Mikrodialysen, dabei wird eine kleine Sonde in das Gewebe implantiert, ermöglichen genaue Messungen der Wirksamkeit von Arzneistoffen. Die Entwicklung von lebenswichtigen Medikamenten wird dadurch effizienter und schneller. © Facaccia, CC BY-SA 3.0

„Die EffektivitĂ€t von Antibiotika machen sie zu einem schlechten GeschĂ€ft“, erklĂ€rt Markus Zeitlinger. Er ist Facharzt fĂŒr Innere Medizin und auf Arzneimittelforschung spezialisiert. Das klingt paradox, war die Entdeckung und Entwicklung des Antibiotikums doch ein Meilenstein in der Medizingeschichte, das bis heute vielen Menschen das Leben gerettet hat. Dennoch ziehen sich viele Pharma-Firmen aus dem Feld zurĂŒck, weil die Entwicklung der Wirkstoffe nicht lukrativ ist. Antibiotika wirken bei bakteriellen Infektionen und töten je nach Wirkstoff spezifische Keime schnell ab. Wie alle lebendigen Organismen verĂ€ndern sich Bakterien und können resistent werden. Weil parallel dazu etablierte Antibiotika sorglos oder nicht sachgerecht verwendet werden, werden sie zunehmend unwirksam. „Die Entwicklung von Antibiotika bis zur Zulassung ist gleich aufwĂ€ndig, wie die von Krebsmedikamenten. Sie werden aber nur kurz verabreicht. Zudem werden neue Antibiotika restriktiv gegen multiresistente Keime eingesetzt, was die Einnahmen ebenfalls schmĂ€lert“, beschreibt der Leiter der UniversitĂ€tsklinik fĂŒr Klinische Pharmakologie an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien die Ausgangslage. Die gute Nachricht: In einer Studie hat seine Forschungsgruppe erfolgreich ein Verfahren zur beschleunigten Entwicklung von Antibiotika getestet. Dieses Wissen setzt Zeitlinger aktuell auch in der Suche nach geeigneten Medikamenten gegen das Coronavirus ein. In Kooperation mit verschiedenen Unternehmen und Forschenden arbeitet der Mediziner an einer Vielzahl an Projekten fĂŒr beschleunigte Entwicklungsverfahren fĂŒr bereits verfĂŒgbare und vielversprechende Wirkstoffe gegen Sars-CoV-2.

AbkĂŒrzung bei der Pharmakokinetik

Die hĂ€ufigsten bakteriellen Infekte sind LungenentzĂŒndungen, Weichteilinfektionen, Harnwegsinfekte und EntzĂŒndungen im Bauchraum, wie sie nach einer Operation auftreten können. FĂŒr zwei dieser vier Einsatzorte von Antibiotika wurde in der vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Studie eine AbkĂŒrzung im Entwicklungsprozess gesucht und gefunden. „Herde und bakterielle Biofilme sitzen am hĂ€ufigsten in der Lunge oder zwischen den Körperzellen. Antibiotika brauchen also eine gewisse Konzentration in einem bestimmten Gewebe im menschlichen Körper, damit sie einen Keim abtöten können“, beschreibt Markus Zeitlinger den Fachbegriff Pharmakokinetik in einfachen Worten.  Die Pharmakodynamik beschreibt vereinfacht gesagt, ob der Keim in Kontakt mit dem Antibiotikum abstirbt. Diese beiden Faktoren gemeinsam ermöglichen im Fall eines potenziellen antibiotischen Wirkstoffs die Vorhersage der Wirksamkeit, was den Entwicklungsprozess beschleunigen und damit attraktiver machen kann. Auf dem herkömmlichen Weg wird die Pharmakodynamik in vitro geprĂŒft. Vor der PrĂŒfung der Pharmakokinetik (i.e. kommt der Wirkstoff an den gewĂŒnschten Wirkort) folgen Tierversuche, um die UnschĂ€dlichkeit des Wirkstoffs fĂŒr den menschlichen Körper sicherzustellen. Im Projekt konnte gezeigt werden, dass sich die Pharmakokinetik fĂŒr den Wirkort Lunge und Weichteile mit einer ungefĂ€hrlichen Mikrodosis und hochsensitiven Nachweismethoden zeigen lĂ€sst. So könnte kĂŒnftig rascher entschieden werden, ob ein Wirkstoff weiter getestet oder verworfen wird.

