In Zukunft ohne Herbizide?
Wer im Herbst WalnĂŒsse sammeln geht, ist gut beraten, wasserfeste Handschuhe zu tragen. Denn die grĂŒnen Schalen enthalten ebenso wie die BlĂ€tter und andere Pflanzenteile den Stoff Hydrojuglon. An der Luft entsteht daraus Juglon â eine Substanz, die unsere Haut schwarz fĂ€rbt. Sie kann aber auch Pilze und Pflanzen abtöten. âDeshalb wachsen unter WalnussbĂ€umen kaum andere Pflanzenâ, erklĂ€rt Judith Wirth. Sie leitet die Forschungsgruppe âHerbologie im Ackerbauâ am landwirtschaftlichen Forschungszentrum Agroscope in der Schweiz. Dort sucht man nach Alternativen zu herkömmlichen UnkrautbekĂ€mpfungsmitteln (Herbiziden) und wird zunehmend auf die wachstumshemmende Wirkung bestimmter Pflanzen aufmerksam. In der Fachsprache heiĂt das PhĂ€nomen Allelopathie.
âEs gibt viele Theorien, wie die Allelopathie zustande kommt. Einen wirklichen Nachweis darĂŒber, welche Stoffe von den Pflanzen auf welche Weise ausgeschieden werden, gibt es aber nur in EinzelfĂ€llen, zum Beispiel bei der Walnussâ, sagt Wirth. Die Hypothese ist, dass bei bestimmten Pflanzen, die zur GrĂŒndĂŒngung eingesetzt werden, die Wirkung ĂŒber Wurzelausscheidungen erzielt wird. Um das zu untersuchen, schloss sich Wirth im Projekt âInteraktion von Nutzpflanzen und Beikraut im Bodenâ mit Expert:innen von der UniversitĂ€t fĂŒr Bodenkultur (BOKU) in Wien zusammen. Als Spezialist fĂŒr die Wurzel-Boden-Interaktion ist der Bodenökologe Markus Puschenreiter vom Institut fĂŒr Bodenforschung beteiligt. Den analytisch-chemischen Part leistet das Team von Stephan Hann, dem Leiter des Instituts fĂŒr Analytische Chemie der BOKU.
Rund um die Wurzel
Eine lebende Wurzel beeinflusst den Boden, der sie direkt umgibt. âDort laufen vielfĂ€ltige Prozesse abâ, erklĂ€rt Puschenreiter. âDie Wurzeln geben Substanzen, sogenannte Exsudate ab, um zum Beispiel NĂ€hrstoffe zu mobilisieren, die Bodeneigenschaften zu verĂ€ndern oder symbiotische Beziehungen anzuregen. AuĂerdem wird ĂŒber die Wurzel mit umgebenden Organismen interagiert, seien es Mikroorganismen oder andere Pflanzen.â Im Rahmen des Projekts interessieren sich die Forschenden fĂŒr spezielle chemische Signale, die die Entwicklung von Nachbarpflanzen negativ beeinflussen.
Amarant ist Test-Beikraut
Da der Bodenanteil, der direkt an der Wurzel liegt, nur spĂ€rlich und schwer zu untersuchen ist, entwickelte das Team eine erste Zwischenstufe seines Experiments: Die zu untersuchenden Pflanzen wachsen in feinem Glassand statt in der Erde und werden ĂŒber eine NĂ€hrlösung versorgt. In der FlĂŒssigkeit werden gleichzeitig die Wurzelexsudate gesammelt, sodass man sie fĂŒr die Analyse gewinnen kann. âIm Vergleich mit dem natĂŒrlichen Boden ist das natĂŒrlich ein stark vereinfachtes Set-upâ, rĂ€umt Puschenreiter ein, âaber wir wissen aus frĂŒheren Projekten, dass dieser Schritt notwendig ist, um die wachstumsunterdrĂŒckenden Substanzen ĂŒberhaupt detektieren zu können.â FĂŒr den Versuch werden echter Buchweizen (Fagopyrum esculentum) und als zweite Nutzpflanze Rau-Hafer (Avena strigosa) angebaut. Als Test-Beikraut verwenden die Forschenden Amarant (Amaranthus retroflexus). âBei der Auswahl haben wir uns auf Erfahrungswerte gestĂŒtzt. Beide ZwischenfrĂŒchte werden schon lange zur GrĂŒndĂŒngung eingesetzt und sind dafĂŒr bekannt, BeikrĂ€uter gut zu unterdrĂŒckenâ, so Wirth.
