Müll, Ziegen und ein Forschungsprojekt
Im September 2017 wurde die griechische Insel Samothraki von einem nie dagewesenen Unwetter getroffen. Straßen wurden binnen kürzester Zeit zu Flüssen, Geschäfte und medizinische Zentren wurden überflutet und die Wasserversorgung auf der kleinen Insel in der nordöstlichen Ecke der Ägais, nahe zur Türkei, war zusammengebrochen. – Dabei hatte alles mit dem Müllproblem begonnen, als die Sozialökologin Marina Fischer-Kowalski vor Jahren von engagierten Frauen der Insel auf einem Campingplatz angesprochen wurde. Die Frauenaktion „Samothraki in Action“ hatte es sich zur Aufgabe gemacht, dagegen anzukämpfen, dass der Müll der Touristinnen und Touristen – rund 30.000 jährlich – auf dem Feld verbrannt wird. Das rief die Wissenschafterin auf den Plan. Ein interdisziplinäres Team um Fischer-Kowalski erforscht nun die Zusammenhänge ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Faktoren auf der Insel und identifiziert dabei jene Stellen, an denen das Gleichgewicht dieses Systems kippen könnte, wie etwa bei der Müllentsorgung oder der Naturkatastrophe 2017, deren dramatische Auswirkungen unter anderem auf Überweidung zurückzuführen sind.
Mülltrennung Bottom-up
„Das Thema Müll zählt auf jeden Fall zu diesen Kipppunkten und ist ein chronisches Inselproblem“, erzählt die Gründerin des Wiener Instituts für Soziale Ökologie, das an die Universität für Bodenkultur Wien angegliedert ist. Denn aufgrund der vielen Wasserläufe auf dem ehemaligen Vulkangebiet finden sich nur schwer Flächen für Deponieplätze und Sickergruben für das Abwasser. Bis dato wird der Müll daher auf das Festland gebracht, was mit hohen Kosten verbunden ist. Mülltrennung, die inzwischen zwar vorgesehen ist, aber in der Praxis nicht funktioniert, könnte viel Geld sparen. „Wir haben uns genau angesehen, was in den Mülltonnen landet und festgestellt, dass die Hälfte davon organisch ist“, sagt Fischer-Kowalski. Daraus lässt sich Kompost machen, wie es in einigen vom Forschungsteam initiierten Schulprojekten inzwischen passiert. Aus der langjährigen Beschäftigung mit Fragen zu Nachhaltigkeit weiß Fischer-Kowalski, dass sich kulturelle Veränderungen nicht einfach verordnen lassen. Daher hat die Forscherin im Fall Samothraki von Anfang an den Kontakt mit der Bevölkerung gesucht und zusätzlich ein Citizen-Science-Projekt mit Unterstützung des FWF initiiert. Manchmal hilft es, wie etwa beim Thema Müll, gerade bei den ganz Jungen anzusetzen, um Lernprozesse in der Bevölkerung anzustoßen.
Überweidung mit drastischen Folgen
Auch bei der Überweidung, die die Forscherinnen und Forscher als einen weiteren kritischen Punkt identifiziert haben, war das Gespräch mit den zahlreichen Kleinbauern auf der Insel ein wichtiger Teil des Projekts. Nachdem das Team in aufwändiger Detailarbeit Zahlen und Fakten zum Stand der Bauern, Ziegen, Schafe und damit zusammenhängenden EU-Förderungen aufgeschlüsselt hatte, ging es daran, die Bauern über die Folgen der drastischen Überweidung aufzuklären und in Gegenmaßnahmen einzubinden. Unter anderem aufgrund von Subventionen und nicht umgesetzten EU-Bestimmungen ist die Zahl der Schafe und Ziegen auf Samothraki zwischen 1960 und 2000 von 15.000 auf 75.000 angewachsen. Mit dem Ergebnis, dass die Weiden kahlgefressen waren und die Tiere sich weniger reproduzierten oder gar verhungerten – wodurch sich der Tierbestand inzwischen um 40 Prozent verringert hat – und in die Berge auswichen, wo sie den Baumnachwuchs vernichteten.
Gemeinsam mit Forstwirten der Universität für Bodenkultur hat das Forschungsteam kürzlich die Zustände der tausende Jahre alten Eichenbäume in den Bergregionen untersucht. „Wir haben das auch mit Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger gemacht“, sagt Fischer-Kowalski, „damit die Leute auf die Berge hinaufgehen, um sich das anzusehen.“ Die Beteiligung von Schülerinnen und Schülern bis hin zu Jägern war groß, so die Wissenschafterin, und das Ergebnis ernüchternd: „Es wird noch rund ein Jahrzehnt Zeit bleiben, um zu verhindern, dass der Wald sich nicht mehr regeneriert.“
Ein Biosphärenreservat für eine gesicherte Zukunft
Für eine der letzten naturbelassenen Inseln des Archipels mit ihren 500 Wasserfällen und traumhaften Kiesstränden könnte es damit eng und ein großes Projekt gefährdet werden: Bereits 2011 unterstützten Bevölkerung, Touristen, die Lokalpolitik und das griechische Umweltministerium den Vorstoß Fischer-Kowalskis, die Insel in ein Biosphärenreservat zu transformieren. „Weltweit gibt es 600 solcher Reservate“, erklärt Fischer-Kowalski, die Mitglied des österreichischen UNESCO-Komitees für das Biosphären-Programm ist und diesen Prozess auf Samothraki wissenschaftlich begleitet. „Das würde der Insel zu einer neuen Identität verhelfen, die Naturschutz und nachhaltige Entwicklung verbindet.“ Zwei Drittel von Samothraki sind bereits Natura-2000-Gebiet, doch die Einreichung an die UNESCO zur Transformation in einen Biosphärenpark hat ein paar ungeahnte Management-Mängel zutage befördert, die zuerst gelöst werden mussten. Nach zwei abgelehnten Anträgen ist die legale Verantwortung für Natura 2000 laut der Expertin aber nun so weit gediehen, „dass wir heuer noch einmal einen Antrag stellen können und ich denke, es wird dieses Mal klappen.“ – Doch es lauert die nächste Gefahr für die an Natur- wie Kulturschätzen reiche Insel. Ein Firmenkonsortium plant auf den Bergkuppen der Insel einen riesigen Windpark zu errichten. „Das wäre eine Katastrophe“, warnt die Expertin.
Zur Person Marina Fischer-Kowalski ist Soziologin, emeritierte Professorin und gründete 1987 das Institut für Soziale Ökologie in Wien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Soziale Ökologie, Nachhaltigkeit, Umweltsoziologie und Ressourcennutzung. Sie ist wissenschaftliches Mitglied in zahlreichen Expertengremien wie dem International Resource Panel der Vereinten Nationen und dem Österreichischen Komitee des UNESCO Man and Biosphere Program (MAB) an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Projektwebsite: http://www.sustainable-samothraki.net/ Film-Dokumentation: „Wings of Samothraki” (2018) dokumentiert das ehrgeizige Forschungsprojekt, das die Inselbewohnerinnen und -bewohner dabei unterstützen soll, Visionen für eine nachhaltige Zukunft für Samothraki zu entwickeln.
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