Gleiche Kinetik bei minimaler Dosis

In dem zweijĂ€hrigen Klinischen Forschungsprojekt (2017-2019) wurde die Pharmakokinetik in den Zielgeweben anhand eines bereits zugelassenen Medikaments geprĂŒft. Die Forschungsfrage dahinter: HĂ€tte es funktioniert das Antibiotikum mit dem neuen Ansatz zu entwickeln? 18 gesunden Freiwilligen wurde nach ihrem informierten EinverstĂ€ndnis das Antibiotikum Ciprofloxacin intravenös verabreicht. Einmal wurde den Probanden die normale Dosis gespritzt. Und einmal eine garantiert ungefĂ€hrliche Mikrodosis markiert mit radioaktivem C14. Die Markierung ermöglicht trotz der geringen Konzentration den Wirkstoff in Lunge und Gewebe mittels beschleunigter Massenspektrometrie (AMS) aufzuspĂŒren. FĂŒr den Nachweis der Pharmakokinetik im Gewebe wurde bei den sedierten Probanden eine LungenspĂŒlung vorgenommen (Broncho Alveolare Lavage/BAL) und der Wirkstoffspiegel in der SpĂŒlflĂŒssigkeit aus der Lunge gemessen. Mit einer Mikrosonde im Oberschenkel (Mikrodialyse) konnte gemessen werden, wieviel frei verfĂŒgbares Antibiotikum in der FlĂŒssigkeit zwischen den Gewebezellen enthalten ist, um die Keime abzutöten. Nur drei Institute weltweit haben ein AMS-AnalysegerĂ€t, das in einer aufbereiteten Schaufel Erde zwei radioaktive Atome detektieren kann. Die Uniklinik in Wien kooperierte fĂŒr die Tests mit dem Institut TNO in Zeist (Niederlande).

FrĂŒhe Vorhersage der Wirksamkeit

Die klinische Studie ist bereits abgeschlossen und allen Probanden geht es gut. „Wir konnten mit der Mikrodialyse zeigen, dass schon eine unbedenkliche Mikrodosis die Pharmakokinetik im Gewebe gut beschreibt. Sie war proportional zu jener der ĂŒblichen Dosis – also unabhĂ€ngig von der Wirkstoffmenge“, erklĂ€rt Markus Zeitlinger. FĂŒr die LungenspĂŒlflĂŒssigkeit gelang der Nachweis des Wirkorts ebenfalls. Die genaue Korrelation wird gerade ein zweites Mal gemessen. Wenn mit einem Bruchteil der ĂŒblichen Dosis die Vorhersage der Wirksamkeit sauber gelingt, kann die Pharmakodynamik simuliert und verfeinert werden, um die wirksame Dosis zu bestimmen. „Wir hoffen so die Forschung an lebenswichtigen Arzneistoffen schneller, attraktiver und effektiver zu machen. Die Kombination von Mikrodosis und Gewebspharmakokinetik kann in der Entwicklung von potenziellen Antibiotika bis zu zwei Jahre Zeit und zwei Millionen Euro einsparen“, so der Klinische Pharmakologe. In einer nĂ€chsten Untersuchung will sein Team prĂŒfen, ob man mit dem Mikrodosing-Konzept auch eine Salbe untersuchen kann.


Zur Person Markus Zeitlinger leitet die Sektion Clinical Pharmacokinetics /Pharmacogenetics and Imaging an der UniversitĂ€tsklinik fĂŒr Klinische Pharmakologie der Medizinischen UniversitĂ€t Wien, seit Oktober 2015 ist er Klinikleiter. Der Internist ist Berater der EuropĂ€ischen Arzneimittel-Agentur (EMA) und Leiter des Exekutivkomitees der Pharmacokinetics/Pharmacodynamics of Anti-Infectives Study Group in der European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases (ESCMID).


Beitrag:

Oesterreicher, C. Eder1, B. Reiter, T. Stimpfl, E. Van Duijn, W. Vaes, B. Wulkersdorfer, P. Matzneller, D. Marhofer, P. Marhofer, M. Zeitlinger: Microdosing as a tool to enhance clinical development of novel antibiotics: a tissue and plasma PK feasibility study: ECCMID, Madrid 2018 (pdf)