Projektmitarbeiter und Doktorand Andreas Wiederin und Karin Hain vor dem Teilchenbeschleuniger, dem Herzstück der Anlage VERA in Wien.
Projektmitarbeiter und Doktorand Andreas Wiederin und Karin Hain vor dem Teilchenbeschleuniger, dem Herzstück der Anlage VERA in Wien. © Isotopenphysik, Universität Wien

Wir sind ständig von radioaktiven Elementen umgeben. Doch im Allgemeinen in so geringen Mengen, dass kein Grund zur Sorge besteht. Ihre genaue Messung kann Forschenden sogar helfen, die Wege von Wasser in der Umwelt zu verstehen. Karin Hain und ihr Team an der Universität Wien entwickeln in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Forschungsprojekt zusammen mit Kolleg:innen in Japan neue Methoden, um diesen radioaktiven Hinweisen – insbesondere dem Element Neptunium – in der Umwelt auf die Spur zu kommen.

Neben natürlichen Vorkommen gibt es auch menschengemachte Quellen radioaktiver Elemente. Die bekanntesten dürften die Nuklearkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima sein. Doch global betrachtet, dominieren weiterhin die Kernwaffentests in den Fünfzigern und Sechzigern sowie Wiederaufbereitungsanlagen für nukleare Brennstäbe die Verbreitung von künstlichen radioaktiven Elementen auf der Erde.

„Wir können diese radioaktiven Spurenelemente als sogenannte Umwelttracer nutzen und ihren Verlauf in Meeres- oder Grundwasserströmungen nachvollziehen“, erklärt Hain. „Wenn wir die genaue Menge und Zusammensetzung des radioaktiven Materials in einer Wasserprobe kennen, können wir bestimmen, wo es herkommt, und es hilft uns, seinen Pfad in Wasserströmungen zu verstehen.“ Wenn die Forschenden also wissen, woher die radioaktiven Umwelttracer kommen, können sie damit auch nachvollziehen, welchen Weg das Wasser im Meer oder Untergrund nimmt – ein wichtiger Aspekt in der Umweltforschung.

Doch das ist einfacher gesagt als getan, denn die Mengen dieser Umwelttracer bewegen sich im Bereich von weniger als einem Billiardstel des Probenmaterials. Dazu sind aufwendige Messapparate wie der Vienna Environmental Research Accelerator (VERA) nötig, um auch die kleinsten Spuren nachzuweisen.

Kandidat Neptunium

Hain und ihr Team interessieren sich in ihrem Forschungsprojekt insbesondere für das radioaktive Element Neptunium. „Mit geschätzten 1,5 weltweit verteilten Tonnen ist Neptunium 237 eines der häufigsten Elemente in der Umwelt, die schwerer als Uran und damit künstlich produziert worden sind“, sagt Hain. „Es hat mit über zwei Millionen Jahren eine sehr lange Halbwertszeit und ist in Verbindungen nach heutigem Kenntnisstand zudem wasserlöslich. Das macht es zu einem hochinteressanten Umwelttracer.“ Doch um dieses bereits in der Umwelt vorhandene Neptunium als Tracer überhaupt verwenden zu können, fehlte bisher ein wichtiger Teil der Analysemethode.

Die Messapparate der Wissenschaftler:innen können grundsätzlich nur nachweisen, dass Neptunium in einer Probe vorhanden ist, aber nicht, wie viel genau. Die Forschenden müssen jedoch die exakte Menge an Neptunium kennen, um es als Umwelttracer nutzen zu können. Sie brauchen dazu einen Spike für Neptunium 237. Ein Spike ist eine genau bekannte Menge eines Isotops von Neptunium, die dem Probematerial bei der Analyse beigemengt wird. Isotope sind verschiedene Varianten eines Elements mit unterschiedlicher Anzahl von Neutronen, aber der gleichen Anzahl von Protonen im Atomkern.