Neue Anbaumethode verbessert Tests
Auf dem Weg zur optimalen Prozedur mussten auch andere AblĂ€ufe eigens fĂŒr den Versuch eingerichtet werden. âEinerseits mĂŒssen die Pflanzen reproduzierbar und kontrolliert wachsen, was nicht so einfach zu bewerkstelligen ist. Andererseits ist die Probenahme eine Herausforderungâ, sagt Hann, der fĂŒr die chemischen Analysen zustĂ€ndig ist. Zum einen musste sichergestellt werden, dass sich die Substanzen auf dem Weg von der Wurzel bis zur Analyse nicht verĂ€ndern, zum anderen beschĂ€ftigte das Team auch die Suche nach einer validen Kontrolle. Im Zuge des Projekts wurde deshalb eine neuartige Anbaumethode entwickelt, bei der die Wurzel ein und derselben Pflanze in zwei verschiedenen BehĂ€ltern wĂ€chst (split-root). So kann das Wurzelexsudat mit dem Kontrollexsudat aus einem zweiten GefÀà verglichen werden, in dem dieselbe Pflanze ohne Beikraut bzw. andere Pflanzen wĂ€chst. Denn neben der Identifikation allelopathisch wirkender MolekĂŒle wollen die Forschenden auch herausfinden, ob sich die Zusammensetzung der Exsudate je nach Vorhandensein eines Beikrauts oder anderer Pflanzen verĂ€ndert.
Von der Analyse zur Anwendung
Die Wurzelexsudate, die in den NĂ€hrlösungen der verschiedenen Pflanzenkombinationen landen, werden an der BOKU auf ihre Zusammensetzung analysiert. DafĂŒr nutzt das Team von Stephan Hann die Massenspektrometrie â ein Analyseverfahren, bei dem die Masse eines MolekĂŒls sehr genau ermittelt werden kann. âMit dieser Methode finden wir in einer einzigen unserer Proben zirka 1000 verschiedene Substanzenâ, berichtet Hann. Viele davon sind allgemeine Stoffwechselprodukte von Pflanzen oder Mikroorganismen und damit fĂŒr die Fragestellung nicht relevant. Erst in der statistischen Analyse zeigt sich, welche Substanzen exklusiv ausgeschieden werden, wenn das Beikraut prĂ€sent ist. Hier beginnt laut Hann die eigentliche analytische Herausforderung. âDenn die Massenspektrometrie gibt uns nur ein Signal, aus dem wir die infrage kommenden chemischen Summenformeln berechnen können, das heiĂt, welche Elemente wie oft in den noch unbekannten Stoffen vorliegen. Aber hinter jeder Summenformel verstecken sich Hunderte von chemischen Strukturen, zu denen die einzelnen Atome angeordnet sein können. Die Analyse sagt uns also nie, welche Substanz genau vorliegt.â
Neue AnsÀtze verbesseren Analytik
Die Problematik stellt sich Hann zufolge schon lange und in vielen Bereichen, in denen die Massenspektrometrie zum Einsatz kommt. âZum Beispiel erschwert es die Identifikation von Biomarkern in der Medizin oder Analysen aus dem Umweltbereich, wenn Substanzen, die unbeabsichtigt in GewĂ€sser eingespeist wurden, identifiziert werden mĂŒssen.â Ein Teil der Forschungsleistung des Projekts sei daher auch, neue Lösungsstrategien fĂŒr diese ungezielte Analytik (non-targeted analysis) zu entwickeln. Dazu gehört vor allem die Erzeugung von strukturspezifischen Fragmenten, welche ĂŒber spezielle Algorithmen und Datenbankabgleiche zur Identifizierung herangezogen werden können. Erste Ergebnisse zum Projekt konnte die Projektgruppe kĂŒrzlich beim Kongress der American Society for Mass Spectrometry â der weltweit gröĂten Konferenz fĂŒr Massenspektrometrie â in Houston prĂ€sentieren.
