Gewaltfreie Sprache gibt es nicht

Dass Worte ebenso verletzen können wie körperliche Gewalt, ist bekannt. Der Grund dafĂŒr ist jedoch bis jetzt wenig erforscht. Gerald Posselt vom Institut fĂŒr Philosophie der UniversitĂ€t Wien analysiert, unterstĂŒtzt vom Wissenschaftsfonds FWF, den Erkenntnisstand seines Fachs zur engen Verwobenheit von Sprache und Gewalt. Das Thema ist insbesondere durch die sozialen Medien inzwischen hochaktuell: âDie sozialen Medien, die die Publikation und Verbreitung von Postings und Kommentaren in Echtzeit erlauben, haben nicht nur zu einer Demokratisierung der MeinungsĂ€uĂerung beigetragen, sondern auch neue Formen von Hass, Propaganda und Hetze hervorgebrachtâ, beschreibt der Projektleiter die Ausgangslage im GesprĂ€ch mit scilog. In einer Demokratie mĂŒssen die Grundrechte auf Redefreiheit und Nicht-Diskriminierung sorgfĂ€ltig abgewogen werden. Manche verletzende Sprechakte sind ein Fall fĂŒr das Gericht, anderen muss eher von der Zivilgesellschaft widersprochen werden.
Sprache gehört zum Menschsein
Sprachliche Gewalt kann viele Formen annehmen: verletzende und beleidigende ĂuĂerungen gegenĂŒber Gruppen oder Individuen, medial vermittelt oder direkt, vor Zeugen oder allein, am Stammtisch oder als Propaganda, strukturell diskriminierende oder neue Formen medialer Gewalt wie zum Beispiel das âHappy Slappingâ, bei dem die Gewalthandlung mit dem Smartphone aufgenommen und dann ĂŒber die sozialen Medien verbreitet wird. Posselt geht der Frage nach, warum und wie Menschen durch sprachliche ĂuĂerungen verletzbar sind und durchleuchtet das VerhĂ€ltnis von Sprache und Gewalt. Dazu greift er unter anderem auf Ăberlegungen groĂer Denker wie Friedrich Nietzsche, Jacques Derrida, Michel Foucault, Bernhard Waldenfels und Judith Butler zurĂŒck. Zugleich analysiert er aktuelle Beispiele, wie die FĂ€lle der Whistleblower Edward Snowden und Chelsea Manning. âSprache ist nicht nur ein Instrument, um Ideen und Gedanken auszutauschen. Sprache hat zugleich eine welterschlieĂende, eine subjektivierende und gemeinschaftsstiftende Dimension. Weil Sprache uns als Menschen auszeichnet und zuallererst zu Menschen macht, sind wir durch sie verletzbarâ, stellt Posselt klar.
Es kann keine gewaltfreie Sprache geben
Die zentrale These des Philosophen ist, dass sprachliche Gewalt keine abgeleitete Form physischer Gewalt ist, sondern eine eigenstĂ€ndige Gewaltform darstellt: âWeder ist es möglich, ein angemessenes VerstĂ€ndnis von Sprache zu gewinnen ohne BerĂŒcksichtigung zwischenmenschlicher Gewalt, noch ein zureichendes VerstĂ€ndnis von Gewalt ohne Reflexion auf ihre sprachlich-symbolische Dimension.â Das bedeute auch, dass wir uns von der Idee einer âreinenâ Sprache verabschieden mĂŒssten: âEine Sprache, die gĂ€nzlich gewaltfrei wĂ€re, könnte nichts sagen oder benennen. Zugleich ist Sprache eine wichtige Ressource fĂŒr unser VerhĂ€ltnis zur Welt und unsere Beziehung zu anderen. Das gilt es auch zu beachten, wenn man Sprache zu regulieren versucht.â Eine wichtige Erkenntnis des Projekts ist, dass sprachliche Gewalt darauf abzielt, das GegenĂŒber sprachlos zu machen und ihm die Stimme zu nehmen. Folglich gilt es, jene Formen verletzenden und diskriminierenden Sprechens entgegenzuwirken, die dem Anderen Antwortmöglichkeiten nehmen oder gar das Menschsein selbst absprechen. Der Forscher plĂ€diert daher dafĂŒr, Sprache verschrĂ€nkt mit Ethik und Politik zu betrachten. Dies ermöglicht, einen starken Begriff von Verantwortung zu entwickeln, der den einzelnen Sprechakt in seiner sozialen Dimension bedenkt.
Kriterien fĂŒr gewaltsame Sprache
Einfache Antworten auf die Frage, welches Sprechen verletzend ist, gibt es nicht, aber es lassen sich Kriterien angeben, um zu zeigen, was sagbar ist und was nicht: âSprechakte werden gewaltsamer, wenn sie adressiert sind, in einem AutoritĂ€tsgefĂ€lle oder in der Ăffentlichkeit stattfinden, und wenn sie stĂ€ndig wiederholt werden. Gerade im Kontext der sozialen Medien erlangt die Zitierbarkeit besondere Relevanz.â Vor diesem Hintergrund mĂŒssen wir laut Posselt auch ĂŒber mögliche Regulierungen nachdenken. Reaktionen mĂŒssen dabei nicht nur von den Gerichten kommen, sondern auch von Gesellschaft, Politik, Medien und Einzelnen, die das Wort ergreifen. Entgegen der heutigen Empörungskultur und Aufgeregtheit, die weitestgehend monologisch verfasst ist, wĂ€re ein Sprechen produktiv zu machen, âdas offen bleibt, das Möglichkeiten des Gegensprechens und Antwortens erlaubt und nicht moralisierend den Zeigefinger erhebtâ, bringt es Posselt auf den Punkt.
Zur Person Gerald Posselt hat Philosophie, Germanistik, Physik und Chemie in Darmstadt und Freiburg i. Breisgau studiert. Er war Visiting Scholar am Department of Rhetoric an der UC Berkeley (USA), Kollegiat am Graduiertenkolleg âReprĂ€sentation-Rhetorik-Wissenâ in Frankfurt/Oder und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt âProduktive Differenzen: Geschlechterforschung als Beobachtung und Performanz von Differenzâ. Seit 2010 ist Posselt Senior Lecturer am Institut fĂŒr Philosophie der UniversitĂ€t Wien.
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