In dem FWF-Projekt „Herstellung eines Spikes für die Bestimmung von 237Np“ (2020–2024) entwickelt die Physikerin Karin Hain die Methoden zum Nachweis radioaktiver Umwelttracer weiter. Ihre Arbeit kann auch Forschenden im Bereich der Ökologie nützlich sein.

Lasersystem der Ionen-Laser-Interaktionsmassenspektrometrie bei VERA.
Lasersystem der Ionen-Laser-Interaktionsmassenspektrometrie bei VERA. © Isotonenphysik, Universität Wien

Die Messgeräte können damit das Verhältnis der Mengen von Neptunium 237 und des Spike-Materials herausfinden. Da die Menge des Spike-Materials bekannt ist, kann so auf die wirkliche Menge von Neptunium 237 in der Probe zurückgerechnet werden. Wenn beispielsweise das Verhältnis von Neptunium 237 zum Spike-Material zwei zu eins ist, dann ist doppelt so viel Neptunium 237 wie Spike-Material vorhanden.

Hain erklärt: „Unser Ziel ist, mit dem Isotop Neptunium 236 einen Spike für Neptunium 237 zu produzieren.“ Dazu arbeiteten sie und ihr Team in Wien mit Kolleg:innen an der University of Tsukuba in Japan unter der Leitung von Aya Sakaguchi zusammen.

Spikes aus dem Beschleuniger

Das Team in Japan schoss leichte Lithiumatome mit einem Teilchenbeschleuniger auf Thoriumatome, um sie zum gesuchten Neptunium 236 zu fusionieren. Doch hier entstehen verschiedene ungewollte Nebenprodukte mit gleichen Massen oder andere Isotope von Neptunium. „Unsere Kolleginnen und Kollegen mussten als Teil dieses Experiments auch neue radiochemische Verfahren entwickeln, um die Ergebnisse zu analysieren und das Neptunium 236 von den anderen Reaktionsprodukten möglichst gut zu trennen“, fügt Hain hinzu.

Am Vienna Environmental Research Accelerator der Universität Wien untersuchten Hain und ihr Team das Material aus Japan weiter mittels einer weltweit einzigartigen Kombination von Messmethoden: der Ion-Laser InterAction Mass Spectrometry zusammen mit einem Beschleuniger-Massenspektrometer. Ihre Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt in der nuklearen Grundlagenforschung, doch Hain hat ihr ursprüngliches Ziel, genug Neptunium 236 für die Anwendung als Spike zu produzieren, nicht aus den Augen verloren.

„Das Problem ist, dass die Beschleunigeranlage in Japan die für die internationale Umweltforschung benötigten Mengen an Neptunium 236 als Spike-Material nicht bereitstellen kann“, so die Forscherin. Das Experiment in Japan zeigte, dass Neptunium 236 durch Bestrahlung hergestellt werden konnte, doch für eine breite Anwendung als Spike bräuchte es eine dezidierte Produktionsstätte. „Vielleicht können wir dazu in Zukunft mit der Internationalen Atomenergie-Organisation zusammenarbeiten“, überlegt Hain und freut sich auf die weitere Arbeit an diesem Projekt: „Das Schöne daran ist, Grundlagenforschung in der Kernphysik mit angewandter Umweltphysik zusammenzubringen.“

Zur Person

Karin Hain interessierte sich schon früh für nukleare Astrophysik und studierte Engineering Physics an der Technischen Universität München, wo sie sich auf Kern- und Reaktorphysik spezialisierte. In ihrer Masterarbeit beschäftigte sie sich mit Spurenanalysen im Zusammenhang mit nuklearer Endlagerung. Während des Doktorats in München lernte sie den Vienna Environmental Research Accelerator (VERA) kennen und wechselte für einen Postdoc dorthin. Seit 2022 ist Hain Assistenzprofessorin an der Universität Wien.

Publikation

Hain K., Martschini M., Gülce F. et al.: Developing Accelerator Mass Spectrometry Capabilities for Anthropogenic Radionuclide Analysis to Extend the Set of Oceanographic Tracers, in: Frontiers in Marine Science 2022