Kein Wandel bei der Berufswahl in Sicht

Der Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark verĂ€ndert. Unter dem Stichwort âArbeitsmarktflexibilisierungâ hat sich europaweit ein Strukturwandel in der Berufswelt als Antwort auf den globalisierten Wirtschaftsraum vollzogen. Die Soziologin Nina-Sophie Fritsch von der WirtschaftsuniversitĂ€t Wien spricht gar von tektonischen Verschiebungen in bestimmten Bereichen des Arbeitsmarktes. Unter anderem resultierten daraus mehr befristete DienstverhĂ€ltnisse, freie DienstvertrĂ€ge oder etwa die bis heute kontrovers diskutierte Hartz-Reform in Deutschland.
Völlig kontrĂ€r zu diesen Entwicklungen hĂ€lt sich ein Faktor seit 20 Jahren ungebrochen stabil unter den ErwerbstĂ€tigen: die Trennung von Frauen und MĂ€nnern. Diese berufliche Geschlechtersegregation ist, insbesondere in Ăsterreich, ein auffĂ€lliges und zentrales Merkmal von sozialer Ungleichheit. So ist der Frauenanteil in sogenannten MĂ€nnerberufen in Ăsterreich zwischen 1995 und 2015 sogar um 4,8 Prozent gesunken. Besonders markant war der Geschlechterunterschied zuletzt bei Ingenieursberufen wie zum Beispiel in der Elektro- und Telekommunikationstechnik mit einem MĂ€nneranteil von ĂŒber 94 Prozent. Im Gegensatz dazu betrug der Frauenanteil im Bereich der Krankenpflege und Geburtshilfe rund 96 Prozent.
Woran liegt es, dass diese geschlechterspezifische Disbalance nicht nur Ă€uĂerst stabil bleibt, sondern in manchen Teilbereichen sogar zunimmt? Mit dieser Frage beschĂ€ftigt sich Nina-Sophie Fritsch in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt. Die Soziologin hat in den vergangenen drei Jahren die Situation in Ăsterreich im europĂ€ischen Vergleich untersucht und festgestellt, dass die berufliche Geschlechtertrennung zwar in allen europĂ€ischen LĂ€ndern zu beobachten ist, in Ăsterreich jedoch besonders ausgeprĂ€gt ist. âDie Ursachen dafĂŒr liegen unter anderem an einer seit Langem verbreiteten klassischen Arbeitsteilung, die sich an einem traditionellen Familienbild orientiert. Ein Ergebnis davon sind etwa vergleichsweise lange Karenzzeiten bei den Frauenâ, erklĂ€rt die Wissenschaftlerin.
FrĂŒhe Berufswahl in Ăsterreich
Sind also die zahlreichen GleichstellungsmaĂnahmen auf völlig fruchtlosen Boden gefallen? Und was bedeutet das fĂŒr die Frauen, die MĂ€nner und die Gesellschaft insgesamt? Eine Beobachtung, die Fritsch im Rahmen ihrer Datenerhebung gemacht hat, ist, dass viele Projekte und Gendermainstreaming-MaĂnahmen sehr spĂ€t ansetzen. Gleichzeitig fĂ€llt die Berufswahl in Ăsterreich im Vergleich zu anderen LĂ€ndern wie etwa den skandinavischen sehr frĂŒh. Im Alter von 13, 14 Jahren, in einer Phase der Persönlichkeitsentwicklung und IdentitĂ€tsfindung, die Weichen fĂŒr die berufliche Zukunft zu stellen, ist schwierig. âIn diesem jungen Alter spielen Bildung und Vorbilder im eigenen Umfeld eine enorm wichtige Rolleâ, sagt Fritsch. Dass es zu diesem frĂŒhen Zeitpunkt ein fehlendes Problembewusstsein fĂŒr spĂ€tere Karrieremöglichkeiten oder fĂŒr Altersarmut gibt, die Frauen besonders oft und hart trifft, davon ist Fritsch ĂŒberzeugt und sie betont: âDas Problematische ist nicht, dass es Frauen- und MĂ€nnerberufe gibt, sondern die Konsequenzen, die damit verbunden sind.â Diese Ă€uĂern sich in ungleichen hierarchischen Positionen, ungleicher Bezahlung und ungleichen Arbeitsbedingungen, auch im Jahr 2021.
