Ein FWF-Projekt analysiert den Einfluss von Fachmessen auf die Entscheidungen von Händlern in der Medienbranche. © Courtesy of pressroom.mipcom.com/S.d'HALLOY

Monk, Lady Gaga und Mr. Grey sind prominente Gäste in österreichischen Wohnzimmern. Doch wie kommt es, dass man in Österreich bestimmte globalisierte Mediengüter sieht, hört und liest und andere nicht, fragt sich Andreas Gebesmair vom Department für Medien und Wirtschaft der Fachhochschule St. Pölten und liefert gleich die Antwort: "Dahinter stehen Vermittlerinnen und Vermittler, die diese für den österreichischen Markt auswählen, evaluieren und vermarkten." Aber wie werden Blockbuster, Chartstürmer und Bestseller von Ladenhütern unterschieden? Wie und auf welcher Basis fällen professionelle Händler ihre Kaufentscheidungen? Das vor Kurzem gestartete Projekt "Trading Cultures" des Wissenschaftsfonds FWF widmet sich der empirischen Betrachtung dieses zentralen Einflussfaktors der kulturellen Globalisierung: der Kultur des Handels mit kulturellen Mediengütern.

Einblicke in die Kultur des globalen Handels

Als zentral werden in dem Projekt internationale Handelsmessen gesehen. Sie sind nicht nur Umschlagplätze für die Mediengüter selbst, sondern auch für Trends, Fachmeinungen und Geschäftsmodelle, die die globale Verbreitung neuer Medienprodukte grundlegend bestimmen. Das Forschungsteam um Andreas Gebesmair untersucht nun branchenübergreifend inwiefern Verkaufs- und Kaufentscheidungen auf in der Branche geteilten Annahmen, Routinen und Regeln basieren. Diese werden auf drei bedeutenden internationalen Handelsmessen, der TV-Content Messe MIPCOM, der Musikmesse midem und der Frankfurter Buchmesse studiert.

Was wir wollen werden

Gerade im Handel mit innovativen Mediengütern sind Kaufentscheidungen hochriskant, der Preis für Fehleinschätzungen hoch und Erfolge schwierig abzuschätzen. Deshalb tendieren die Beteiligten dazu, legitime Geschäftspraktiken zu imitieren: "Professionelle Contentbezieher müssen einschätzen können, was 'ihr' Publikum wollen wird. Sie verlassen sich dabei auf den sogenannten 'Buzz' auf dem Messeparkett und auf die dort kommunizierten und geteilten Bewertungsstandards. Andererseits spielen aber auch gewisse in der Branche etablierte 'Daumenregeln' und die erfahrungsbasierte Intuition eine Rolle", erläutert Gebesmair.

Wurzeln des "richtigen Riechers"

Gemeinsam geteilte Bewertungsgrundlagen und deren Verbreitung werden im Projekt mithilfe von ethnografischen Methoden, vor allem teilnehmender Beobachtung, auf den Messen identifiziert. "Diese Methode eignet sich in besonderer Weise dazu, tiefe und lebensnahe Einblicke in die alltäglichen und als selbstverständlich wahrgenommenen Vorgehensweisen und Routinen der Händlerinnen und Händler zu erhalten", sagt Christoph Musik, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt "Trading Cultures". Neben der Beobachtung vor Ort sind zudem Tiefeninterviews mit international tätigen Medienmanagerinnen und -managern geplant. Die Analyse branchenrelevanter Fachmagazine wie beispielsweise "Hollywood Reporter", "Billboard" oder "Publishers Weekly" und ihrer Rolle als Meinungsbildner wird die Datenerhebung ergänzen.

Know-how aus der Praxis

Dabei differenziert das internationale Projektdesign wirtschaftliche und kulturelle Unterschiede: "Wir kontrastieren Österreich und den deutschsprachigen Raum mit zumindest zwei weiteren Ländern mit unterschiedlichen Ausgangslagen: Einerseits mit Großbritannien, mit einem insgesamt hohen Exportvolumen an Kulturgütern, und andererseits mit der Türkei, mit einer großen Anzahl an inländischen Produktionen und wenig Importen", sagt Gebesmair. Fachleute aus führenden Medienunternehmen Österreichs werden die Forscherinnen und Forscher mit ihrem Know-how beim Knüpfen von Kontakten auf den Fachmessen sowie beim Identifizieren von Strategien und Trends unterstützen.

Verständnis ökonomischen Handelns fördern

Die Ergebnisse des FWF-Forschungsprojekts sollen nicht nur die Praxis angehender Medienfachleute unterstützen, sondern es auch Medienprofis erlauben, etablierte und als selbstverständlich wahrgenommene Handlungs- und Entscheidungsmuster zu hinterfragen. Außerdem werden die Erkenntnisse des Projekts zu einem besseren Verständnis von grundlegenden Fragen des ökonomischen Handelns beitragen. Von besonderem Interesse für die Medienwissenschafterinnen und -wissenschafter ist dabei, inwiefern sich Medienmanagerinnen und -manager in ihrem Arbeitsalltag an bewährten Routinen und legitimen Klassifikationen festhalten, oder unter welchen Umständen sie diese hinterfragen und etwas Neues ausprobieren.


 Zur Person Andreas Gebesmair ist Leiter des Österreichischen Instituts für Medienwirtschaft an der FH St. Pölten. Dort führt er derzeit das FWF-Projekt „Trading Cultures – Eine Ethnografie internationaler Handelsmessen für TV-Programme, Musik und Bücher“ bis 2018 durch. Sein Forschungsinteresse gilt den Strukturen der Produktion und Rezeption von Kultur. Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Laufbahn erhielt Gebesmair ein APART-Stipendium der ÖAW (Österreichische Akademie der Wissenschaften) und verbrachte umfangreiche Forschungsaufenthalte an der Vanderbilt University und am CACPS (Center for Arts and Cultural Policy Studies) der Princeton University in den USA. Christoph Musik ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen Institut für Medienwirtschaft. Sein Forschungsinteresse bezieht sich auf die Ethnografie von Technologie und Medien.


Top Citizen Science (TCS) Das Projekt „Inside Trading Cultures“ bindet interessierte Bürgerinnen und Bürger in Form von Feldforschung ein und hat das Ziel, die Sichtweisen und Deutungen der beteiligten Wissenschafterinnen und Wissenschafter um Perspektiven aus Sicht von Laien zu erweitern, die an Literatur und dem Handel mit Büchern interessiert sind. Förderinitiative Top Citizen Science


Publikation

Andreas Gebesmair: Die Fabrikation globaler Vielfalt. Struktur und Logik der transnationalen Popmusikindustrie. Bielefeld: transcript, 2008. ISBN 978-3-89942-850-6; Print, E-Book, Open Access.