aber bisher noch nicht untersucht.
Zur Person
Uroš Delić ist Experimentalphysiker. Nach seinem Studium der Physik und der Computerwissenschaften im serbischen Belgrad wechselte Delić zur Universität Wien, wo er 2019 mit Auszeichnung promovierte. Es folgten Forschungsaufenthalte, etwa am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA. Heute forscht und lehrt Delić an der Uni Wien und im Zuge des QNONREC-Projekts wird er Junior-Gruppenleiter am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation Innsbruck der Österreichischen Akademie der Wissenschaften werden. Seine Forschung dreht sich um Nanopartikel, die mit Licht in der Schwebe gehalten werden, und deren Quanteneigenschaften.
„Wenn man Interaktionen miteinbezieht, entstehen neue Eigenschaften des Gesamtsystems.“
Welche nicht wechselseitigen Quanteneffekte wollen Sie sich konkret ansehen?
Delić: In unseren Experimenten verwenden wir Nanopartikel aus Glas, die gut hundertmal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haars sind. Das ist schon sehr klein, für Quantensysteme sind das dagegen riesige Ausmaße. Diese Nanokügelchen können wir mit Lasern in einer Vakuumkammer in der Schwebe halten. Während diese Methode schon länger existiert, konnten wir erst vor Kurzem zeigen, dass sich die Nanopartikel tatsächlich nach den Gesetzen der Quantenmechanik bewegen.
Wenn wir nun zwei dieser Partikel nah aneinanderhalten, beginnen sie über das gestreute Licht zu interagieren. Noch beobachten wir diese Wechselwirkungen im klassischen Regime, doch jetzt wollen wir sie im Quantenregime beobachten. Durch die Interaktion mit der Umgebung sind die Wechselwirkungen jedoch nicht reziprok – und es stellt sich die Frage, ob wir die zwei, oder mehr, Nanoteilchen unter diesen Bedingungen überhaupt miteinander verschränken können.
Damit das gelingt, müssen Sie die Bewegung der Teilchen präzise kontrollieren können. Wie wollen Sie das erreichen?
Delić: Wir benutzen eine Methode, die wir in den letzten Jahren entwickelt haben, wo wir einen Laserstrahl mithilfe eines speziellen akusto-optischen Bauteils aufspalten. Dieses Gerät wird vom Computer mit Tönen angesteuert, wie beim Abspielen von Musik. Wenden wir etwa zwei verschiedene Töne an, wird der Laserstrahl in zwei Teile gespalten, mit denen wir zwei Partikel halten können. Das klappt aber auch für mehrere Teilchen.
Programmieren wir diese Töne geschickt, können wir die Interaktion zwischen den Nanoteilchen exakt steuern. Zum Beispiel haben Teilchenpaare eine gemeinsame Resonanzfrequenz. Ähnlich wie eine Stimmgabel zu schwingen beginnt, wenn man ihre Resonanz trifft, beginnen auch zwei Nanokügelchen stark miteinander zu interagieren, wenn man den richtigen Ton trifft.
Was sind dabei die größten Herausforderungen?
Delić: Im Prinzip können wir Interaktionen ein- und ausschalten. Doch konkret die Programme zu schreiben, die die nötige Präzision erreichen, und das Ganze auch noch auf mehr als zwei Nanopartikel auszudehnen, wird eine zentrale Herausforderung dieses Projekts sein.
Außerdem planen wir, einen optischen Resonator einzusetzen, um die Wechselwirkung noch genauer detektieren zu können. Dabei finden einerseits Methoden aus der Atomphysik Anwendung, wir müssen aber gemeinsam mit unseren Partnern auch neue theoretische Werkzeuge entwickeln. In diesem Sinne ist das Projekt sehr interdisziplinär.
Was bedeutet der START-Preis für Ihr Projekt?
Delić: Wir wollen zum ersten Mal die Nichtreziprozität als Ressource nutzen, um kollektive Quantenzustände zu erzeugen. Der START-Preis wird es uns ermöglichen, einige der ersten Experimente auf diesem Gebiet durchzuführen.
Zum Projekt
Während die Quantenphysik einzelner, gut isolierter Systeme gut verstanden ist, bereiten Vielteilchensysteme Physiker:innen Kopfzerbrechen. Dabei sind gerade Letztere der Normalfall in der Welt außerhalb der Physiklabore. Um wechselwirkende Quantensysteme zu untersuchen, sollen im Rahmen des QNONREC-Projekts mehrere schwebende Nanopartikel zur Interaktion gebracht werden, deren Verhalten mithilfe von Lasern und optischen Resonatoren exakt kontrolliert und ausgelesen werden kann.
„Der Preis unterstützt eine völlig neue Forschungsrichtung.“
Damit aber nicht genug: Ich sehe diese Förderung nicht nur als ein Stipendium für meine Forschung, sondern denke, dass das ganze Feld profitieren wird. Der Preis unterstützt damit eine völlig neue Forschungsrichtung, die aber im Moment extrem viel Aufmerksamkeit erhält – und in ein paar Jahren zum Standard werden wird.
Der FWF-START-Preis
Das Karriereprogramm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Der FWF-START-Preis ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt neben dem FWF-Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.