Sind die methodischen und analytischen HĂŒrden erst einmal ĂŒberwunden, will das Team den Ansatz auf Experimente im Boden statt in Glassand ausweiten. Denn erst hier zeige sich die Situation so, wie sie im Feld tatsĂ€chlich vorzufinden ist. Die Forschenden rechnen damit, dass die Interaktion im Erdreich an KomplexitĂ€t zunehmen wird. âDie hemmende Wirkung einer Pflanze ist immer ein Zusammenspiel aus vielen Faktoren. Manche Pflanzen sind einfach konkurrenzstĂ€rker und nehmen Wasser oder NĂ€hrstoffe besser auf. Die Allelopathie ist nur ein Teil der hemmenden Wirkung und variiert wahrscheinlich je nach Stress der Pflanze, nach Wasserstatus, NĂ€hrstoffvorkommen, Lebenszyklus und so weiterâ, zĂ€hlt Wirth zu beachtende EinflĂŒsse auf. âIm Idealfall gelingt es uns, einzelne allelopathische Metaboliten zu identifizieren.â Mit diesem Wissen könne man eigene Sorten zĂŒchten, die ebendiese Stoffe vermehrt ausscheiden. Doch auch grundlegende Erkenntnisse ĂŒber die Bedingungen von hemmenden Pflanzeninteraktionen sind fĂŒr die Landwirtschaft ein Gewinn, um nachhaltige Methoden etablieren zu können.
Zu den Personen
Stephan Hann ist Experte fĂŒr Chromatografie und Massenspektrometrie und leitet seit 2020 das Institut fĂŒr Analytische Chemie an der UniversitĂ€t fĂŒr Bodenkultur Wien (BOKU).
Markus Puschenreiter ist ebenfalls an der BOKU, am Institut fĂŒr Bodenforschung, tĂ€tig. Der Wissenschaftler widmet sich unter anderem dem Thema RhizosphĂ€renökologie.
Judith Wirth ist auf Unkrautkunde spezialisiert. Sie leitet die Forschungsgruppe âHerbologie im Ackerbauâ bei Agroscope, einem Kompetenzzentrum fĂŒr landwirtschaftliche Forschung vom Schweizer Bundesamt fĂŒr Landwirtschaft. Das auf drei Jahre angelegte bilaterale, interdisziplinĂ€re Projekt âInteraktion von Nutzpflanzen und Beikraut im Bodenâ lĂ€uft noch bis Ende 2023 und wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit rund 175.000 Euro gefördert.
Publikationen und BeitrÀge
Bennett A., EroÄlu C., SteiningerâMairinger T., Puschenreiter M., Gfeller A., Wirth J., Hann S.: Dual column chromatography improves nonâtargeted analysis coverage when assessing rhizosphere chemical communication, in: Book of Abstracts of the 71st ASMS Conference on Mass Spectrometry and Allied Topics, 4.â8. Juni, 2023, Houston, Texas, USA
Gfeller A., Glauser G., Etter C., Signarbieux C., Wirth J.: Fagopyrum esculentum Alters Its Root Exudation after Amaranthus retroflexus Recognition and Suppresses Weed Growth, in: Frontiers in Plant Science 9, 2018