Mit 26 Jahren ist Sammy Basso der vermutlich Ă€lteste Mensch mit der Krankheit Progerie und einer der bekanntesten FĂŒrsprecher der Betroffenen – hier beim Marathon in Venedig im Herbst 2022. Inzwischen erforscht er selbst die seltene Erbkrankheit. © Alessio Marini / PA / picturedesk.com

Es ist eine seltene genetische Krankheit. Wer an ihr leidet, hat nach heutigem Forschungsstand nur wenig Grund zur Hoffnung auf ein langes Leben. Betroffene des Hutchinson-Gilford-Progerie-Syndroms (HGPS) zeigen schon im Kindesalter die typischen Anzeichen hohen Alters. Bereits als Kleinkinder leiden die Patient:innen unter Muskel- und Knochenschwund oder Haarausfall. Bald macht dann auch das Herz-Kreislauf-System Probleme. Bereits im Teenageralter verstopfen die BlutgefĂ€ĂŸe, die Atherosklerose nimmt ĂŒberhand. Viele der Patient:innen sterben an einem Herzinfarkt, noch bevor sie das 20. Lebensjahr erreichen.

Internationale Forschung setzt neuen Fokus

Die genetischen Ursachen von Progerie sind gut bekannt. Bereits Anfang der 2000er-Jahre entdeckte man, dass ein Protein mit der Bezeichnung Lamin A dafĂŒr verantwortlich ist. Mutationen in jenem Gen, das dieses Protein kodiert, können zu einer Reihe von Erkrankungen fĂŒhren – darunter auch Progerie. Bei den komplexen molekularen Mechanismen, die hinter dem Krankheitsverlauf stehen, tappen die Forschenden jedoch in vielen FĂ€llen bis heute im Dunkeln. Bestehende Behandlungen bremsen den Krankheitsverlauf nur wenig, das mittlere Sterbealter liegt bei etwa 16 Jahren. Ein aktuell laufendes internationales Forschungsprojekt, das der Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen des European Joint Programme on Rare Diseases (EJP RD) in Österreich fördert, könnte nun einen Fortschritt ermöglichen. Es fokussiert auf noch wenig bekannte Einflussgeber fĂŒr den Verlauf der Krankheit – sogenannte nicht kodierende RNA.

Roland Foisner und sein Team am Zentrum fĂŒr Medizinische Biochemie der Medizinischen UniversitĂ€t Wien und an den Max Perutz Labs Wien arbeiten mit Kolleg:innen aus Schweden, Italien und Deutschland daran, die Bedeutung dieser „Abschriften von speziellen Erbgutinformationen“, wie die MicroRNA umschrieben werden kann, bei Progerie zu untersuchen. Dass sie eine Rolle spielen könnten, wurde erst kĂŒrzlich in Studien herausgefunden – welche genau, ist allerdings weiterhin unklar. Die Wissenschaftler:innen kooperieren in dem Projekt unter anderem mit der US-Patientenorganisation Progeria Research Foundation www.progeriaresearch.org, die die einschlĂ€gige Forschung weltweit unterstĂŒtzt.

Mehr Aufmerksamkeit fĂŒr nicht kodierende RNA

Nicht kodierende Micro-RNA ist im Gegensatz zum kodierenden Pendant nicht dazu da, Geninformation in Proteine zu ĂŒbersetzen. FrĂŒher nahm man an, dass sie so etwas wie zellulĂ€rer DatenmĂŒll sei. Die medizinische Forschung wird aber mehr und mehr auf ihre wichtigen regulatorischen Funktionen aufmerksam. Beispielsweise kann sie Gene „stummschalten“ und daran hindern, aktiv zu werden. Störungen in der Regulierung von Micro-RNAs wurden bereits mit einer Reihe von Krankheiten, u. a. mit der Bildung von Tumoren, in Zusammenhang gebracht. „Wir sehen uns an, ob die Vorkommen von spezifischen Gruppen von nicht kodierenden RNAs bei Progeriepatient:innen verĂ€ndert sind“, erklĂ€rt Foisner. „Gleichzeitig wollen wir den Grundstein fĂŒr neue TherapieansĂ€tze liefern, die auf der Regulierung der Micro-RNA basieren.“

