„Man muss kampflustig sein“
Sich mit 40 fitter fühlen als mit 25? Mit 50 einen Marathon laufen und im Beruf noch einmal durchstarten? Kaum eine Woche, in der nicht ein neuer Ratgeber auf den Buchmarkt kommt mit Anti-Aging-Tipps. Denn alle wollen möglichst lange leben, aber keiner will tatsächlich alt werden. Man weiß, Ernährung und Bewegung helfen, länger jung und belastbar zu bleiben. Wovon es aber wirklich abhängt, wie schnell ein Organismus altert, ist noch ungeklärt. Theorien dazu gibt es viele.
Forschung an der Maus
Solchen Fragen geht auch Teresa Valencak nach. Die Biologin vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Mechanismen des Alterns. Sie untersucht dabei säugende Labormäuse. „Während der Zeit der Laktation leisten die Mäuse das Achtfache ihres Grundumsatzes. Zum Vergleich leistet ein Mensch während der Tour de France das Sechsfache“, erläutert Valencak die Bedeutung dieser 18-tägigen Periode. Lange Zeit ging man davon aus, dass Tiere umso früher sterben, je höher ihr Grundumsatz ist, also jene Energiemenge, die sie verbrauchen, wenn sie gar nichts machen. Heute neigt man eher zur gegenteiligen Ansicht: je höher der Grundumsatz, umso länger das Leben. Eine dritte Hypothese geht von einem umso längeren Leben aus, je gleichförmiger die Stoffwechselrate in deren Verlauf ist.
Kälte verlängert das Leben
Bei Versuchen an säugenden Mäusen hat die Biologin herausgefunden, dass die Temperatur der Umgebung eine entscheidende Rolle für die Länge der Lebensspanne spielt: So leben Mäusemütter, die ihre Jungen bei einer Umgebungstemperatur von 15 Grad Celcius aufziehen, um durchschnittlich 2,5 Monate länger als solche, die bei einer Temperatur von 22 Grad Celcius gehalten werden. Männchen lebten bei 22 Grad Celcius mit durchschnittlich 610 Tagen etwa einen Monat länger als die bei derselben Temperatur säugenden Weibchen, aber 30 Tage kürzer als jene Mäusemütter, die bei nur 15 °C gehalten wurden. Dass sich eine kältere Umgebung positiv auf die Lebenserwartung auswirkt, erklärt sich Valencak mit dem Phänomen der „entkoppelten Atmung“. Diese ist bei Kleinsäugern Bestandteil der Thermoregulation. „Kleinsäuger haben generell mehr Probleme bei der Thermoregulation als große, weil sie im Verhältnis zu ihrem Körpervolumen eine sehr große Oberfläche haben“, erklärt die Biologin. Zum Ausgleich dafür haben sie braunes Fettgewebe. Bei Kälte setzten die darin enthaltenen Mitochondrien die Fettsäuren nicht in Energie um, sondern in Wärme. Bei dieser entkoppelten Atmung entstehen deutlich weniger freie Sauerstoffradikale als bei gewöhnlicher Zellatmung. Diese freien Radikale gelten als wichtige Faktoren im Alterungsprozess.
Omega-3-Fettsäuren entscheidend
Eine weitere Hypothese, die diese negative Wirkung der freien Radikale stützt, ist die „Membran-Schrittmacher-Hypothese“. Sie besagt, dass Tiere umso kürzer leben, je mehr ungesättigte Fettsäuren ihre Zellmembranen enthalten, weil diese die Gewebe anfälliger für freie Sauerstoffradikale machen. Diese Theorie möchte Valencak in den nächsten Jahren an der Ames-Zwergmaus untersuchen, einer im Labor gezüchteten, besonders kleinen Mäusevariante. Dieser Maus fehlt ein Gen, das unter anderem für die Produktion von Wachstumshormonen zuständig ist. Das Fehlen dieses Gens verursacht nicht nur Kleinwüchsigkeit und Sterilität, sondern führt offenbar auch zu einer fast doppelt so langen Lebenserwartung. Während die normalwüchsigen Geschwistertiere nur bis zu drei Jahre alt werden, können Ames-Zwergmäuse ein Lebensalter von bis zu fünf Jahren erreichen. Und: die Körpertemperatur dieser mutierten Mäuse ist um beinahe zwei Grad geringer. Nach der „Membran-Schrittmacher-Hypothese“ sollte man erwarten, dass die Ames-Maus in ihren Membranen nur wenige ungesättigte Fettsäuren aufweist. Valencak konnte jedoch zeigen, dass der Anteil ungesättigter Fettsäuren bei dieser Zwerg-Maus genauso groß ist wie bei den normal großen Mäusen. Allerdings hat sie herausgefunden, dass die Ames-Maus deutlich weniger Omega-3-Fettsäuren in ihrem Gewebe aufweist. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass nicht die ungesättigten Fettsäuren allgemein für die Lebensspanne verantwortlich sind, sondern im Speziellen die Omega-3-Fettsäuren. Diese Fettsäuren spielen eine wichtige Rolle bei der Thermoregulation und haben damit einen Einfluss auf die Lebensspanne.
