Mit dem Laser Geschichtsmythen aufklären
Die Küsten der kroatischen Inselwelt sind heute geprägt von Ferienhaussiedlungen und dem sommerlichen Massentourismus. Doch einst lagen die Buchten an einer bedeutenden Handelsroute, auf der die antiken Hochkulturen Roms und Griechenlands einen Austausch fanden. Die Inseln des damaligen Dalmatiens boten geschützte und leicht navigierbare Seewege mit günstigen Strömungen und Küstenwinden, die ein schnelles Vorankommen ermöglichten. Im Hinterland florierte der Anbau von Wein und Oliven, die man gemeinsam mit anderen Vorräten in einer der vielen Städte entlang der Schifffahrtsrouten aufnehmen konnte.
Das Städtchen Osor auf der Insel Cres war einer dieser Orte, die zu Zeiten des Römischen Reichs regen Handelsverkehr erlebten. Eine Besonderheit der Ortschaft, die heute nur noch eine Handvoll Einwohner:innen zählt, ist ein zehn Meter breiter, einst schiffbarer Kanal, der bis heute die Inseln Cres und Lošinj trennt. Obwohl direkte Beweise fehlen, gingen viele Forschende – im Wissen um die Bedeutung der einstigen Handelsrouten – davon aus, dass der Wasserweg von Menschenhand gegraben wurde. Doch stimmt das wirklich? Und kann man dem antiken Osor tatsächlich eine überregionale Bedeutung als Handelsknoten zugestehen, wie aufgrund des Kanals ebenfalls oft angenommen wird?
Diese Fragen möchte die Archäologin Nives Doneus von der Universität Wien klären. Im Projekt „Osor jenseits des Mythos“, das vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert wird, arbeitet sie gemeinsam mit einem internationalen, über 20-köpfigen Team daran, die Rolle des Adriastädtchens in der Eisenzeit und während des Römischen Reichs zu rekonstruieren und mit Mythen und Legenden zur einstigen Bedeutung aufzuräumen. Dabei bringt Doneus eine Expertise ein, die in der Untersuchung der Geschichte der Mittelmeerregion noch kaum zum Einsatz kam – Fernerkundungstechniken wie Laserscanning von Flugzeugen aus, die jahrtausendealte Landschaftsveränderungen rekonstruierbar machen sollen.
Projektwebsite
Neue Möglichkeiten zur Erhebung und Auswertung archäologischer Daten
„Noch vor zehn Jahren waren die Fernerkundungstechniken noch nicht auf dem technischen Stand, um die mediterranen Küstengebiete sinnvoll untersuchen zu können. Zum einen, weil die Vegetation sehr dicht ist und der direkte Blick auf die Landoberfläche fehlt, zum anderen, weil ein Teil des zu erkundenden Terrains unter Wasser liegt“, erläutert Doneus. „Neue Methoden – hochauflösende Geräte, leistungsstärkere Auswertungssoftware und Laser, die im Wasser nicht mehr so schnell reflektiert werden – konnten diese Defizite ausgleichen. Wir waren 2012 noch die Ersten, die im Mittelmeer einen bathymetrischen Laserscanner für archäologische Fragestellungen genutzt haben.“
Die resultierenden Bodenreliefs unter und ober der Meeresoberfläche werden umfassend ausgewertet, um auf Landschaftsveränderungen rückschließen zu können. Zusätzlich werden marine geophysikalische Messungen durchgeführt und mit Bohrkernentnahmen ergänzt. Aus den so erhobenen Daten möchte Doneus ableiten können, wie sich Osor, das schon in prähistorischen Zeiten als Siedlung existierte, über die Jahrhunderte verändert hat. Der Wandel der Landschaft und der Unterwasserareale durch natürliche Prozesse wie Sedimentation und Erosion soll genauso wie die Landnutzung im Umkreis der Stadt nachvollziehbar werden.
Erkenntnisse aus Grabungen und Fernerkundungen zusammenführen
Die Erkenntnisse werden dann mit den Forschungen zur materiellen Kultur, etwa durch die Analyse von Grabbeigaben in nahen Gräberfeldern, ergänzt und abgeglichen. Eine zentrale Frage ist etwa, in welcher Menge Güter aus dem Römischen Reich und aus Griechenland hier zu verschiedenen Zeitpunkten vorhanden waren. Doneus arbeitet dabei mit der Archäologin Martina Blečić Kavur von der Universität Primorska in Koper, Slowenien, zusammen, um die Perspektiven der Landschaftsanalyse und der archäologischen Funde zu einem kohärenten historischen Gesamtbild zu vereinen. Bei den geophysikalischen Untersuchungen kooperieren die Forschenden mit Fachleuten des Forschungsinstituts GeoSphere Austria.