Dazu haben Foisner und sein Team ein Mausmodell entwickelt, das die Krankheit in Teilen abbildet. „Bei einer genetischen Erkrankung produzieren alle Zellen das krankhaft mutierte Gen. Man weiß nicht, welche Konsequenz das in verschiedenen Zelltypen hat“, erklĂ€rt der Wissenschaftler. „In unserem Mausmodell konzentrieren wir uns auf einen Zelltyp – jenen, aus dem die GefĂ€ĂŸinnenhaut der BlutgefĂ€ĂŸe, das sogenannte Endothel, besteht.“ Nachdem die kardiovaskulĂ€ren Probleme oft die finale Todesursache der Erkrankung sind, war es naheliegend, diesen Zelltyp genauer zu untersuchen. TatsĂ€chlich konnten bei den MĂ€usen mit der Progerie-Mutation in den Endothelzellen jene Krankheitsbilder beobachtet werden, die die Forschenden auch von menschlichen Patient:innen kennen.

Micro-RNA hat Einfluss auf Zellalterung

Nun untersuchen die Wissenschaftler:innen die molekularen Mechanismen, die mit der nicht kodierenden RNA in diesen Zellen in Verbindung stehen. „Eine Folge eines deregulierten Vorkommens von Micro-RNA kann die sogenannte Seneszenz, die Zellalterung, sein. Der Anteil von seneszenten Zellen im Gewebe trĂ€gt zum gesamten Alterungsprozess des Organismus bei“, erklĂ€rt Foisner dazu. „Eine große Menge alternder und absterbender Zellen fĂŒhrt auch zu einer Vielzahl von EntzĂŒndungsreaktionen, die weitere Zellen schĂ€digen und zu einem systemischen Problem werden können.“ Innerhalb der Zelle spielt nichtkodierende RNA etwa bei den Reparaturmechanismen der Chromosomen im Zellkern eine Rolle, die im Alter immer weniger effizient werden, wie Projektpartner:innen aus Italien herausgefunden haben. „Bei Progerie weiß man auch, dass viele ChromosomenĂ€nderungen vorliegen, was ein sekundĂ€rer Effekt der Micro-RNA-Deregulierung sein könnte“, sagt der Wissenschaftler.

Erste Tests mit neuem Wirkstoff

Das Ziel ist nun, einen Wirkstoff zu entwickeln, der deregulierte Micro-RNAs im Blutkreislauf in Schach halten kann. So könnte die Zellalterung im Herz-Kreislauf-System gebremst und damit zumindest ein Teil der Symptomatik der Erkrankung unterdrĂŒckt werden. In einer vor Kurzem gestarteten Studie werden die Progerie-Mauszellen mit Substanzen versetzt, die die Micro-RNA neutralisieren. Erste Ergebnisse sind vielversprechend: „Viele der krankhaften VerĂ€nderungen in den Zellen konnten teilweise wieder rĂŒckgĂ€ngig gemacht werden“, erklĂ€rt Foisner. Um das Wirkprinzip zu verifizieren und nĂ€her zu untersuchen, mĂŒssen allerdings noch eine Reihe weiterer Studien an Tiermodellen erfolgen. Erst dann kann im Zuge einer klinischen Phase die Behandlungsmethode an Menschen erprobt werden. Eine vollstĂ€ndige Heilung ist mit AnsĂ€tzen dieser Art bei genetischen Erkrankungen nicht zu erwarten, betont Foisner. „In Kombination mit weiteren Therapien, die ebenfalls gerade in prĂ€klinischen Studien entwickelt werden, könnte die UnterdrĂŒckung bestimmter RNA-Gruppen die Lebenszeit der Progeriepatient:innen aber erheblich verlĂ€ngern und ihre LebensqualitĂ€t verbessern.“


Zur Person

Roland Foisner ist Professor fĂŒr Biochemie an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien und Senior Scientist an den Max Perutz Labs Wien, wo er von 2007 bis 2017 auch stellvertretender Direktor war. Foisner ist auf die Erforschung der Funktion des Zellkerns und der Rolle der Lamin-Proteine spezialisiert. Das von 2020 bis 2023 laufende Projekt „Die Rolle nicht kodierender RNA in Progeria-Krankheitsmechanismen“ wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit 290.000 Euro gefördert.


Publikationen

Manakanatas C., Ghadge SK, Agic A., Sarigol F. et al.: Endothelial and systemic upregulation of miR-34a-5p fine-tunes senescence in progeria, in: Aging (Albany NY) 2022

Osmanagic-Myers S., Kiss A., Manakanatas C. et al.: Endothelial progerin expression causes cardiovascular pathology through an impaired mechanoresponse, in: The Journal of Clinical Investigation 2019