Fettleibigkeits-Epidemie
Ein anderer Aspekt ihrer Arbeit, der mit dem Energiehaushalt zu tun hat, ist Fettleibigkeit. Dazu arbeitet sie an einem Projekt in der Volksrepublik China. „Bei Adipositas laufen eine Reihe von Mechanismen, die der Körper hat, um Fett zu verbrennen, völlig außer Ruder. Wir haben im Labor beobachtet, wenn wir Mäuse auf sehr gutes Futter setzen – sozusagen Schnitzel jeden Tag –, nimmt die Maus stark an Gewicht zu. Wird die Maus trächtig, ist sie nach dem Säugen wieder mager, hat also während der Reproduktion die Fette in Milch und Arbeit umgesetzt. Bei Adipositas funktionieren diese Mechanismen nicht mehr“, schildert sie. „Wenn uns gelingt, zu verstehen, warum das so ist, könnten wir die globale Epidemie der Fettleibigkeit in den Griff bekommen“, was sie als enormes Problem ansieht, gerade in China mit seiner riesigen Bevölkerung, wo es bereits so viele adipöse
„Eine Masse adipöser Jugendlicher hat in absehbarer Zeit ein Problem mit Diabetes Typ II. “
Menschen gibt wie in den USA. „Das ist eine Zahl, die uns extrem alarmieren sollte, denn eine Masse adipöser Jugendlicher hat in absehbarer Zeit ein Problem mit Diabetes Typ II“, warnt sie. Gründe für diese rasante Entwicklung sieht sie in den sich sehr schnell verändernden Essgewohnheiten zu mehr Fleisch und Fett, in der Ein-Kind-Politik, aber auch in der kulturellen Tradition, in der Dicksein als Status gilt.
Forschung in China
In ihrem von der National Science Foundation of China, dem „Chinesischen FWF“, geförderten Projekt möchte sie herausfinden, ob man durch metabolisches Profiling (Blut-, Urin- und Kotproben) in den chemischen Mustern der Substanzen feststellen kann, was das Tier – und dann auch der Mensch – aufgenommen hat, was verstoffwechselt und was eingelagert wurde. „Wir wissen, dass es in diesem Bereich Unterschiede zwischen den Ethnien gibt. In Asien tritt zum Beispiel verbreitet Laktoseintoleranz auf. Wir vermuten auch, dass Asiaten ein Problem haben, Fett zu mobilisieren und abzubauen", erläutert Valencak.
„Foreign experts“ in China
Sechs Mal im Jahr ist die Biologin für mehrere Wochen in Peking. Was ihr in China besonders gefällt, ist die Freundlichkeit, mit der man Westerners begegnet. Auf ProfessorInnen-Niveau gibt es wenige davon, weil nicht viele bereit sind, nach China zu gehen. Dabei sei es leicht, ein Stipendium zu bekommen, erzählt Valencak, man werde mit offenen Armen aufgenommen. „Der Zugang der Chinesen ist, dass die Leute kommen, um ihrem Land weiterzuhelfen“, berichtet sie. Man wird als „Foreign Expert“ betitelt, bekommt einen chinesischen Ausweis, ein „Foreign Expert Certificate“ und hat damit freien Eintritt in viele Institutionen. Was viele davon abhält, in China zu arbeiten, seien wohl Umstände wie die Luftverschmutzung und ein einfacheres Leben. So erzählt sie von stundenlangen Putzaktionen und dem Aufstellen neuer Kakerlakenfallen, wenn sie nach ein paar Wochen wieder in ihre Pekinger Wohngemeinschaft kommt. Oder ein anderer Zugang zu Sicherheit. „Bei uns ist es strengstens verboten, mit flüssigem Stickstoff den Lift zu benutzen. Hier gehen Sie auch in den achten Stock zu Fuß. Dort fährt man mit 80-Liter-Tanks“, erzählt sie. „Das sind Punkte, die die Leute abschrecken. Und die Einsamkeit, wenn man nicht