Bei der aufwendigen Interpretation der Fernerkundungsdaten konnten etwa bereits Hinweise auf antike Trockensteinmauern im Umkreis von Osor gefunden werden, die parallel ausgerichtet waren. „Nachdem wir dann vor Ort Proben entnommen und sie mittels optisch stimulierter Lumineszenz datiert haben, wurde klar, dass es auf der Insel Cres römische Katastervermessung gab“, verweist Doneus auf eines der bisherigen Forschungsergebnisse. „Das ist eine Erkenntnis, die der bisherigen Lehrmeinung widerspricht. Bis jetzt ging man davon aus, dass es diese Landteilungen durch das römische Vermessungswesen nur rund um größere Städte entlang der kroatischen Küste gab.“
Auch was den Kanal von Osor betrifft, soll die gegenwärtig gültige Geschichtserzählung auf Herz und Nieren geprüft werden. Doneus zweifelt etwa daran, dass der verbindende Graben tatsächlich von den Römern ausgehoben wurde. „Es könnte gut möglich sein, dass der Kanal auf natürliche Weise lange vor der Zeit des Römischen Reichs entstanden ist. Vielleicht verlagerten starke Strömungen im Verlauf der Jahrhunderte sogar allmählich seine Position“, sagt die Archäologin. „Wir sind zuversichtlich, dass wir Fragen dieser Art durch die Analyse der Sedimentbewegungen klären können.“
Ein Geschichtsbild hinter den Mythen
Am Ende des Projekts soll zudem ein detaillierter Stadtplan der letztlich im 16. Jahrhundert weitgehend aufgegebenen Stadt stehen und gesichertes Wissen dazu bestehen, wann der Kanal für die römischen Schiffe befahrbar war. Gleichzeitig erhoffen sich die Forschenden neue Erkenntnisse zu den eisenzeitlichen Höhensiedlungen im Umkreis. Dass sie zum Schutz der Stadt errichtet wurden, wie vielfach behauptet wird, hält Doneus für einen weiteren Mythos, der einer Überprüfung bedarf. „Wir sollten uns nicht auf den bisherigen Lehrmeinungen ausrasten. Die neuen Technologien erlauben es uns, neue Frage zu stellen und vermeintlich gesichertes Wissen noch einmal zu hinterfragen“, resümiert die Forscherin.
Für Doneus sind die Fragen, die sich rund um die historische Bedeutung von Osor stellen, dabei keineswegs isoliert zu betrachten, sondern symptomatisch für den gesamten Mittelmeerraum. „Osor ist für mich auch ein Symbol für Hunderte weitere Küstenstädte. Sie sind natürlich alle unterschiedlich, stellen die Forschung aber vor ähnliche Probleme“, sagt die Archäologin. „Wir hoffen, dass wir durch den Ausbau neuer Ansätze wie jener der Fernerkundungstechniken schließlich ein genaueres – und weniger mythenbehaftetes – Geschichtsbild für den gesamten mediterranen Raum erlangen werden.“
Zur Person
Nives Doneus studierte Archäologie in Zagreb und Wien. Seit 2021 ist sie Senior Researcher am VIAS-Vienna Institute for Archaeological Science der Universität Wien. Ihr Forschungsfokus liegt im Bereich der archäologischen Prospektion, also der Erkundung archäologischer Stätten oder Strukturen ohne Durchführung von großflächigen Grabungen. Das von 2023 bis 2026 laufende Projekt „Osor jenseits des Mythos“ wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit 497.000 Euro gefördert.
Publikationen
Doneus N., Doneus M., Kinnaird T., Turner S. et al.: Lost and found: Roman surveying of municipal territories on the northern Adriatic islands, Croatia, in: Prilozi Instituta za arheologiju u Zagrebu 41(2), 2024
Doneus N., Doneus M.: Intensively Cultivated Roman Villae Estates: Case Study of Medulin Bay (Istria, Croatia), in: Archaeological Prospection 31(2), 2024