Gegenentwürfe zu Winnetou & Co
Stolz, edel und naturverbunden: Karl Mays „Winnetou“ beeinflusst bis heute das Bild des „Indianers“ im deutschsprachigen Raum. „Dieses Klischeebild entspricht tatsächlich in keiner Weise der Realität der nordamerikanischen Ureinwohner. Kindheitserinnerungen und Sehnsüchte lässt man sich jedoch nur ungern nehmen. Das zeigen die Besucherrekorde der Karl-May-Festspiele und der Erfolg von Filmen wie Der Schuh des Mannitou“, stellt Nicole Perry vom Institut für Germanistik der Universität Wien fest. Doch wie setzen sich indigene Künstlerinnen und Künstler mit diesem noch immer gängigen Bild des „Indianers“ kritisch auseinander und wie rütteln sie an diesen Wahrnehmungsgewohnheiten? Diese Fragestellungen behandelt die Literaturwissenschafterin nun im Rahmen eines Lise-Meitner-Stipendiums des Wissenschaftsfonds FWF.
Sehnsucht & Projektionsfläche „Indianer“
„Die Darstellungsgeschichte des ‚Indianers‘ als naturverbundenem Edlen Wilden öffnet den Blick auf unterschiedliche dahinterstehende Ideologien sowie politische und sozio-kulturelle Umgebungen. Karl Mays Erfolg – seine Bücher wurden ja schon in der Erstauflage über 400.000 Mal verkauft – liegt auch darin begründet, dass er Gefühlslagen und Sehnsüchte seiner Zeit geschickt aufgriff“, erläutert Perry. Da waren zum Beispiel die Sehnsucht nach der Bildung einer Nation oder Kolonialfantasien, aber auch romantische, anti-modernistische Wünsche nach einer Rückkehr zur Natur. Für all dies dienten literarische „Indianer“-Figuren als Projektionsfläche. Die romantisierte Naturverbundenheit mündete in einer Darstellung von „Indianern“ als sterbende vormoderne Kultur, deren Rettung in der Europäisierung und Christianisierung lag.
Naturburschen als Kunstfiguren
Den Schwerpunkt des Projekts bilden zahlreiche Fallstudien zeitgenössischer Widerstandsformen gegen diese schablonenhafte Darstellung. Tatsächlich greifen indigene Künstlerinnen und Künstler diese Klischeebilder seit einiger Zeit auf und inszenieren sie in neuen Umgebungen, um so die Diskussion darüber anzuregen und ein Umdenken zu provozieren. Zu den Fallbeispielen, die Perry untersucht, zählt etwa der kanadische Künstler Kent Monkman mit seinem Alter Ego „Miss Chief Testickle“, eine Kunstfigur vergleichbar mit Conchita Wurst, die mit High Heels und Federschmuck auftritt. Monkman agiert dabei geschickt medienübergreifend und sprengt gängige Gender-Stereotype des „Indianers“ als Naturburschen. Anders agiert der Musiker und Filmemacher Bear Witness, der eine weitere Fallstudie in Perrys Projekt bildet. Mittels Montagetechnik stellt Witness Filmszenen aus Winnetou Aufnahmen von Wolf Hatfield gegenüber, einer „indianischen“ Kämpfer-Figur aus dem Videospiel Virtual Fighter V, und verdeutlicht damit die Künstlichkeit beider Darstellungen. Ein weiteres von Perry untersuchtes Beispiel ist der Künstler Darryl Nepinak. Sein Film „Zwe Indianer aus Winnipeg“ taufte er nach dem gleichnamigen deutschen Schlager. Im Gegensatz zu diesem erfahren seine zwei Hauptfiguren jedoch im „Sebastian Schweinsteiger See“ nicht die Taufe zu Christen, sondern einen Wandel zu Ureinwohnern. In einer weiteren Fallstudie widmet sich Nicole Perry dem Theaterstück Berlin Blues des kanadischen Autors Drew Hayden Taylor. Das Stück zeigt die Errichtung eines Themenparks für deutsche Touristen in einem Reservat der Ojibway (indigene Amerikaner) und, laut Perrys Analyse, den Wunsch nach der Performance des „Indiander“-Bildes im Gegensatz zu Authentizität.
Zwischen Begeisterung und Kontroverse
Die Reaktionen auf diese Neuinterpretationen sind kontrovers, wie Perry betont: „Filmische Gegenentwürfe wurden in einer moderierten Filmvorführung mit Besprechung, dem Forum Culture Shock Panel auf der Berlinale, und davor auf dem imagineNATIVE Filmfestival in Toronto gezeigt. Der enthusiastischen Aufnahme in Kanada folgten kontroverse Diskussionen auf der Berlinale.“ Das FWF-Projekt bietet nun erstmals eine differenzierte Basis für die Auseinandersetzung mit bisher im deutschsprachigen Raum wenig bekannten indigenen Antworten auf klischeehafte „Indianer“-Darstellungen. So werden ideologische Ideen einer nationalen, kulturellen und genderspezifischen Identität hinter stereotypen Darstellungen hinterfragt.
Zur Person Nicole Perry absolvierte ihr Masterstudium an der McGill University in Montreal und dissertierte 2012 an der University of Toronto. Seit 2009 ist die Ernst-Mach-Stipendiatin an der Universität Wien in Forschung und Lehre tätig. Im Rahmen eines Lise-Meitner-Stipendiums des Wissenschaftsfonds FWF führt sie dort ihre Forschungsarbeiten weiter. Schwerpunkte bilden dabei die Werke Charles Sealsfields sowie künstlerische indigene Reaktionen auf das deutsche „Indianer“-Bild.
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