gut Mandarin spricht“, sagt sie. Auch der Zugang zum Tierschutz ist ein anderer, berichtet Valencak. „Es gibt Ethikkommissionen und Tierversuchsanträge. Aber wenn die Frage gut ist, ist es kein Problem, sein Vorhaben durchzubekommen“, und nennt damit einen für sie wunden Punkt, denn das Wohl des Tieres liegt ihr auch in ihrer Arbeit besonders am Herzen. Sie sieht das selber als Gratwanderung zwischen sich einmischen und akzeptieren. „Da braucht man die Einstellung: Ich bin in Asien, das ist weit weg und hier ist es einfach anders.“
Schwimmreifen und Geheimpolizei
Dass es hier zu Kulturclashes kommt, keine Frage. Sie erinnert sich an einen heißen Sommertag, als sie ins Schwimmbad geht und staunt: ein Bad voller erwachsener Männer und Frauen mit Schwimmreifen und Schwimmflügeln. „Dieses Bild vergesse ich niemals“, lacht sie. Zwei Drittel der Chinesen können nicht schwimmen. Diesen Umstand erklärt sich Valencak damit, „dass Meer und Flüsse der maßen verschmutzt sind, dass sich niemand darin schwimmen traut, aber auch, dass ein anständiges Mädchen das nicht macht“. Was sie an China neben der Gastfreundschaft sehr schätzt, ist die fehlende Kriminalität. So wurde ihr schon mehrmals der liegengelassene Laptop nachgetragen. „Im Moment ist Peking die sicherste Stadt, in der ich je gelebt habe.“ Den politischen Hintergrund sieht sie sehr differenziert. „Wir denken über offenen Strafvollzug und derlei anders. Aber man muss die Menschenmassen in China sehen. Ich glaube, solch eine riesige Nation zu führen und gleichzeitig die
„Peking ist die sicherste Stadt, in der ich je gelebt habe.“
Regelungen aufzuweichen, das ist ein komplexer Prozess“, ist sie nachdenklich. Durch ihre ungarische Mutter, die noch in den 1970er Jahren Geheimpolizei erlebt hat, ist die in Oberösterreich Aufgewachsene sensibel für Politik. Zivile Polizei erkennt sie an Kleinigkeiten, wie den Schuhen – sie tragen zivile Kleidung, aber Uniformschuhe – oder daran, dass sie Englisch können.
Wien – Aberdeen – Peking
Valencak betreut Diplomarbeiten von Studierenden in Wien, im schottischen Aberdeen und in Peking. Dabei sieht sie immer wieder große Unterschiede in der Herangehensweise. Was ihr an den chinesischen Studierenden auffällt, ist eine sehr hohe Motivation, manchmal Überehrgeiz. „Die Kosten für das System sind
„Generation Twitter und Facebook, wo ohne Hinterfragen gegoogelt wird: das ist für gute Wissenschaft kontraproduktiv.“
allerdings eine unglaubliche Hoheitsgläubigkeit. „Was mich stört, ist der Zugang zum Tier als Mittel zum Zweck“, sagt sie. An den Studierenden in Aberdeen schätzt sie deren Kreativität und kritischen Zugang. Das schreibt sie der Lehre zu, die auf Problemlösungskompetenz aufbaut. Die hiesigen Studierenden erlebt sie als besonders genau. „Wir sind in der Mitte zwischen dem chinesischen und dem angelsächsischen, mehr angewandten System“, resümiert Valencak. Und wünscht sich, dass sich das österreichische System mehr in Richtung angelsächsischem entwickelt. „Wir müssen aufholen darin, die Studierenden kritischer zu machen. Die Generation Twitter und Facebook, wo alles auf Knopfdruck funktioniert, wo ohne großes Hinterfragen schnell gegoogelt wird, das ist für gute Wissenschaft wirklich kontraproduktiv“, ist Valencak sich sicher.
