Masernviren als Trojanisches Pferd gegen Corona
FWF: Sie erforschen einen neuen Impfstoff und scheinen genau zu wissen, was zu tun ist.
Katrin Ramsauer: Es stimmt, wir haben die Möglichkeit, relativ schnell auf diese neue Situation zu reagieren. Die Firma Themis gibt es seit zehn Jahren, wir haben immer wieder Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten entwickelt, etwa für Zika oder das Lasserfieber. Die Technik, die wir verwenden, können wir jetzt für das Corona-Virus adaptieren. Der Vorteil ist, dass das nicht eine völlig neue Art von Viren ist. Coronaviren gibt es schon lange. In der Tiermedizin spielen sie eine große Rolle, es gibt Katzen-Coronaviren, das kennt man seit Jahren. Dadurch ist diese Art von Viren eigentlich relativ gut studiert. Man versteht recht gut, welche Bestandteile von Coronaviren eine Immunantwort hervorrufen. Das sind, so wie bei allen Viren, zum Großteil die Oberflächenproteine, die vom Immunsystem erkannt werden. Coronaviren haben ein bestimmtes Molekül an der Oberfläche, das bereits aus Forschungen an den Coronaviren SARS und am MERS bekannt ist. Wir haben seit zwei Jahren ein Projekt über MERS laufen, wissen also ungefähr, in welche Richtung wir gehen müssen.
„Wir forschen zu MERS und wissen daher, in welche Richtung wir gehen müssen.“
FWF: In Ihrer Arbeit spielen Masern-Viren eine Rolle. Inwiefern?
Ramsauer: Die Technik, die wir verwenden, benutzt den Masernimpfstoff. Das ist ein Lebendimpfstoff, es handelt sich um abgeschwächte Masernviren. Vor gut 20 Jahren wurde eine Technologie entwickelt, wie man diese Masernviren verändern kann, sodass sie zusätzlich bestimmte fremde Proteine produzieren. Wir bauen in Masern-Impfstoff Fremdgene ein, man kann sich das wie ein trojanisches Pferd vorstellen. Der Masern-Impfstoff wird verimpft, und im Inneren dieses Masern-Impfstoffs sind noch zusätzlich Funktionen versteckt, die dem Immunsystem zeigen, wie ein Coronavirus aussieht.
FWF: Wie sind diese Forschungen organisiert?
Ramsauer: Das Förderprogramm stammt von CEPI, das steht für Koalition für Innovation zur Epidemievorbeugung. Das ist eine sehr spannende Organisation, die aufgrund der Ebola-Krise 2016 gegründet wurde. Das große Problem war damals, dass die Impfstoff-Kandidaten, die es gegeben hat, nie weiterentwickelt wurden, als die Krankheit eingedämmt wurde. Weil die Pharma-Firmen, kurz gesagt, einfach kein Geld damit verdienen. CEPI wurde gegründet, um genau das zu verhindern. Das Geld stammt vom Wellcome-Trust, von den G20-Staaten, auch die Regierungen von Norwegen, Deutschland, Japan haben da große Summen eingezahlt. Damals wurde evaluiert, welche bereits bekannten Virus-Erkrankungen Pandemien auslösen könnten. Man hat Experten befragt und sich auf drei Viren geeinigt, eines davon ist das MERS-Coronavirus.
„Das Problem war, dass Impfstoff-Kandidaten nie weiterentwickelt wurden. “
Das war eine sehr gute Idee, denn es gibt jetzt schon einige Projekte zu dem Thema, die sehr gut gefördert sind, und auch schon erste klinische Daten zu Coronavirus-Impfstoffen. Der MERS-Impfstoff selbst ist nicht einsetzbar, das neue Virus ist zu unterschiedlich, aber man hat recht viel über die Testverfahren gelernt. CEPI fördert auch das aktuelle Corona-Projekt, und da wir schon einen Vertrag hatten, bekamen wir sehr unkompliziert und schnell neue Förderungen. Jetzt konkret sind wir in einem Konsortium mit dem Institute Pasteur in Paris und der Universität Pittsburgh. Unsere Partner helfen uns, den Impfstoff herzustellen und erste Tiertests zu machen. Wir spezialisieren uns darauf, das in großem Maßstab herzustellen und erste klinischen Tests durchzuführen.
FWF: Wie lange schätzen Sie, dass es dauert, bis ein Impfstoff in der Praxis eingesetzt werden kann?
Ramsauer: Alle reden von ein bis zwei Jahren, und ich glaube, das ist realistisch. Der große Unterschied zur herkömmlichen Impfstoff-Entwicklung ist, dass wir mehrere Schritte parallel machen. Normalerweise versucht man erst einmal eine Sicherheitsstudie zu machen und zu fragen, ist der Impfstoff sicher im Menschen? Kriegt man eine Immunantwort? Wenn die Daten gut sind, macht man eine größere Studie und schaut sich an, wie man das in großem Maßstab produzieren kann. Was jetzt passiert ist, dass man eine Phase-Eins-Studie startet und gleichzeitig beginnt, das in großem Maßstab zu produzieren. Wir sind nicht die einzige Firma, die das derzeit so macht. Das ist natürlich ein gewisses Risiko, es könnte sein, dass das aus irgendwelchen Gründen nicht funktioniert, aber davon gehen wir nicht aus. Es ist realistisch, dass man im nächsten Jahr schon Millionen Dosen herstellen kann und beginnen kann, die Menschen zu impfen.
Katrin Ramsauer ist Leiterin der Abteilung für Forschung und Entwicklung beim Wiener Biotech-Unternehmen Themis, das darauf spezialisiert ist, akademische Forschungsprojekte zu Impfstoffen in die industrielle Umsetzung zu bringen. Ramsauer ist für die Planung und Abwicklung der klinischen Studien zuständig. 2006 erhielt sie ein Hertha-Firnberg-Stipendium des Wissenschaftsfonds FWF, das ihr den Wechsel in die Virologie ermöglichte.
Globale Allianzen
CEPI (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations) ist eine globale Partnerschaft zwischen öffentlichen und privaten Organisationen. Sie wurde 2017 von den Regierungen Norwegens und Indiens gemeinsam mit der Belinda und Bill Gates Stiftung, dem Wellcome-Trust und dem Weltwirtschaftsforum gegründet. Insgesamt wurden bislang 760 Millionen Dollar lukriert, Geldgeber sind neben den Gründungsmitgliedern außerdem Großbritannien, Deutschland, Kanada, Australien, Äthiopien, Belgien, Dänemark und Finnland. Auch die Europäische Kommission ist mit ihren Förderprogrammen beteiligt. Die Ausrichtung wird in Abstimmung mit einem unabhängigen wissenschaftlichen Beirat festgelegt. CEPI hat das Ziel, die Entwicklung von Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten zu beschleunigen und den Zugang zu diesen Impfstoffen im Krisenfall sicherzustellen.