Die Schrödinger-Stipendiatin Katharina Mahr unterwegs in Ungarn. Im Schilfgebiet eines Nationalparks folgt sie den Spuren der Bartmeise. © Ádám Lendvai

Auf meinen Händen sitzen unzählige Mücken, die versuchen ein Frühstück zu ergattern. Und neben mir treibt ein toter Karpfen, den der Fischotter zwar gekostet, aber dann doch verschmäht hat. Mir läuft nicht nur eine Spinne, sondern auch Schweiß den Rücken entlang. Plötzlich höre ich hinter mir einen Schrei: „Lauf!“ Mein rechter Fuß steigt ins Nichts, mein linker steckt im Morast fest, ich kippe um und spüre, wie das schlammige Wasser in meine Wathose rinnt. Ich rudere mit den Armen, greife ein Schilfbündel, schneide mir in den Finger, ziehe mich hoch und stapfe los. Im Netz vor uns hängen zwei winzige Vögel. – Wir haben endlich das Brutpaar gefangen, das wir seit zwei Wochen beobachten.

Das war unser Alltag in der Schilflandschaft des „Hortobágyi Halastó“, einer Fischteichanlage im weitläufigen Hortobágyi-Nationalpark. Diese hat sich im Laufe der Zeit zu einem kleinen Naturjuwel gemausert, das durch seinen Artenreichtum und den spektakulären Herbstzug der Kraniche Zuschauerinnen und Zuschauer aus aller Welt anlockt. Mich hat jedoch etwas anderes in diese Gegend und die nahe gelegene Universitätsstadt Debrecen geführt: das Hormon „insulinähnlicher Wachstumsfaktor 1“ (IGF-1).

Hormone, Verhalten, Vögel …

Die Wirkungsweise von IGF-1 ist gut erforscht, aber unser Wissen beschränkt sich auf Studien aus der klinischen Forschung und den Nutztierwissenschaften. IGF-1 wurde als einer der potenziellen Schlüsselfaktoren identifiziert, die individuelle „life histories“, das sind Wachstum, Entwicklung, Alterungsprozesse und Fortpflanzung, bestimmen. Insofern ist es überraschend, dass diese Aspekte und die damit verbundene Bedeutung für das alltägliche Leben von Organismen in ihrer natürlichen Umwelt bisher kaum an Wildtieren untersucht wurden.

Ádám Lendvai und sein Team am Department für Evolutionäre Zoologie und Humanbiologie der Universität Debrecen gehen ebendieser Fragestellung nach. Sein Labor ist eines von wenigen, in denen IGF-1 im Blut von Singvögeln gemessen wird. Durch eine vorangegangene Kooperation und unsere gemeinsame Begeisterung für Ornithologie und Verhaltensökologie, entstand rasch die Idee für das Projekt „The role of IGF-1 in reproductive life history“. Aufgrund meiner bisherigen Arbeit im Bereich der sexuellen Selektion und Fortpflanzungsbiologie interessiert mich besonders, wie IGF-1 Fortpflanzungsstrategien (zum Beispiel das Brutverhalten) und die bei der Partnerwahl so wichtigen Gefiederornamente von Singvögeln beeinflusst. Als Studienart dient die Bartmeise (Panurus biarmicus), die durch ihren schnellen Fortpflanzungszyklus, ihre sozial monogame Paarbindung und die auffällige Gefiederzeichnung besonders interessant für diese Fragestellung ist.

… und vieles mehr

Ich verbrachte nicht nur viel Zeit im Labor und im Schilf, um neue Techniken zu lernen sowie Proben und Daten zu sammeln (Brutverhalten, Gefiedermerkmale). Debrecen hielt auch abseits der Wissenschaft einige Überraschungen parat, an die ich mich gerne erinnere. So organisierten meine Kolleginnen und Kollegen eine Weinverkostung im berühmten Tokajer Weingebiet. Ich durfte auch an einer exklusiven Exkursion zur Przewalski-Pferd-Herde im Hortobágyi-Nationalpark teilnehmen und man begleitete mich oft geduldig in die Markthalle für den Wocheneinkauf, wo jede Menge Köstlichkeiten warten.

Zuhause im Lockdown

Kurz nach Antritt meiner Rückkehrphase im Frühjahr 2020 zur Datenerhebung am Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Veterinärmedizinischen Universität Wien wurde auch in Österreich das Thema „Covid-19“ real. Dass die Brutzeit der Bartmeisen mit dem Lockdown zusammenfiel, bereitete uns Schwierigkeiten, und auch der verhinderte Austausch zwischen Wien und Debrecen verkomplizierte die Erhebung und Auswertung der Daten. Mit vereinten Kräften, Flexibilität, etwas Glück und enormem Arbeitsaufwand gelang uns trotzdem ein erfolgreicher Projektabschluss.

Das Erwin-Schrödinger-Stipendium war eine einmalige Chance für mich. Die großartige Zusammenarbeit, trotz vieler Widrigkeiten, hatte viele positive Seiten. Es sind nicht nur Publikationen, die eine oder andere Idee und sogar Projektanträge entstanden, sondern auch viele schöne Erinnerungen geblieben. Insgesamt hat der Forschungsaufenthalt in Ungarn meinen Horizont in vielerlei Hinsicht erweitert.