„Geht nicht, gibt’s nicht“
Was sie hier von Studierenden bei Schwierigkeiten öfter hört, ist ein „Geht nicht“. Doch Valencaks Motto war immer „Geht nicht, gibt’s nicht“. Dass sie Wissenschafterin werden will, weiß die Biologin bereits im Alter von zehn Jahren. Damals verschlingt sie Bücher von Thor Heyerdhal. „Mir gefiel es, sich an einem Thema für eine Zeit festzubeißen, etwas aufzuarbeiten, danach klüger zu sein als zuvor“, erinnert sie sich an ihre Initialzündung als Wissenschafterin. Als sie mit 18 Jahren Biologie zu studieren beginnt, muss sie sich zunächst durch Physik und Chemie durchbeißen. Als ehemalige Schülerin eines Linzer Neusprachlichen Gymnasiums hat sie einiges aufzuholen. Trotz Schwierigkeiten bleibt sie dran, da hilft ihr der „angeborene Starrsinn“, den sie sich attestiert. Heute motiviert sie jedes Paper, jedes Projekt. Darin sieht sie auch einen wichtigen Faktor ihres Erfolges: „Ich beziehe die Anerkennung nicht von außen, sondern mich motiviert, was ich selber erreicht habe.“ Dass gerade Frauen Anerkennung oft von außen suchen, hemmt sie ihrer Meinung nach im
„Mich motiviert, was ich selber erreicht habe. “
Wissenschaftsbetrieb. Laut ihrer Erfahrung arbeiten Frauen im Wissenschaftssystem oft in unsicheren Positionen, in Projekten, in Teilzeitarbeit. „Sie leisten zwar sehr gute Arbeit, finden aber in den Departments keine Wertschätzung“, beobachtet Valencak und glaubt, dass man das nur durchsteht, wenn man durch das eigene Interesse motiviert wird. Sie kennt selbst einige Studienkolleginnen, die sich davon abschrecken haben lassen. „Was sie sehen, ist Departmentarbeit, Kommissionsarbeit, sehr harte Umgangsformen. Die Wissenschaft ist ein ellbogenorientiertes Geschäft. Da zählen Interessen, wenn es um Ressourcen wie Laborräume geht. Das ist ein Kräftespiel. Da muss man eine Rolle übernehmen und darf es nicht persönlich nehmen.“ Genau da sieht sie ein Problem: Frauen neigten dazu, Dinge persönlich zu nehmen. Sie selber hat gelernt, sich eine Rolle überzustülpen, und sieht bei anderen Frauen aber oft, dass sie zu wenig kampflustig sind, doch „kampflustig muss man sein“, weiß sie aus Erfahrung. Was ihr für das Wissenschaftssystem noch wichtig wäre, ist eine Aufweichung der Hierarchien. „Jeder will besonders schnell besonders hoch und dann sind die, die dabei nicht mitmachen, die loser“, bringt sie es auf den Punkt. Was sie beobachtet: „Jene internationalen Gruppen, die sehr erfolgreich sind, haben keine Hierarchien. Da muss man ansetzen: zuerst die Hierarchien aufweichen, dann wird sich auch das Genderproblem lösen“, wünscht sie sich.
„FWF ist fair“
Enorm profitiert hat Valencak in Fragen der Persönlichkeitsentwicklung von Coachings, die der FWF organisiert. Darum kann sie Frauen solche Coachings nur empfehlen, denn „wenn man als Frau den Fehler macht, Dinge persönlich zu nehmen, kommt man nicht voran“. Sie stellt dem FWF generell ein sehr gutes Zeugnis aus. „Der FWF ist zu einem hohen Anteil dafür verantwortlich, dass ich in Österreich bleiben möchte. Der Topf ist überall klein. Aber hier habe ich das Gefühl, es ist fair. Wenn man abgelehnt wird, probiert man es wieder, aber man hat Chancen.“
Hierarchien aufweichen
Was ihre Zukunft anbelangt, wünscht sich die Wissenschafterin eine eigene Arbeitsgruppe und sieht sich mehr als Mentorin und Koordinatorin. „Drittmittel einwerben, Papers planen, Dinge in Kontext stellen, weniger echte Forschung, die übergebe ich den Jüngeren. Das tut mir schon leid, aber das ist der natürliche Weg“, sagt sie, „den Jüngeren Platz machen.“
Teresa Valencak studierte Biologie mit Spezialisierung auf Zoologie an der Universität Wien. Sie spezialisierte sich im Bereich Energiestoffwechsel des Alterns in den USA und Großbritannien. Von 2008 bis 2010 war Valencak Hertha-Firnberg-Stipendiatin des FWF und erhielt 2010 eine Elise-Richter-Stelle an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Seit 2012 ist sie an der Universität der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking aktiv. Im März 2014 erhielt sie die venia legendi an der Veterinärmedizinischen Universität Wien.
Mehr Informationen zu den Frauenförderprogrammen des FWF Hertha-Firnberg-Programm Elise-Richter-Programm