Hindernisse fĂŒr ausgewogene GeschlechterverhĂ€ltnisse
Geschlechterbezogene Unterschiede bei der Bezahlung zeigt etwa der regelmĂ€Ăig veröffentlichte Gender-Pay-Gap auf. Diese Kennzahl macht deutlich, um wie viel weniger Frauen im Vergleich zu MĂ€nnern im Durchschnitt verdienen. Auch hier hĂ€lt sich Ăsterreich mit rund 20 Prozent konstant unter den Spitzenreitern im europĂ€ischen Vergleich. Eine weitere Messzahl liefert der sogenannte Konzentrationsindex. Dieser hat sich bei den Frauen in den vergangenen 20 Jahren um 13 Prozent erhöht, wie Fritsch und ihre Forscherkolleginnen und -kollegen erhoben haben. Das heiĂt, obwohl mehr Frauen erwerbstĂ€tig sind, konzentrieren sich diese auf wenige Berufe. Meist sind Frauen in kaufmĂ€nnischen und personenbezogenen Dienstleistungsberufen tĂ€tig oder wie angesprochen im Gesundheits- und Sozialwesen.
Weniger Bezahlung und weniger Stellenwert bei Frauenberufen
Weniger Verdienst in Berufen, die mehrheitlich von Frauen ausgeĂŒbt werden, schmĂ€lert auch das Ansehen dieser Berufsbereiche und langfristig ihren gesellschaftlichen Wert. Das ist ein weiteres Hindernis fĂŒr eine Aufweichung der Geschlechtergrenzen in der Arbeitswelt. MĂ€nner, die sich fĂŒr typische Frauenberufe wie zum Beispiel KindergartenpĂ€dagogik interessieren, schreckt die niedrige Bezahlung ab, aber auch das fehlende Ansehen. âFrauen wiederum wird in MĂ€nnerberufen hĂ€ufig die Kompetenz abgesprochenâ, berichtet Nina-Sophie Fritsch aus Interviews, die sie im Rahmen ihrer laufenden Studie mit Personen gefĂŒhrt hat, die in geschlechteruntypischen Berufen arbeiten. Der Weg dorthin fĂŒhrt oft ĂŒber Umschulungen im spĂ€teren Berufsleben und ist angetrieben von dem Ziel, das eigene (frĂŒhe) Interesse zu verfolgen.
UnverstĂ€ndnis bei âuntypischerâ Berufswahl
Nach wie vor ist es nicht leicht, die Grenzen der beruflichen Geschlechtersegregation zu ĂŒberschreiten, so die Bilanz der aktuellen Analysen. Die Tragweite der bestehenden Ungleichheiten hat zuletzt die Corona-Pandemie ans Licht gebracht und sie wird diese noch vergröĂern. âDass die Menschen nach wie vor auf viel Widerstand stoĂen, wenn sie âuntypischeâ Berufe wĂ€hlen, das hat mich ĂŒberraschtâ, sagt Fritsch. Die Wissenschaft liefert ĂŒbrigens eine weitere Kennzahl, die die Geschlechterungleichheit in der Berufswelt verdeutlicht. Demnach mĂŒssten mehr als die HĂ€lfte (55 Prozent) aller ErwerbstĂ€tigen in Ăsterreich ihren Job wechseln, um nicht nur fĂŒr ausgeglichene GeschlechterverhĂ€ltnisse am Arbeitsmarkt zu sorgen, sondern um damit langfristig auch eine soziale und ökonomische Gleichstellung der Gesellschaft zu ermöglichen. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Zur Person
Nina-Sophie Fritsch hat an der UniversitĂ€t Wien Soziologie studiert. Sie forscht derzeit als Postdoc im Rahmen einer Hertha-Firnberg-Stelle des Wissenschaftsfonds FWF am Institut fĂŒr Soziologie und empirische Sozialforschung der WirtschaftsuniversitĂ€t Wien sowie an der UniversitĂ€t Potsdam. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Arbeitsmarkt, Armutsentwicklung in Europa, Gender(un)gleichheiten und soziale Ungleichheiten. Das Forschungsprojekt âBerufliche Geschlechtersegregation verstehenâ lĂ€uft noch bis 2022 und wird mit rund 229.000 Euro vom FWF gefördert.
Publikationen
Nina-Sophie Fritsch, Bernd Liedl, Gerhard Paulinger: Horizontal and vertical labour market movements in Austria: Do occupational transitions take women across gendered lines?, in: Current Sociology 1â22, 2020
Bernd Liedl, Nina-Sophie Fritsch: Die Mittelschicht in lĂ€ndervergleichender Perspektive: Welche Rolle spielen Berufszugehörigkeit und LĂ€ndereigenschaften?, in: Mittelschicht unter Druck â Dynamiken in der österreichischen Mitte. VS Springer (im Erscheinen)
Nina-Sophie Fritsch, Roland Verwiebe, Christina Liebhart: Arbeit und Berufe: VerĂ€nderte Einstellungsmuster im Kontext eines tiefgreifenden Strukturwandels, in: Sozialstruktur und Wertewandel in Ăsterreich. Trends 1986â2016. Wiesbaden: Springer 2019
Nina-Sophie Fritsch: Arbeitsmarkt, Berufe und Geschlecht in Ăsterreich, SWS-Rundschau, Heft 3/2018