Abfälle von Minen enthalten hochgiftige Stoffe wie Arsen (rot) und Antimonerz (schwarz). Ein Wiener Forscherteam untersucht die tickenden Zeitbomben. © Tamara Đorđević

Im Jahr 2014 beschloss Tamara Đorđević, die reine Laborarbeit hinter sich zu lassen und in die Feldarbeit hinauszugehen. Nachdem sie einige Jahre lang erfolgreich Kristalle aus Arsen-Salzen synthetisiert und untersucht hatte, machte sie sich auf die Suche nach einer neuen Herausforderung und begann, ihre Expertise auf Umweltprobleme rund um Minenabfälle anzuwenden, insbesondere in der Region von Nordmazedonien. Dort untersuchte sie im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekts stillgelegte Minen mit hochgiftigen Bergbauabfällen, die Arsen, Thallium und Antimon enthalten. „Minenabfälle sind vom Volumen her die größten Abfälle auf unserem Planeten“, sagt Projektleiterin Đorđević. „Mazedonien ist besonders belastet, weil es dort Minenabfälle gibt, die besonders giftig sind und einfach so liegegelassen wurden. Obwohl Mazedonien ein kleines Land ist, gibt es sehr viele solcher Minen.“ Bergbauabfälle seien ein unterschätztes Problem, betont Đorđević. „Umweltkatastrophen mit Bergbauabfällen haben in der Vergangenheit immer wieder für Schlagzeilen gesorgt, sei es im Jahr 2000 in Rumänien oder 2015 in Brasilien. Nach solchen Katastrophen wird natürlich intensiv vor Ort geforscht“, berichtet die Forscherin. Danach erlahme das Interesse aber meist wieder. Tamara Đorđević versucht, die daraus entstehenden Risiken abseits der großen Katastrophen zu verstehen. „Was ich mache, ist längerfristig angelegt und dauert Jahrzehnte.“ Gerade Studien, die solche latenten Bedrohungen untersuchen, seien besonders wichtig, betont die Forscherin: „Nur so lässt sich verstehen, was im Detail passiert, wie diese Substanzen sich bei Kontakt mit Luft, Wasser oder bei Verwitterung verhalten.“

Sensible Region

Konkret beschäftigt sich Đorđević derzeit mit zwei stillgelegten Minen in Nordmazedonien: „Eine liegt an der Grenze zwischen Serbien und Kosovo, ein soziopolitisch sehr gefährliches Gebiet, weil es dort ein mazedonisches und ein albanisches Dorf gibt.“ Das mache es kompliziert, die nötigen Genehmigungen zu bekommen. „Wegen der politischen Spannungen, interessiert diese extreme Kontamination dort niemanden“, sagt Đorđević. Die Abraumhalden liegen ungeschützt da. Auch das giftige Element Antimon findet sich dort. „Die zweite Lagerstätte liegt an der Grenze zu Griechenland, im Süden des Landes. Hier gibt es außerdem noch Thallium und Quecksilber. Es ist die bekannteste Lagerstätte der Welt für Thailliummineralogie, besonders für ein Mineral, das Lorandit heißt“, erklärt Đorđević.

Tamara Đorđević und ihr Team vor einer Thallium- und arsenhaltigen Abfalldeponie in der Nähe eines ehemaligen Mineneingangs in Nordmazedonien. © Tamara Đorđević

Hochgiftige Substanzen

Sowohl das Metall Thallium als auch das Halbmetall Antimon sind hochgiftig und schon bei Dosierungen von etwa einem Gramm für den Menschen tödlich, ähnlich wie das bekanntere Arsen. Auf den Abraumhalden der Minen liegen diese Elemente in verschiedenen chemischen Verbindungen und unterschiedlichen Korngrößen vor. Đorđević nutzt die ganze Palette kristallografischer Methoden, um die Vorkommen von der Makro- bis zur Nano-Ebene zu analysieren und zu verstehen, wie sie mit der Umwelt wechselwirken. Einige dieser Methoden nutzen Röntgenstrahlung, die Kristalle durchdringen kann und dabei spezifische Muster erzeugt, aus denen sich auf die Struktur des Materials rückschließen lässt. Auch Elektronenstrahlung erlaubt Rückschlüsse auf das Material. Đorđević nutzt außerdem Transmissions-Elektronenmikroskopie, die so präzise ist, dass damit einzelne Atome abgebildet werden können. „In der wissenschaftlichen Literatur findet man sehr viele umwelt- und geochemische Publikationen, die sich mit der Chemie dieser Stoffe beschäftigen“, sagt Đorđević. Es sei aber wichtig zu wissen, in welcher kristallinen Form ein chemisches Element vorliege. „Ich will die Kristallstruktur verstehen und wie sie sich vor Ort verändert. Dazu muss ich die echte Quelle untersuchen.“ Wie sehr diese Stoffe die Umwelt kontaminieren, liegt daran, wie sie mit Luft und Wasser wechselwirken. Die größte Gefahr geht von Wasser aus, das die Substanzen aus den Halden löst. Die beiden nordmazedonischen Minen würden dabei primär als Modelle fungieren, sagt die Wissenschaftlerin: „Wir können die Ergebnisse verwenden, um zu verstehen, wie sich Giftstoffe verbreiten, egal ob in China, Kanada oder anderswo auf der Welt.“

Neue Erscheinungsform von Thallium entdeckt

Erste Ergebnisse des internationalen Projekts, an dem Gruppen aus Deutschland, Tschechien und Nordmazedonien sowie das Naturhistorische Museum und die Technische Universität Wien beteiligt sind, sind vielversprechend. „Wir haben eine neue Erscheinungsform von Thallium entdeckt“, berichtet Đorđević. „Ein Thalliumsalz, das noch nicht bekannt war, weil Thallium sehr löslich ist.“ Das Projekt läuft noch bis 2021, weitere Publikationen sind in Arbeit. Đorđević beschäftigte sich schon in ihrer Habilitationsarbeit mit Kristallen aus Arsen, im Rahmen des Elise-Richter-Programms des FWF, doch diese Arbeiten spielten sich in kleinerem Rahmen im Labor ab. Die Umweltmineralogie sei eine neue Herausforderung gewesen, erzählt Đorđević. „Hier arbeite ich in einem größeren Team und betrachte das ganze System. Ich muss eine größere Geschichte erzählen, wie in einem Roman. Und das finde ich spannender“, so die Mineralogin.


Zur Person Tamara Đorđević ist Kristallografin und Mineralogin an der Universität Wien. Sie interessiert sich besonders für Minenabfälle, aber auch für Oxo-Salze von Arsen, Vanadium, Phosphor und Schwefel, insbesondere für ihre Kristallografie und Synthese. Đorđević erhielt im Rahmen der Karriereprogramme Elise Richter und Hertha Firnberg Förderungen des FWF. Das Einzelprojekt „Das Verständnis von Schadstoffen in Bergbauabfällen“ läuft bis 2021.


Publikation

Đorđević, T., Kolitsch, U., Serafimovski T., et al.: Mineralogy and weathering of realgar-rich tailings at a former As-Sb-Cr mine at Lojane North Macedonia. The Canadian Mineralogist, 57, 10-21, 2019