Nahrungsaufwertung durch Algen-Parasiten
An der Basis der Nahrungsketten in Gewässern stehen Algen. Solange sie kleiner als 30 Mikrometer sind, können sie von Zooplankton wie Wasserflöhen (Daphnien) oder Hüpferlingen (Copepoden) gut gefressen werden. Durch höhere Temperaturen und höheren Nährstoffeintrag aus der Landwirtschaft, aus Kläranlagen oder in Form von Luftstickstoff vermehren sich in Seen und Teichen jedoch verstärkt größere und filamentöse (fadenförmige) Algen sowie Cyanobakterien, die teils giftig sind. Man würde davon ausgehen, dass es in solchen Gewässern deshalb wenig oder kein Zooplankton gibt – dem ist aber nicht so.
Die Limnologin Serena Rasconi hat sich schon während ihres Doktorats in Frankreich mit der Frage beschäftigt, wie das möglich ist, und ist auf Pilze (Chytriden) gestoßen, die als Parasiten auf Algen leben. Die sogenannten Zoosporen der Chytriden, die nach dem parasitären Stadium freigesetzt werden und im Wasser treiben, bis sie auf einen neuen Wirt stoßen, spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Serena Rasconi hatte nach ihrem Doktorat am WasserCluster Lunz das vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierte Projekt zur Untersuchung dieser Chytriden im Nahrungsnetz eingereicht. Nach ihrem Wechsel an das Nationale Forschungsinstitut für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt (INRAE) in Frankreich hat Martin Kainz die Projektleitung übernommen: „Wir wollten erforschen, ob die Zoosporen nur die Postboten sind und die Nährstoffe aus den Cyanobakterien transportieren, oder ob sie auch ein trophic upgrading machen, also die Energie weiterverarbeiten und verbessern.“ Dafür wurde eine Reihe von Experimenten durchgeführt.
Experiment mit schwerem Wasser
Beim ersten Experiment spielte die besondere technische Ausstattung des in Niederösterreich ansässigen WasserClusters Lunz eine entscheidende Rolle, wie Gewässerökologe Kainz stolz betont: „Wir das sind einzige Labor in der Welt , das komponentenspezifische Wasserstoffisotopen-Forschung in Bezug auf Fettsäuren macht und dafür Deuterium verwenden kann, also schweren Wasserstoff. Wir können damit das Verhältnis zwischen Protium und Deuterium in Fettsäuren bestimmen.“ Und damit können die Wissenschaftler:innen nachweisen, dass die Zoosporen der Chytriden tatsächlich mehrfach ungesättigte Fettsäuren und sogar langkettige ungesättigte Omega-3-Fettsäuren eigenständig synthetisieren können. Dies habe man bisher nicht gewusst, erklärt Martin Kainz. „Das ist eine physiologische Eigenschaft, die enorm wichtig ist, weil sonst die Konsumenten wie die Daphnien oder andere Zooplankter, die diese Zoosporen fressen, eine schlechtere Nahrung hätten.“
Es sei also möglich, dass eine Zunahme von Cyanobakterien aufgrund einer klimawandelbedingten Zunahme der Wassertemperatur in Seen durch diese Fähigkeit der Chytriden etwas abgepuffert werden könne, sagt der Forscher mit der gebotenen wissenschaftlichen Vorsicht. Ob diese Fähigkeit bei noch höheren Temperaturen nach wie vor bestehen würde, wisse man aber nicht.
Fitnesstest für Zooplankton
Im zweiten Schritt untersuchte die Gruppe in Lunz, ob die ernährungsbedingte Verbesserung durch die Fettsäuren auch eine Wirkung für das Zooplankton hat. Dafür wurden Daphnien im Labor im Hinblick auf Fitness, also Überleben, Wachstum und Reproduktion, beobachtet. Die einen erhielten nur Planktothrix zu fressen, das sind kleinere Cyanobakterien, bei den anderen waren auch Chytriden im Wasser. In der Planktothrix-Gruppe überlebten 90 Prozent der Daphnien, in der anderen 100 Prozent. Die Wachstumsrate pro Tag betrug zehn Prozent in der Chytriden-Gruppe und lag bei nur vier Prozent, wenn sie nur Cyanobakterien fraßen. Ein signifikanter Unterschied war auch in der Reproduktion zu sehen: Die Chytriden-Gruppe der Wasserflöhe produzierte Eier, die andere nicht.
Die Wirkung der parasitären Pilze geht sogar so weit, dass die Daphnien viel mehr Energie in Form von Fetten synthetisieren und speichern können. „Die Quintessenz dieser Ergebnisse ist: Wir müssen in der Forschung die Nahrungskette wirklich als Kette verstehen, und jedes Mitglied dieser Kette ist essenziell“, betont Martin Kainz. Postdoc András Abonyi hat in einem dritten Schritt untersucht, ob es Unterschiede in diesen Mechanismen zwischen 18 und 24 Grad Wassertemperatur gibt. Die Ergebnisse sind allerdings noch nicht publiziert.
Bei aller Begeisterung für diese Anpassungsleistung des aquatischen Ökosystems warnt Martin Kainz jedoch davor, dass wir Menschen uns zurücklehnen und denken, die Natur wird es schon richten, wenn wir sie beeinträchtigen: „Wir müssen die Funktion der Ökosysteme wirklich gut verstehen und diese Funktionen erhalten, damit wir die Nahrungskette nicht weiter stören.“
Zur Person
Martin Kainz ist Forscher und wissenschaftlicher Geschäftsführer am interuniversitären Zentrum für Aquatische Ökosystemforschung am WasserCluster in Lunz am See. Er leitet dort die Forschungsgruppe Aquatische Lipide und Ökotoxikologie (LIPTOX). Martin Kainz hat an der Universität Wien Landschaftsökologie studiert und seinen PhD in Umweltwissenschaften an der Université du Québec in Montréal, Kanada, gemacht. Habilitiert hat er sich an der Universität Wien in Aquatischer Ökologie und Ökotoxikologie. Das Projekt „Effekte von Parasiten auf Planktongemeinschaften“ (2017–2022) wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit rund 392.000 Euro finanziert.
Mehr Informationen: Kainz Lab – Trophic Ecology
Publikationen
Abonyi A., Rasconi S., Ptacnik R., Pilecky M., Kainz M.: Chytrids enhance Daphnia fitness by selectively retained chytrid-synthesised stearidonic acid and conversion of short-chain to long-chain polyunsaturated fatty acids, in: Freshwater Biology Nov. 2022
Rasconi S., Ptacnik R., Danner S., Van den Wyngaert S., Rohrlack T., Pilecky M., Kainz M.: Parasitic Chytrids Upgrade and Convey Primary Produced Carbon During Inedible Algae Proliferation, in: Protist Vol. 171(5), 2020